Leitsatz (amtlich)
Der Beginn der Betriebsprüfung bei einem Konzernunternehmen (Personengesellschaft) hemmt nicht den Ablauf der Verjährung von Einkommensteueransprüchen, die sich aus der Beteiligung eines Gesellschafters an einer anderen zum Konzern gehörenden Personengesellschaft ergeben.
Normenkette
AO § 146a Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute; sie werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Die Klägerin war im Streitjahr 1968 an folgenden Gesellschaften beteiligt, die alle zu der - insgesamt 42 Unternehmen umfassenden - Unternehmensgruppe A. Z. gehören:
1. A. Z. Korrespondentreeder (A. Z.)
2. Partenreederei MS "Lore"
3. Partenreederei MS "Sandra"
4. MS "Manuela" Schiffahrtsgesellschaft A. Z. Bereederungs GmbH & Co. (GmbH & Co. KG).
Die Tätigkeit der A. Z. umfaßte die Bereederung von Schiffen, die Beratung von Schiffahrtsbetrieben, die Finanzierung von Schiffsbauten, die Vermittlung von Schiffen und Schiffsparten sowie die Tätigkeit als Korrespondentreeder. Gesellschafter der A. Z. waren A. Z. und - bis zum 31. Dezember 1971 - die Klägerin als atypisch stille Gesellschafterin. Korrespondentreeder für die Partenreedereien MS "Lore" und MS "Sandra" war die A. Z. Bereederungs GmbH (GmbH). Die GmbH war ferner persönlich haftende Gesellschafterin der GmbH & Co. KG. Alleinige Gesellschafterin und Organträger der GmbH war die A. Z.
Am 12. August 1974 ordnete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) eine Betriebsprüfung bei den zur Unternehmensgruppe A. Z. gehörenden Gesellschaften an. Geprüft wurden u. a. die Partenreederei MS "Sandra" vom 2. bis 10. September 1974, die Partenreederei MS "Lore" vom 11. bis 19. September 1974 und die GmbH & Co. KG vom 27. bis 29. Mai 1975. Die A. Z. wurde mit Unterbrechungen bis zum 13. Januar 1977 geprüft.
Die Feststellungen der Betriebsprüfung führten zum Erlaß geänderter Feststellungsbescheide für die genannten Gesellschaften und zur Änderung des endgültigen Einkommensteuerbescheides 1968 gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). In dem geänderten Einkommensteuerbescheid vom 16. Dezember 1977 ist ein um 49 027 DM höherer Gewinnanteil der Klägerin aus ihrer Beteiligung an der A. Z. und ein um insgesamt 286 DM niedrigerer Anteil am Verlust der übrigen Gesellschaften berücksichtigt.
Der Einspruch der Kläger blieb erfolglos.
Mit der Klage machten die Kläger geltend, der Einkommensteueranspruch sei - soweit er auf dem geänderten Gewinnfeststellungsbescheid für die A. Z. beruhe - mit Ablauf des Jahres 1975 verjährt. Der Ablauf der Verjährung sei auch nicht gemäß § 146 a der Reichsabgabenordnung (AO) gehemmt worden. Denn die Betriebsprüfung bei der A. Z. habe frühestens im Jahre 1976 - also nach Eintritt der Verjährung - begonnen.
Die Kläger widersprachen auch der Behauptung des FA in der Einspruchsentscheidung, die Betriebsprüfer seien am 2. September 1974 "anläßlich eines einleitenden Gesprächs vor Beginn der Prüfung der Firmengruppe firmenseitig ausdrücklich darum gebeten worden, mit der Prüfung nicht bei den beiden Firmen A. Z. Korrespondentreederei oder A. Z. Bereederungs GmbH zu beginnen".
Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1982, 226 veröffentlicht ist, hat über den Inhalt des bei Prüfungsbeginn am 2. September 1974 geführten Gesprächs und zum tatsächlichen Ablauf der Prüfung Beweis erhoben durch Vernehmung des Betriebsprüfers X., des Prozeßbevollmächtigten der Kläger und des im Büro des Bevollmächtigten beschäftigten H. Auf die Sitzungsniederschrift vom 24. November 1981 wird Bezug genommen.
Das FG hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Der strittige Einkommensteueranspruch sei entgegen der Ansicht der Kläger im Zeitpunkt seiner Festsetzung nicht verjährt gewesen. Der Ablauf der Verjährung sei durch die Betriebsprüfung bei den Partenreedereien MS "Lore" und MS "Sandra" und bei der GmbH & Co. KG in den Jahren 1974 und 1975 gehemmt worden (§ 146 a Abs. 3 AO). Zwar seien bei Konzernen und ähnlichen Gebilden Prüfungsmaßnahmen gegenüber einer Einzelgesellschaft in der Regel ohne Bedeutung für andere zur selben Unternehmensgruppe gehörende Gesellschaften. Die Frage sei jedoch anders zu beurteilen, wenn es sich um wirtschaftlich eng miteinander verflochtene Gesellschaften handele, die sich gegenseitig ergänzten und in bewußtem und gewollten Zusammenwirken am Wirtschaftsleben teilnähmen.
So liege es hier im Verhältnis der einzelnen Gesellschaften zur Konzernspitze (A. Z.).
Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Revision. Sie rügen die Verletzung des § 146 a Abs. 3 AO.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1968 dahin gehend zu ändern, daß der streitige Gewinnanteil der Klägerin von 49 027 DM als verjährt unberücksichtigt bleibt.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Der Senat kann aufgrund der bisherigen Feststellungen der Vorinstanz nicht abschließend beurteilen, ob der streitige Einkommensteueranspruch bei Erlaß des geänderten Einkommensteuerbescheides 1968 bereits verjährt war.
1. Der Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist für den Einkommensteueranspruch 1968 (§ 144 AO i. V. m. Art. 97 § 10 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 14. Dezember 1976 - EGAO 1977 -, BGBl I, 3341 BStBl I, 667) ist - soweit dieser auf dem geänderten Gewinnfeststellungsbescheid für die A. Z. beruht - nicht durch die Betriebsprüfungen bei der GmbH & Co. KG und bei den Partenreedereien MS "Lore" und MS "Sandra" gehemmt worden.
Die entgegenstehende Ansicht der Vorinstanz ist unvereinbar mit dem klaren Wortlaut des § 146 a Abs. 3 AO. Danach wird der Ablauf der Verjährung nur hinsichtlich der Steueransprüche gehemmt, "auf die sich die Betriebsprüfung erstreckt" hat. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat hierzu wiederholt die Auffassung vertreten, daß es für den sachlichen Umfang der Ablaufhemmung entscheidend ist, worauf sich die Betriebsprüfung tatsächlich erstreckt hat, d. h., was den Gegenstand der Betriebsprüfung gebildet hat (vgl. Urteil vom 10. Dezember 1971 III R 35/71, BFHE 104, 282, BStBl II 1972, 331; Beschluß vom 21. November 1972 VII B 80/71, BFHE 107, 360, BStBl II 1973, 130; Urteil vom 26. März 1974 VII R 133/71, BFHE 112, 324). Gegenstand der Betriebsprüfung bei den Partenreedereien und bei der GmbH & Co. KG konnten in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht nur solche Sachverhalte sein, die für die einheitlichen Gewinnfeststellungen dieser Gesellschaften von Bedeutung waren (vgl. zur Rechtslage nach der AO 1977: § 194 Abs. 1 AO 1977).
Die Prüfung der Gewinnfeststellung einer Personengesellschaft umfaßt nach § 215 Abs. 2 Nr. 2 AO (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977), § 15 Nr. 2, § 16 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) den Gewinn der Gesellschaft, den Anteil der Gesellschafter an diesem Gewinn und die in § 15 Nr. 2 EStG an zweiter Stelle genannten Vergütungen für die Überlassung von Arbeitskraft, Kapital oder Wirtschaftsgütern an die Gesellschaft sowie Gewinne aus der Veräußerung des Gesellschaftsanteils und andere Sonderbetriebseinnahmen und -ausgaben der Gesellschafter, die ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis haben. Andere steuerliche Verhältnisse der Gesellschafter werden dagegen nicht erfaßt (BFH-Urteil vom 5. Dezember 1978 VIII R 19/76, BFHE 127, 493, BStBl II 1979, 529). Die Betriebsprüfungen bei den Partenreedereien und bei der GmbH & Co. KG konnten sich somit nicht auf die Gewinne der A. Z. und die Anteile der Klägerin an diesen Gewinnen erstrecken. Selbst wenn dies im Streitfall geschehen sein sollte, wäre dadurch nicht der Ablauf der Verjährung des hier streitigen Einkommensteueranspruchs gehemmt worden (BFH-Urteil vom 12. Juli 1978 II R 13/75, BFHE 126, 121, BStBl II 1979, 250).
Der Auffassung des FG, bei wirtschaftlich eng verflochtenen Gesellschaften gebiete der Zweck der Vorschrift eine vom Wortlaut des § 146 a Abs. 3 AO abweichende Auslegung, kann nicht gefolgt werden.
Mit der Neuregelung der Verjährungsvorschriften durch das Gesetz zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 - AOÄG - (BGBl I, 1356, BStBl I, 643) wollte der Gesetzgeber die berechtigte Forderung der Steuerpflichtigen nach baldiger Gewißheit über die endgültige Höhe der Steuerschuld und das Interesse der Allgemeinheit an einer gleichmäßigen und gerechten Besteuerung besser aufeinander abstimmen. Aus diesem Grunde sollte auch der Betriebsprüfung keine verjährungsunterbrechende Wirkung mehr zukommen. In der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drucks. IV/2442, S. 13) ist dazu bemerkt: "Der Steuerpflichtige erhält danach die absolute Gewißheit, daß nach Ablauf der in §§ 144 bis 146 a AO genannten Fristen Abgabennachforderungen gegen ihn nicht mehr erhoben werden."
Die mit der Neufassung der Verjährungsvorschriften durch das AOÄG erstrebte Verbesserung des Rechtsschutzes auf dem Gebiet der Verjährung ist nur gewährleistet, wenn über Art und Umfang der durchgeführten Betriebsprüfung - und damit über den Umfang der Ablaufhemmung - keine Unklarheiten bestehen (BFHE 112, 324).
Im Interesse der Rechtssicherheit muß eindeutig feststehen, hinsichtlich welcher Steueransprüche die Rechtsfolge der Ablaufhemmung eingetreten ist. Diesem Zweck der Verjährungsvorschriften wird die vom FG vertretene Auslegung des § 146 a Abs. 3 AO nicht gerecht.
2. Der Senat teilt auch nicht die Ansicht des FG, die Verjährung des streitigen Einkommensteueranspruchs sei jedenfalls deshalb nicht eingetreten, weil der Beginn der Betriebsprüfung bei der A. Z. auf Antrag ihrer Bevollmächtigten hinausgeschoben worden sei (§ 146 a Abs. 3 2. Alternative AO). Diese Auffassung wird durch die tatsächlichen Feststellungen der Vorentscheidung, an die der Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), nicht gestützt. Danach ist davon auszugehen, daß ein förmlicher Antrag mit dem Ziel, die Betriebsprüfung bei der A. Z. hinauszuschieben, nicht gestellt wurde. Nach den Feststellungen des FG haben die Bevollmächtigten der A. Z. in dem einleitenden Gespräch mit den Prüfern lediglich den Wunsch geäußert, die - zunächst nur für die Jahre 1967 bis 1970 angeordnete - Betriebsprüfung auf die Folgejahre 1971 und 1972 zu erweitern. Zu diesem Zeitpunkt waren die Jahresabschlüsse der A. Z. für 1971 und 1972 unstreitig noch nicht fertiggestellt. Entgegen der Ansicht des FG kann diese Bitte, auch unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Streitfalls, einem Antrag i. S. des § 146 a Abs. 3 AO nicht gleichgestellt werden. Zwar kann auch eine mündlich geäußerte Bitte, die Betriebsprüfung hinauszuschieben, den Ablauf der Verjährungsfrist hemmen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 171 AO 1977, Tz. 14; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 171 AO 1977, Anm. 19). Erforderlich ist jedoch stets, daß der Antrag erkennbar darauf abzielt, die Prüfung möge zu dem beabsichtigten Zeitpunkt unterbleiben und zu einem späteren Termin durchgeführt werden (Tipke/Kruse, a. a. O.). Es genügt nicht, daß der Steuerpflichtige - ohne einen solchen Antrag gestellt zu haben - durch sein Verhalten Anlaß zu einer Verschiebung der Betriebsprüfung gegeben hat. Die Verjährungsvorschriften dienen, wie oben dargelegt wurde, in besonderem Maße der Wahrung der Rechtssicherheit. Dieser Zweck gebietet es, nur solche Erklärungen als Antrag i. S. des § 146 a Abs. 3 AO aufzufassen, in denen klar und eindeutig der Wunsch des Steuerpflichtigen zum Ausdruck kommt, den Prüfungsbeginn hinauszuschieben. Der Antrag muß als verjährungshemmende Maßnahme für den Steuerpflichtigen erkennbar sein (vgl. BFH-Urteil vom 3. Juni 1975 VII R 46/72, BFHE 116, 95, BStBl II 1975, 786). Ein eindeutiger Antrag, die Betriebsprüfung hinauszuschieben, ist im Streitfall nicht gestellt worden. Durch die Bitte, den Prüfungszeitraum zu erweitern, konnte der Ablauf der Verjährungsfrist nicht gehemmt werden, und zwar auch dann nicht, wenn diese Bitte für die Verschiebung der Betriebsprüfung ursächlich gewesen sein sollte.
Der Einwand des FA, die Kläger verstießen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn sie sich auf die Verjährung des Steueranspruchs beriefen, geht fehl. Anders als im bürgerlichen Recht (vgl. § 222 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) bewirkt die Verjährung im Steuerrecht das Erlöschen des Anspruchs (§ 148 AO). Der Ablauf der Verjährungsfrist ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Juni 1967 GrS 3/66, BFHE 91, 213, BStBl II 1968, 285).
3. Da die Verjährung des streitigen Steueranspruchs weder durch die Betriebsprüfungen bei den Partenreedereien und der GmbH & Co. KG noch durch die Bitte, den Prüfungszeitraum für die A. Z. zu erweitern, gehemmt worden ist, kommt es entscheidend darauf an, ob mit der Betriebsprüfung bei der A. Z. noch vor Ablauf der Verjährungsfrist - also vor Ablauf des Jahres 1975 - begonnen worden ist.
Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Zusendung der Betriebsprüfungs-Anordnungen an die zur Unternehmensgruppe A. Z. gehörenden Gesellschaften noch nicht den Beginn der Betriebsprüfung darstellte.
Der Begriff der Betriebsprüfung i. S. des § 146 a Abs. 3 AO setzt eine besonders qualifizierte Maßnahme der Verwaltung voraus, die wegen ihres besonderen Gewichts für den Betroffenen keine Zweifel darüber läßt, daß sie hinsichtlich des betreffenden Steuerfalles zur Überprüfung vorgenommen wird, ob die Steuer richtig erhoben wurde; derartige Maßnahmen müssen nicht gegenüber dem Steuerpflichtigen evident werden; es würde bereits genügen, wenn der Betriebsprüfer, wie das FA behauptet, nach Zusendung der Prüfungsanordnung die Akten studiert haben sollte (BFH-Urteil vom 7. August 1980 II R 119/77, BFHE 131, 437, BStBl II 1981, 409).
Das FG hat keine tatsächlichen Feststellungen darüber getroffen, wann bei der A. Z. mit einer Betriebsprüfung in diesem Sinne begonnen wurde. Die Sache geht daher an das FG zurück.
Fundstellen
BStBl II 1984, 125 |
BFHE 1984, 496 |