Leitsatz (amtlich)
Für Rechtsverhältnisse, die nach ausländischem Recht zu entscheiden sind, können Normen über die Verteilung der Beweislast nicht dem deutschen, sondern nur dem ausländischen Recht entnommen werden. Die Beweislastverteilung kann daher nach §549 ZPO im Revisionsverfahren nicht nachgeprüft werden.
Soweit es sich um Fragen handelt, die nach nichtrevisiblem Recht zu entscheiden sind, können grundsätzlich keine Revisionsrügen aus den §§139 und 286 ZPO erhoben werden. Dieser Grundsatz greift nur dann nicht durch, wenn vom Standpunkt der Auslegung aus, die das Berufungsgericht selbst dem ausländischen Recht gibt, die Vorschriften der §§139 oder 286 ZPO insofern verletzt sind, als das Berufungsgericht ein Vorbringen, einen Beweisantrag oder das Ergebnis einer etwaigen Beweisaufnahme übersehen hat, obwohl es von dem Rechtsstandpunkt aus, den es für das nichtrevisible Recht eingenommen hat, beachtlich war.
Normenkette
ZPO §§ 139, 286, 549
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 08.12.1950) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Düsseldorf vom 8. Dezember 1950 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien sind in Deutschland ansässige Schweizer Staatsangehörige. Sie haben am ... Mai 1944 die Ehe geschlossen. Seit dem 13. Februar 1945 leben sie getrennt.
Der Kläger begehrt Scheidung der Ehe nach Art. 140, 138, 142 des Schweizer Zivilgesetzbuchs und §§43, 48 EheG mit der Behauptung, die Beklagte habe ihn von Anbeginn der Ehe an vernachlässigt, ihn lieblos behandelt und in verschiedener Hinsicht ihre ehelichen Pflichten verletzt. Sie habe neben anderem die Speisen nicht sorgfältig zubereitet und Lebensmittelvorräte zu ihren Eltern verschleppt. Ohne sein Einverständnis sei sie jede Woche zu ihren Eltern gefahren und habe ihn im Stich gelassen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat das Vorbringen des Klägers bestritten und behauptet, der Kläger habe selbst gewünscht, dass sie das Wochenende regelmässig bei ihren Eltern verbringe, damit er sich in Ruhe mit den Versuchen an seinen Erfindungen befassen könne. Zu einer endgültigen Trennung sei es auch nur auf das Drängen des Klägers gekommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Die deutsche Gerichtsbarkeit ist gemäss §606 Abs. 3 Ziff 1 ZPO in Verbindung mit dem Deutsch-Schweizerischen Vollstreckungsabkommen vom 2. November 1929 (RGBl II, 1065) gegeben. Art. 3 dieses Abkommens bestimmt, dass die in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten zwischen Angehörigen eines der beiden Staaten oder beider Staaten ergangenen rechtskräftigen Entscheidungen der bürgerlichen Gerichte des einen Staates im Gebiete des anderen Staates anerkannt werden, es sei denn, dass an dem Rechtsstreit ein Angehöriger des Staates, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, beteiligt war und nach dem Recht dieses Staates die Zuständigkeit eines Gerichts des anderen Staates nicht begründet war. Danach würde ein deutsches Urteil in der Schweiz nicht anerkannt und damit nach §606 Abs. 3 Ziff 1 ZPO die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts nicht gegeben sein, wenn nach Schweizer Recht die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts nicht begründet wäre. Das ist nicht der Fall. Denn nach Art. 144 des Schweizer Zivilgesetzbuchs bestimmt sich bei Scheidungsklagen der Gerichtsstand nach dem Wohnsitz des klagenden Teils (vgl. Jonas in JW 36, 3578). Da der Kläger seinen Wohnsitz in Deutschland hat und somit nach Schweizer Recht die deutschen Gerichte für die von ihm angestrengte Scheidungsklage zuständig sind, wird das von einem deutschen Gericht gefällte Urteil in der Schweiz anerkannt. Demzufolge ergibt sich aus §606 Abs. 3 Ziff 1 ZPO die Zuständigkeit des Landgerichts Wuppertal für die vom Kläger angestrengte Scheidungsklage.
Zutreffend ist das Berufungsgericht gemäss Art. 17 EGBGB davon ausgegangen, dass die Klage nur dann Erfolg haben kann, wenn sie sowohl nach Schweizer als auch nach deutschem Recht begründet ist. In der Sache hat das Berufungsgericht es dahingestellt sein lassen, ob die Scheidungsklage nach deutschem Recht begründet sein würde, da die Klage schon nach Schweizer Recht unbegründet sei. Im Zusammenhang mit der Prüfung nach Schweizer Recht hat das Berufungsgericht ausgeführt, das Schweizer Recht bestimme in Art. 142 des Schweizer Zivilgesetzbuchs:
"Ist eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses eingetreten, dass den Ehegatten die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft nicht zugemutet werden darf, so kann jeder Ehegatte auf Scheidung klagen. Ist die tiefe Zerrüttung vorwiegend der Schuld des einen zuzuschreiben, so kann nur der andere Ehegatte auf Scheidung klagen."
Bei der Trennung der Parteien am 13. Februar 1945 sei die Ehe nicht so tief zerrüttet gewesen, dass dem Kläger die eheliche Gemeinschaft nicht zugemutet werden dürfe. Mit dem Verhalten der Beklagten könne er die Unzumutbarkeit nicht begründen. Denn es könnten ihr keine erheblichen Eheverfehlungen nachgewiesen werden. Die Beweisaufnahme ergebe u.a. auch nicht, dass die Beklagte gegen den Willen des Klägers zum Wochenende ihre Eltern aufgesucht habe.
Die Revision rügt, dass das Berufungsgericht dem Kläger die Beweislast dafür auferlegt habe, dass die Wochenendfahrten der Beklagten gegen seinen Willen erfolgt seien. Nach dem Vortrag des Klägers sei die Eheschliessung wesentlich in der ausgesprochenen, beiderseitigen Absicht erfolgt, dem damals schon 72-jährigen Kläger die seinen Jahren entsprechende Fürsorge zu verschaffen. Werde die Absicht festgestellt, so sei die Beklagte beweispflichtig für eine nachträgliche Änderung dieser Absicht. Sie müsse daher beweisen, dass der Kläger seine Zustimmung zu ihren Wochenendfahrten gegeben habe.
Diese Rüge kann mit der Revision nicht geltend gemacht werden. Nach §549 ZPO kann die Revision nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder der Verletzung einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt oder die dem Bergrecht, dem gemeinen Recht, dem französischen Recht oder dem Badischen Landrecht einschliesslich seiner Zusätze angehört. Die Verletzung einer solchen Vorschrift ist von der Revision nicht gerügt. Darauf, ob die Normen über die Beweislastverteilung dem Verfahrensrecht angehören, wie die Revision in Übereinstimmung mit der wohl herrschenden Lehre annimmt, ob sie dem sachlichen Recht zuzurechnen sind, wie es das Reichsgericht in Übereinstimmung mit einem Teil der Lehre angenommen hat, oder ob sie ein drittes Rechtsgebiet darstellen, das zwischen dem sachlichen und dem reinen Prozeßrecht steht, wie die Beklagte ausführt, kommt es nicht an. Entscheidend für die Frage, ob die Revision die Verletzung der Beweislast rügen kann, ist allein, ob bei der hier zu entscheidenden Rechtsfrage die Beweislast sich nach einer Norm des Bundes- oder des Schweizer Rechts richtet. Fussend auf der romanischen Betrachtungsweise, hatte sich in Deutschland die Gewohnheit herausgebildet, die Regeln des sachlichen Rechts auf den Prozeß abzustellen und damit auch in privatrechtlichen Gesetzen die Beweislast zu regeln. Die Beweislast wurde in früherer Zeit allgemein als Teil des bürgerlichen Rechts angesehen. Daher sah der Gesetzgeber der deutschen Zivilprozeßordnung davon ab, in diesem Gesetz die Beweislast zu regeln. Der erste Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs enthielt dementsprechend in den §§193 bis 198 eine allgemeine Regelung der Beweislast. Diese Vorschrift wurde von der zweiten Kommission gestrichen, um die grundlegenden Fragen der Beweislastverteilung der Rechtsprechung und der Wissenschaft zu überlassen. Dabei war man sich auch bewusst, dass die Frage, ob die Beweislastregeln dem sachlichen oder dem Verfahrensrecht angehören, umstritten waren (Protokolle 1, 258 f, 262 f). Abgesehen von einzelnen speziellen Beweislastregeln, wie sie z.B. in den §§179, 282, 345 u.a. des Bürgerlichen Gesetzbuchs enthalten sind, hat nach deutschem Recht derjenige, der eine Rechtsfolge für sich in Anspruch nimmt, diejenigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, die kraft Gesetzes den Schluss auf die begehrte Rechtsfolge zulassen. Danach muss der Kläger die seinen Anspruch begründenden Tatsachen, der Beklagte gegebenenfalls die rechtshindernden und rechtszerstörenden Tatsachen beweisen. Welche Tatsachen anspruchsbegründend und welche rechtshindernd oder rechtszerstörend sind, kann nur dem in Frage kommenden sachlichen Recht entnommen werden. Daraus folgt, dass eine Norm über die Verteilung der Beweislast für Rechtsverhältnisse, die nach ausländischem Recht zu beurteilen sind, in dem deutschen Recht nicht gefunden werden kann. Die allgemeinen Regeln für die Beweislastverteilung des deutschen Rechts würden bei ihrer Anwendung immer auf das ausländische materielle Recht verweisen. Soweit ausländisches Recht anzuwenden ist, müssen daher auch die darauf bezüglichen Beweislastregeln des betreffenden ausländischen Rechts angewandt werden. Die Verweisung auf das ausländische materielle Recht enthält zwangsnotwendig eine Verweisung auf die dafür geltenden Beweislastregeln des betreffenden Rechts, da anders eine Anwendung dieses Rechts in allen Fällen, wo der Tatbestand der ausländischen Rechtsnorm nicht voll erwiesen ist, überhaupt nicht möglich wäre (vgl. im Ergebnis übereinstimmend RGZ 6, 412 und Stein-Jonas-Schönke §282 IV Ziff 3). Dass das Berufungsgericht diesem Grundsatz zuwider die Beweislast nicht nach Schweizer Recht verteilt hat, kann dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden. Dass es bezüglich der Beweislastverteilung Normen des Schweizer Rechts unrichtig angewandt hat, kann nach §549 ZPO mit der Revision nicht gerügt werden (vgl. RGZ 95, 164; Warneyer 1930, 144 und die nichtveröffentlichten Entscheidungen des Reichsgerichts vom 5. Mai 08 - III 460/07 -, 27. Juni 21 - VI 146/21 - und 12. Juni 22 - IV 744/21 -).
Soweit es sich um Fragen handelt, die nach nichtrevisiblem Recht, zu entscheiden sind, können nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts, von der abzuweichen kein Anlaß besteht, grundsätzlich keine Revisionsrügen aus §§139 u. 286 ZPO erhoben werden (vgl. RGZ 95, 164; 150, 283 [286]; 159, 33 ff [51 f]; Warneyer 33, Nr. 31, JW 38, 173 und DR 40, 587). Dieser Grundsatz greift nur dann nicht durch, wenn vom Standpunkt der Auslegung aus, die das Berufungsgericht selbst dem ausländischen Recht gibt, die Urteilsbegründung verfahrensrechtlich zu beanstanden ist, wenn also insbesondere die Vorschrift des §286 ZPO insofern verletzt ist, als der Berufungsrichter ein Vorbringen, einen Beweisantrag oder das Ergebnis einer etwaigen Beweisaufnahme übersehen hat, obwohl es von dem Rechtsstandpunkt aus, den er für das nichtrevisible Recht eingenommen hat, beachtlich war (vgl. RGZ 78, 156; 159, 33 ff [51 f]).
Eine hiernach mögliche Revisionsrüge hat der Kläger nicht geltend gemacht. Der Kläger beruft sich auf seine Behauptung, er habe die Ehe im Einverständnis mit der Beklagten geschlossen, um dadurch eine seinem Alter entsprechende Versorgung zu finden. Dem angefochtenen Urteil kann nicht entnommen werden, dass das Berufungsgericht nach der Auslegung, die es dem Schweizer Recht gegeben hat, diese Behauptung des Klägers als erheblich angesehen hat. Die Entscheidung hierüber betrifft ausschliesslich die Anwendung des irrevisiblen Schweizer Rechts und ist der Nachprüfung im Revisionsverfahren entzogen. Da es an einer solchen Feststellung des Berufungsgerichts mangelt, kann die Revision nicht geltend machen, dass das Berufungsgericht diese Behauptung des Klägers prozeßordnungswidrig bei der Beweiswürdigung unberücksichtigt gelassen habe.
Die Kostenentscheidung beruht auf §97 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 3018498 |
BGHZ 3, 342 - 347 |
BGHZ, 342 |
NJW 1952, 142-143 (Volltext mit amtl. LS) |