"In Budgetverhandlungen den ersten Anker werfen"

Personalmagazin neues lernen: Sie führen selbst viele Verhandlungen und sind als "Shadow Negotiator" tätig. Warum werden Sie dazu geholt und zu welchem Zeitpunkt einer Verhandlung?
Dr. Martina Pesic: In der Regel werde ich schon sehr früh reingeholt, und das ist auch gut so. Denn je weiter die Verhandlungen fortgeschritten sind, desto eher ist dann schon das sprichwörtliche Kind in den Brunnen gefallen. Im Idealfall bin ich schon an Bord, bevor die erste Zahl genannt wird.
neues lernen: Warum vor der ersten Zahl?
Pesic: Es gibt nichts in Verhandlungen, was einen größeren Einfluss auf das Verhandlungsergebnis hat als die erste genannte Zahl. Sie bestimmt, wo wir mit dem Ergebnis landen können. Man kann sich das vorstellen wie einen Anker: Man schippert zuerst ein bisschen herum im Ozean, und dann wirft eine Person den Anker. Um diesen Ankerpunkt herum wird sich das Boot die ganze Zeit drehen. Das heißt, wenn ein Anker falsch gesetzt wird, zum Beispiel eine zu niedrige Zahl für ein Angebot genannt wird, dann ist es sehr mühsam, diesen Anker wieder zu lichten und das Schiff zu versetzen.
Budgetverhandlungen vorbereiten
neues lernen: Lassen Sie uns das auf die konkrete Verhandlungssituation in der Personalentwicklung übertragen: Wer sich darauf vorbereitet, mit der HR-Bereichsleitung über das künftige Budget für Weiterbildung zu verhandeln, sollte sich also auf die erste vorgeschlagene Zahl konzentrieren – und im besten Fall selbst nennen?
Pesic: Nein, die Vorbereitung auf Budgetverhandlungen sollte früher ansetzen: Zuerst muss man herausfinden, was denn nun wirklich die Bedürfnisse der Verhandlungspartner sind. Es gibt eine Verhandlungsposition und dahinter existieren Interessen, Wünsche, Ängste. Die gilt es erst einmal herauszukitzeln. Bei Budgetverhandlungen geht es nie nur darum, Geld zu streichen. Genauso wenig wie es bei Entlassungen nicht nur darum geht, Menschen zu kündigen. Das dahinterliegende Ziel ist doch, das Unternehmen wirtschaftlich stabiler, profitabler oder auch agiler aufzustellen. Indem man sich vor Budgetverhandlungen überlegt, welcher Wunsch hinter der Kürzung steht, vergrößert man den Verhandlungskuchen. Man findet mehr Ansatzpunkte, über die man sprechen kann als das reine Budget. Meiner Erfahrung nach laufen die Verhandlungen umso glatter, je besser wir es verstanden haben, diesen Mehrwert für die andere Seite zu verstehen und aufzubauen. Man fügt dem Verhandlungskuchen noch eine extra Schicht Pudding, Sahne oder die berühmte Kirsche hinzu. Es geht um eine Value-Selling-Perspektive.
neues lernen: Das ist eine Vertriebsstrategie, bei der das Lösen von Kundenproblemen im Vordergrund steht statt der Verkauf über Produktmerkmale. Aber was kann denn die Kirsche darstellen in Budgetverhandlungen?
Pesic: Man muss sich fragen, wie man dazu beitragen kann, die Herausforderung der Führungskraft zu lösen. Wenn ich gut darüber im Bild bin, was die Bereichsleitung umtreibt, kann ich dieses übergeordnete Ziel auf meine eigene Tätigkeit in der Personalentwicklung übertragen und daraus ein Konzept entwickeln. Mit diesem Konzept kann man in der Verhandlung positiv überraschen. Wenn zum Beispiel das Ziel der Führungskraft ist, dass das Unternehmen wieder wirtschaftlicher wird, kann man vorschlagen, die Effizienz der Mitarbeitenden zu steigern. Die Personalentwicklung kann ein Konzept vorlegen, das zeigt, wie künstliche Intelligenz im Arbeitsalltag Zeit spart und wie die Mitarbeitenden dafür geschult werden können. Oder ein Personalentwickler kann eine Sales-Weiterbildung anbieten, die an einen konkreten ROI gekoppelt wird: Wir investieren heute in die Sales-Weiterbildung, damit wir morgen einen um X Prozent höheren Umsatz vorweisen können.
neues lernen: Das heißt, man bereitet sich nicht darauf vor, über das Budget zu verhandeln, sondern geht direkt mit diesen Vorschlägen in die Verhandlung?
Pesic: Wenn man die eigenen Ziele in der Verhandlung an die Position der Budgetkürzung knüpft, hat man schon verloren. Wer direkt anbietet, wo das Budget gekürzt werden kann, geht eben auch mit diesen Kürzungen aus der Verhandlung raus. Aber wenn man sich vorher überlegt, was eigentlich erreicht werden soll, kann man das mit einem positiven Ziel verknüpfen – mit etwas, was man für die Personalentwicklungsstrategie auch umsetzen möchte. Damit kriegt man den Verhandlungspartner rum. Ich teste bewusst die Grenzen dessen aus, was als realistisch gilt. Man könnte auch sagen, dass ich an die Grenze der Unverschämtheit gehe. Ich höre oft vor Verhandlungen, dass meine Forderungen absurd und unmöglich sind. Aber ich erziele damit genauso oft überraschend gute Ergebnisse. So habe ich schon erlebt, dass das Budget sogar erhöht statt gekürzt wurde. Ich konnte davon überzeugen, dass die Erhöhung die Maßnahme war, mit der beide Verhandlungsseiten vorankamen.
Verhandlungen: zwischen Forderung und Flexibilität
neues lernen: Also alles eine Frage des Mindsets?
Pesic: Klar, das spielt auch eine Rolle. Wenn man sich vorher nur überlegt, wo man denn überall nachgeben kann, damit der Deal überhaupt zustande kommt, kann man auch keine Überraschung erwarten. Man sollte immer mit dem Mindset reingehen, Forderungen zu stellen, um die eigenen ambitionierten Ziele zu erreichen. Ganz wichtig ist dann aber, auch den Mehrwert für die andere Seite ganz konkret zu benennen, greifbar zu machen und flexibel zu bleiben. Denn das Verhandlungsergebnis muss auch die Gegenseite gut dastehen lassen. Schließlich will sie auch ihre Ziele erreichen und die Entscheidung hinterher verargumentieren können.
neues lernen: Aber ist das wirklich realistisch, Forderungen zu stellen statt Budgetkürzungen möglichst herunterzuhandeln?
Pesic: Das ist völlig realistisch, wenn sie den Mehrwert, den ihre Forderungen für den Verhandlungspartner erbringen, gut darstellen und auch die Verlustaversion in ihre Argumentation integrieren.
neues lernen: Und wie genau kann das aussehen?
Pesic: Risiken und Verluste werden von Menschen viel höher bewertet als Gewinne. Dieses Phänomen ist unter dem Begriff "Verlustaversion" bekannt und geht auf die "Prospect Theory" von Daniel Kahnemann und Amos Tversky zurück. Das kann man sich in der Verhandlung zunutze machen, indem man erst den Mehrwert für die Gegenseite aufbaut und dann das Risiko aufzeigt, wenn man diesen Mehrwert nicht bekommt. Ein konkretes Beispiel dafür: Ein Vertriebstraining kann die Rabattquote zum Beispiel um vier Prozent reduzieren, die Abschlüsse um sieben Prozent steigern. Man steigert damit den Umsatz um eine konkrete Zahl und stellt dieser Zahl das geringe Invest für eine Sales-Schulung gegenüber. Die Gegenseite will diesen Mehrwert, die Umsatzsteigerung, nicht verlieren und tätigt darum das Invest. Das ist wie die klassische Karotte vor die Nase zu halten, sodass man danach greift.
ROI betrieblicher Weiterbildung
neues lernen: Gerade solche konkreten Zahlen sind aber für viele Personalentwicklungsmaßnahmen nicht so einfach zu berechnen wie im Beispiel des Sales-Trainings ...
Pesic: Wenn der ROI einer Weiterbildung nicht von vornherein feststeht, kann man auch einfach vorschlagen, eine Vorher-nachher-Messung neu einzuführen. Jetzt eine Nullmessung und nach einem Jahr schauen, welchen Effekt das Invest hatte. Wenn es keinen Effekt zeigt, sagt man heute schon zu, diese Maßnahme einzustellen. Und man kann auch hier wieder die Argumentation umkehren: Was wird es das Unternehmen kosten, wenn wir nicht weiterbilden? Kosten für die Fluktuation von frustrierten Mitarbeitenden, die keine Weiterbildung erhalten, lassen sich konkret berechnen. Auch die Wirkung von toxischer Führung oder Teamkonflikten auf Kündigungsquoten lässt sich belegen und zusammen mit den Kosten für Recruiting und Onboarding aufrechnen.
neues lernen: Nun haben wir darüber gesprochen, wie sich Budgetverhandlungen langfristig vorbereiten lassen. Was raten Sie aber, wenn das nicht möglich ist? Wenn ein kurzfristiges Meeting anberaumt wird, in dem es nicht um das Ob, sondern nur noch um das Wie viel geht?
Pesic: Auch hier muss man sich vorher überlegen, was man alles noch fordern kann, um das eigene ambitionierte Ziel zu erreichen. Man muss immer wegkommen von dem Gedanken: Wo kann ich überall nachgeben, um den Deal zu retten? Es gilt immer das Prinzip "Quid pro quo" – nie etwas umsonst geben, immer auf eine Gegenleistung beharren.
neues lernen: Haben Sie konkrete Beispiele dafür?
Pesic: Wenn schon feststeht, dass 20 Prozent vom Budget gekürzt werden soll, kann man zum Beispiel fordern, gleichzeitig festzulegen, das Budget nach einem Jahr wieder voll zu erhalten. Oder wenn bestimmte Schulungsmaßnahmen gestrichen werden sollen, kann man vorschlagen, sie statt extern in einer teuren Location intern mit eigenen Trainern abzuhalten. Es geht darum, möglichst viele Forderungen vorzubringen. Auf keinen Fall darf man sie schon im Vorhinein aussortieren, weil man sie für unrealistisch hält. Denn nicht jede einzelne Forderung muss erfüllt werden. Vielmehr muss die Gegenseite das Gefühl bekommen, dass sie etwas schuldig ist. Wer oft Nein sagt, möchte auch mal Ja sagen – aus einem psychologischen Ausgleichsbedürfnis heraus. Dann sollte man auch ganz direkt danach fragen, welche Gegenleistung man für die eigenen Zugeständnisse erhalten kann.
neues lernen: Muss ich dafür nicht erst einmal das Angebot der Gegenseite kennen?
Pesic: Man darf niemals in eine Verhandlung reingehen mit der Einstellung, sich erst einmal anzuhören, was das Angebot ist. Wenn die Gegenseite eine klare Vorstellung vom Verhandlungsziel hat und den Anker wirft, schaut man dem nur noch hinterher, wie er im Wasser verschwindet. Man muss proaktiv reingehen; direkt erklären, dass man sich schon Gedanken gemacht hat über das Budget für das nächste Jahr und dann auch einfach eine höhere Zahl für das Budget nennen als im vergangenen Jahr – auch wenn man selbst zunächst Zweifel an der Durchsetzbarkeit hat.
neues lernen: Dafür muss ich aber Konzepte vorbereitet haben und kann nicht kurzfristig in das Meeting gerufen werden.
Pesic: Man muss sich in jedem Fall vorher darüber im Klaren sein, was die eigenen Ziele sind. Da gibt es ja auch ganz unterschiedliche Motive: Will ich ein gewisses Budget erhalten, weil es um mein Ego geht? Oder habe ich Angst, Mitarbeitende entlassen zu müssen? Will ich, dass meine Abteilung weiterhin eine hohe Sichtbarkeit im Unternehmen hat? Wenn ich mir darüber im Klaren bin, kann ich meine Ziele und Walk-Away-Punkte definieren und darauf aufbauende Forderungen einbringen. Ich muss meine Bedürfnisse mit denen der Gegenseite verbinden. Der andere darf nur bekommen, was er will, wenn ich auch meine Bedürfnisse damit erfüllen kann. Es geht eben um mehr als nur das Budget. Es geht um den Mehrwert für beide Seiten. Das zu verstehen, stellt einen grundsätzlichen Mindshift dar.
Das Interview ist erschienen in neues lernen, Ausgabe 3/2025, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der App personalmagazin - neues lernen. In der App finden Sie auch die aktuellen News rund um "neues lernen" und den Podcast für die betriebliche Lernszene. Kristina Enderle da Silva und Julia Senner hinterfragen im Podcast "neues lernen" aktuelle Lerntrends, liefern Fakten und geben Einblicke in die Unternehmenspraxis.
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