Leitsatz (amtlich)
Die Regelung in § 10 Abs.3 EStG, die im Unterschied zu der in § 10c Abs.4 Satz 2 EStG für verwitwete Arbeitnehmer getroffenen Regelung keine Verdoppelung der Sonderausgabenhöchstbeträge anderer verwitweter Personen vorsieht, verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG.
Orientierungssatz
Im Steuerrecht das Massenvorgänge des Wirtschaftslebens betrifft, darf der Gesetzgeber aus Gründen der Praktikabilität pauschale Maßstäbe wählen und sich mit einer Typengerechtigkeit begnügen. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist insoweit jedoch nicht unbeschränkt. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung einer Regelung auf die Steuerzahler darf ein gewisses Maß nicht übersteigen. Die steuerlichen Vorteile der Typisierung müssen im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen.
Normenkette
EStG 1975 § 10 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1, § 10c Abs. 3-4, § 32a Abs. 5-6, §§ 38, 38b, 38c; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Hamburg (Entscheidung vom 17.11.1980; Aktenzeichen III 142/78) |
Tatbestand
Der als Facharzt selbständig tätige Kläger und Revisionskläger (Kläger) war seit März 1975 verwitwet. Er ist seit Januar 1977 wieder verheiratet. In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1976 erklärte er Einkünfte aus selbständiger Arbeit, Kapitalvermögen und Vermietung und Verpachtung und machte Vorsorgeaufwendungen i.S. von § 10 Abs.1 Nr.2 und 3 des Einkommensteuergesetzes 1975 (EStG) in Höhe von 16 633 DM als Sonderausgaben geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die Vorsorgeaufwendungen lediglich in Höhe von 4 200 DM.
Die Klage, mit der der Kläger begehrte, die Sonderausgabenhöchstbeträge nach § 10 Abs.3 Nr.1 Satz 1 und Nr.3 EStG entsprechend § 10c Abs.4 Satz 2 EStG zu verdoppeln, hatte --wie bereits der Einspruch-- keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 299 veröffentlichten Urteil aus: Eine Verdoppelung der Höchstbeträge für Vorsorgeaufwendungen komme nur im Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten in Betracht. Daß durch § 10c Abs.3 und 4 EStG einem verwitweten Arbeitnehmer ein höherer Sonderausgabenabzug ermöglicht werde als dem Kläger, der keinen Arbeitslohn bezogen habe, verstoße nicht gegen Art.3 des Grundgesetzes (GG). Der Gesetzgeber habe bei der einkommensteuerrechtlichen Regelung von Vorsorgeaufwendungen verwitweter Arbeitnehmer und verwitweter selbständig Tätiger nicht wesentlich Gleiches willkürlich ungleich behandelt. Abgesehen davon, daß ein verwitweter Arbeitnehmer nach dieser Regelung sogar schlechtergestellt sein könne und nur bei einem über 30 100 DM liegenden Arbeitslohn höhere Beträge abziehen könne als der verwitwete selbständig Tätige und dies auch nur in dem einen Jahr nach dem Tod des Ehegatten, lasse die Gesamtregelung der Behandlung von Vorsorgeaufwendungen und Altersversorgungsbezügen keine gravierende Benachteiligung der selbständig Tätigen erkennen (vgl. auch Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 2.Mai 1978 1 BvR 136/78, Der Betrieb --DB-- 1978, 1670, und vom 25.Oktober 1977 1 BvR 15/75, BVerfGE 46, 224 f., sowie vom 26.März 1980 1 BvR 121, 122/76, BVerfGE 54, 11, BStBl II 1980, 545).
Mit der vom FG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend: Durch § 32a Abs.6 EStG werde für Verwitwete die Fiktion der Zusammenveranlagung hergestellt. Deshalb seien die Sonderausgabenhöchstbeträge nach § 10 Abs.3 Nr.1 Satz 1 und Nr.3 EStG zu verdoppeln. § 10c Abs.4 Nr.2 EStG stelle keine besondere vom Gesetzgeber gewollte Vergünstigung für Arbeitnehmer dar, sondern es werde lediglich die Anwendbarkeit der Splittingtabelle im Lohnsteuerabzugsverfahren geregelt.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Einkommensteuer 1976 auf 43 000 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das FG hat zutreffend entschieden, daß die vom Kläger geltend gemachten Vorsorgeaufwendungen nicht in Höhe der für zusammenveranlagte Ehegatten (vgl. § 10c Abs.4 Satz 1 EStG) maßgebenden Höchstbeträge als Sonderausgaben abziehbar sind.
Nach § 10 Abs.3 EStG können Vorsorgeaufwendungen bis zu bestimmten Höchstbeträgen abgezogen werden, die im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten verdoppelt werden. Der Kläger, der im Streitjahr nicht verheiratet war, erfüllte nicht die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung i.S. des § 26 EStG, so daß eine Verdoppelung der Sonderausgabenhöchstbeträge nach dieser Vorschrift nicht in Betracht kommt.
Die Sonderausgabenhöchstbeträge des § 10 Abs.3 Nr.1 Satz 1 und Nr.3 EStG können auch nicht im Rahmen des sog. Witwensplittings verdoppelt werden. Nach § 32a Abs.6 Satz 1 Nr.1 EStG ist zwar das Splitting-Verfahren nach § 32a Abs.5 EStG zur Berechnung der tariflichen Einkommensteuer für das zu versteuernde Einkommen bei einem verwitweten Steuerpflichtigen für den Veranlagungszeitraum, der dem Kalenderjahr folgt, in dem der Ehegatte verstorben ist, bei Vorliegen weiterer, hier nicht streitiger Voraussetzungen anzuwenden. Bei § 32a EStG handelt es sich jedoch, wie sich aus der Überschrift "Einkommensteuertarif" und aus der Verweisung auf das Verfahren zur Berechnung der Einkommensteuer für Verwitwete in § 32a Abs.6 EStG ergibt, um eine Tarifvorschrift. Die Fassung der Vorschrift, die nur den Einkommensteuertarif verwitweter Personen für eine Übergangszeit regelt, läßt indessen die Annahme, daß weitere, die Zusammenveranlagung von Eheleuten betreffende Vorschriften des EStG auch bei Verwitweten anzuwenden seien, nicht zu.
Dieses Verständnis des § 32a Abs.6 EStG als Tarifvorschrift entspricht auch dem gesetzgeberischen Willen. Durch die Ausdehnung des Splittings auf Verwitwete sollten Härten vermieden werden. Es sollte verhindert werden, daß beim Tod eines Ehegatten für den überlebenden Ehegatten alsbald eine steuerliche Schlechterstellung eintritt (vgl. Begründung zu Art.1 Ziff.23 des Entwurfs des Steueränderungsgesetzes 1958, BTDrucks 3/260, 58). Dieser Zweck ist durch die Anwendung des Splitting-Verfahrens bei Verwitweten erfüllt. Im übrigen zeigt gerade die Fassung des § 10c Abs.4 EStG, daß der Gesetzgeber eine deutliche Unterscheidung zwischen der Zusammenveranlagung und der Ermittlung der tariflichen Einkommensteuer nach § 32a Abs.6 EStG vorgenommen hat.
Obgleich für eine Verdoppelung der Höchstbeträge für Vorsorgeaufwendungen von Verwitweten kein Anlaß bestand, da für den verstorbenen Ehegatten keine Vorsorgeaufwendungen mehr anfallen, sieht § 10c Abs.4 EStG bei Steuerpflichtigen, bei denen die tarifliche Einkommensteuer nach § 32a Abs.6 EStG zu ermitteln ist, eine Verdoppelung der Vorsorgepauschale des § 10c Abs.3 EStG vor. Da die Vorsorgepauschale nur Steuerpflichtigen zusteht, die Arbeitslohn beziehen, hat der Kläger, der im Streitjahr keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt hat, demzufolge keinen Anspruch auf sie.
Eine entsprechende Anwendung des § 10c Abs.4 Satz 2 EStG auf die Sonderausgabenhöchstbeträge des § 10 Abs.3 EStG kommt nicht in Betracht; denn es ist keine Regelungslücke gegeben (vgl. zur Analogie Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5.Aufl., S.365 f.). Die Verdoppelung der Vorsorgepauschale für verwitwete Arbeitnehmer ist allein durch das Lohnsteuerabzugsverfahren bedingt. Der Gesetzgeber hat nämlich in typisierender Weise verwitwete Arbeitnehmer in die Steuerklasse III eingeordnet (vgl. § 38b Satz 2 Nr.3 b EStG), weil nur in der Steuerklasse III die Lohnsteuer nach dem Splitting-Verfahren ermittelt wird. Daß in dieser Steuerklasse die für die Zusammenveranlagung vorgesehene verdoppelte Vorsorgepauschale eingearbeitet ist, läßt sich im Hinblick auf die gebotene einfache, klare und überschaubare Durchführung des Lohnsteuerabzugs rechtfertigen. Jedenfalls kann aus dieser typisierenden Regelung nicht auf eine Regelungslücke im Bereich der Sonderausgabenhöchstbeträge geschlossen werden.
Die unterschiedliche Behandlung von Vorsorgeaufwendungen verwitweter Arbeitnehmer gegenüber denjenigen verwitweter Steuerpflichtiger, die keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit beziehen, verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz (Art.3 GG). Der Senat verkennt dabei nicht, daß im Streitjahr die Vorsorgepauschale eines verwitweten Arbeitnehmers bis zu 1 200 DM mehr als die Sonderausgabenhöchstbeträge, die einem Steuerpflichtigen zustehen, der keinen Arbeitslohn bezieht, betragen konnte.
Der Gleichheitssatz ist nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG aber nur dann verletzt, wenn sich für eine gesetzliche Differenzierung ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund nicht finden läßt und deshalb die Gesetzesbestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß. Als willkürlich in diesem Sinne ist anzusehen, wenn die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist (Beschluß des BVerfG vom 6.Dezember 1983 2 BvR 1275/79, BVerfGE 65, 325, 354). Im Steuerrecht, das Massenvorgänge des Wirtschaftslebens betrifft, darf der Gesetzgeber allerdings aus Gründen der Praktikabilität pauschale Maßstäbe wählen und sich mit einer Typengerechtigkeit begnügen. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist insoweit jedoch nicht unbeschränkt. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung einer Regelung auf die Steuerzahler darf ein gewisses Maß nicht übersteigen. Die steuerlichen Vorteile der Typisierung müssen im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen. Geringfügige oder nur in besonderen Fällen auftretende Ungleichheiten sind jedoch unbeachtlich (Urteil des BVerfG vom 20.Dezember 1966 1 BvR 320/57, 70/63, BVerfGE 21, 12, 27). Hiervon geht der Senat im vorliegenden Fall aus. Er hält die hier in Erscheinung tretenden Ungleichheiten für unbeachtlich. Hierbei kann der Senat offenlassen, ob der Gesetzgeber im Hinblick auf die Entscheidungen des BVerfG vom 25.April 1972 1 BvL 38/69, 25/70 und 20/71 (BVerfGE 33, 90) und 1 BvL 30/70 (BVerfGE 33, 106) gehalten war, durch § 10c Abs.4 Satz 2 EStG die Regelung der doppelten Vorsorgepauschale auszudehnen. Denn es ist nach Auffassung des Senats verfassungsrechtlich jedenfalls noch vertretbar, daß verwitwete Steuerpflichtige, die keinen Arbeitslohn beziehen, gegenüber Arbeitnehmern hinsichtlich der Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen nicht völlig gleichgestellt sind. Abgesehen davon, daß diese typisierende Regelung für verwitwete Arbeitnehmer durch das für den Lohnsteuerabzug maßgebende Steuerklassensystem vorgegeben war, wirkt sich diese Regelung nicht nur günstig, sondern unter Umständen auch nachteilig für die Arbeitnehmer aus, wie das FG zutreffend ausgeführt hat. Außerdem ist diese Regelung auf einen kurzen Zeitraum, nämlich auf ein Jahr, begrenzt und in den finanziellen Auswirkungen unter Berücksichtigung der Progression gering.
Fundstellen
Haufe-Index 60865 |
BStBl II 1986, 353 |
BFHE 145, 383 |
BFHE 1986, 383 |
BB 1986, 1066-1066 (ST) |
DB 1986, 624-624 (ST) |
DStR 1986, 205-206 (ST) |
HFR 1986, 293-294 (ST) |