Zuhören in der Führung und als Erfolgsfaktor im Change-Prozess

Kommunikation ist eine der wichtigsten Aufgaben in der Führungs­arbeit. Dabei wird jedoch eine Komponente oft vernachlässigt: Während an Reden und Argumenten lange gefeilt wird, hören die wenigsten Führungskräfte den Mitarbeitenden aufmerksam und offen zu – auch und gerade in Veränderungs­prozessen.

Strukturveränderungen, Digitalisierung, Prozessoptimierungen sowie ein Wandel der Organisationskultur und Zusammenarbeit sind die häufigsten Transformationsthemen in Organisationen. Als wäre dieser Veränderungsdruck noch nicht genug, kommen noch der demografische Wandel sowie die Mitarbeiterbindung und -gewinnung als Ebenen in dieser Dynamik dazu. 

Diejenigen Organisationen, die diese Veränderungen nicht nur inhaltlich, sondern vor allen Dingen hinsichtlich der Prozesse menschlich gut gestalten, werden erfolgreich sein. Dieser Gedanke ist in den Personal- und Organisationsentwicklungsbereichen präsenter als in den Vorstands- und Führungsteams. Es wird sehr viel Zeit und Budget in Change-Prozesse, zum Beispiel Reorganisationen oder Leitbildentwicklungen, investiert. Umso erschreckender, dass laut einer Studie der Porsche Consulting 80 Prozent der strategischen Veränderungen ihr Ziel verfehlen. Hauptursachen sind unzureichende Kommunikation und Führung sowie fehlende Mitarbeitendenbeteiligung – also die soften, menschlichen Ebenen der Transformationsgestaltung. Das Problem in Veränderungsprozessen ist nicht der Mangel an Zielen, Visionen und hübschen Folien. Das Problem ist in vielen Unternehmen, dass Führungskräfte sich untereinander und den Mitarbeitenden zu wenig zuhören und sich zu wenig austauschen.

Zuhören als Führungskompetenz ist umfassend und benötigt Strukturen

Mehr zuhörende und weniger sendende Führungskräfte sind die Basis für die erfolgreiche Umsetzung von strategischen Veränderungen. Zuhören als Kompetenz für Führungskräfte umfasst vier Ebenen: 

  • Zuhören wollen: Zuhören als innere Haltung
  • Zuhören können: Zuhören als individuelle Kompetenz
  • Zuhören strukturieren: Zuhören in der Zusammenarbeit etablieren
  • Zuhören leben: Zuhören als Ausdruck eines Führungsverständnisses

Zuhören ist in persönlichen Gesprächen, teamintern als auch mit Schnittstellen, wichtig. Doch Zuhören ist mehr als eine Kompetenz, die durch Führungsmodule bewusst trainiert wird. Zuhören benötigt in Prozessen, Meetings und im Tagesgeschäft Strukturen. Das gilt insbesondere bei Veränderungsprozessen. Dass sich die Stakeholder in Veränderungsprozessen mehr zuhören, fällt nicht vom Himmel. Der Bereich Organisations- und Personalentwicklung kann und sollte dies von Anfang an einplanen und einfordern – um das eigene Potenzial, aber auch die Potenziale der Führungskräfte und Mitarbeitenden, bestmöglich zu nutzen. 

Potenzial 1: Zuhören ermöglicht eine bessere Auftrags- und Rollenklärung als Basis für Veränderungsprozesse

Veränderungsprozesse laufen oft wie folgt ab: Das Vorstandsteam entwickelt über Monate eine neue Strategie, in der die Ist- und Zielsituationen beschrieben werden. Diese wird dem Führungsteam vorgestellt, inklusive der Personalleitung. Der Personalbereich erhält die Aufgabe, die Führungskräfte und Mitarbeitenden für die Zielsituation durch Trainings und Workshops zu qualifizieren. Damit ist aus Sicht der Geschäftsführung die Aufgabe erledigt; das Thema ist delegiert. Nach mehreren Monaten wundert sich das initiierende Führungsteam, wieso die Ziele nicht erreicht sind, und macht dafür die Mitarbeitenden verantwortlich. 

Human Relations kann durch die Einführung von bewussten Strukturen des Zuhörens die Geschäftsführung und alle anderen Führungskräfte dabei unterstützen, dass Veränderungsprozesse erfolgreicher sind, weil es zu einem relevanten Austausch kommt. Diese sind wirksamer als klassische Trainings. Die Rolle der HR-Abteilung ist die eines internen, zuhörenden Beraters und Prozessbegleitenden, der das Führungsteam im Veränderungsprozess leitet. 

Eine ausführliche Auftrags- und Rollenklärung, bei der sich die Beteiligten zuhören, ist am Anfang von Veränderungsprozessen erfolgsentscheidend. Als Personal- und Organisationsentwicklung sind folgende Fragen wichtig, gemeinsam mit dem internen Auftraggeber zu klären: 

  • Was sind die Ziele der Veränderung? Was ist anders, woran merkt die Geschäftsführung einen Unterschied und dass die Organisation auf dem richtigen Weg ist? 
  • Was sind die Erwartungen an die Führungskräfte sowie die Mitarbeitenden? Was sollen sie können, anders machen im Zielzustand – wie ändert sich konkret die Zusammenarbeit?
  • Was sind die Erwartungen an die Personal- und Organisationsentwicklung? Was sollte im besten Fall passieren und was nicht? 
  • Was sehen wir als Geschäftsführung/Führungsteam als unsere Aufgabe und (Mit-)Verantwortung im Prozess? 

Zugleich ist genauso wichtig, dass die Geschäftsführung der Personalabteilung zuhört: 

  • Was wir als HR von der Geschäftsführung benötigen und erwarten.
  • Was wir realistisch/unrealistisch empfinden. 
  • Was wir als unsere Aufgabe und Verantwortung sehen und was nicht.
  • Welche Abstimmungen und welches Budget wir benötigen, um die skizzierten Ziele zu erreichen. 

Alles in allem ist ein Abgleich auf oberster Ebene zu der Frage notwendig, mit welcher grundsätzlichen Haltung die Veränderung umgesetzt werden soll: 

  • Inwiefern soll die Transformation mit den Beteiligten umgesetzt werden? 
  • Gibt es ein tatsächliches Interesse für eine nachhaltige und möglichst menschenorientierte Umsetzung – sprich haben wir ein echtes Interesse an der Perspektive der Beteiligten und Betroffenen, wollen wir zuhören, verstehen und sind wir bereit, unseren Plan anzupassen? 
  • Oder soll die Veränderung hierarchisch ohne Rücksicht auf Verluste durchgesetzt werden? 

Als HR-Verantwortliche ist es wesentlich, hinzuhören, wie entschlossen der Auftraggeber ist und wie die Verantwortlichkeiten im Prozess gesehen werden. 

Potenzial 2: Zuhören ermöglicht eine stabile, gemeinsame Haltung im Führungsteam 

Neben der grundsätzlichen Auftragsklärung ist die gemeinsame Haltungsentwicklung im Führungsteam ein weiterer Schritt, der ebenfalls gerne übersprungen wird. Nicht böswillig, sondern weil oft die Meinung vorherrscht, dass es selbsterklärend und nicht notwendig sei. Die Folgen sind unsichere Führungskräfte und widersprüchliche Aussagen aus Führungsteams, die wiederum die Teams verunsichern und demotivieren. 

Führungskräfte sind am Anfang von Veränderungsprozessen gefordert, in zwei Richtungen zuzuhören. Sie müssen die Veränderungsstrategien der Geschäftsführung verstehen und eine Haltung dazu aufbauen. Nur dann können sie diese an ihre jeweiligen Teams mit einer einheitlichen Botschaft übersetzen. Dazu müssen sie gut zuhören, mutig nachfragen und verstehen wollen. 

Das erfordert, dass es einen gemeinsamen Austausch und Dialog zu Zielen und Veränderungen mit der Geschäftsführung gibt. Ich erlebe häufig, dass die Strategieinitiatoren meinen, dass die Strategie und die enthaltenen Kernbegriffe klar und verständlich seien. Doch beim Führungsteam sind noch Fragen da: Was bedeutet es konkret für die Bereiche, wie setzen wir es im gewerblichen Bereich um? Wie verstehen wir in unseren Worten die Strategieänderung, was heißt das Ziel konkret? Wie messen wir es? Was sind jetzt unsere Kernbotschaften in die Organisation? 

Eine einmalige Strategiepräsentation reicht nicht aus, wenn eine gemeinsame Haltung erreicht werden soll. Entscheidend sind zwei Faktoren. Es benötigt eine Geschäftsführung oder eine Projektleitung, die zum Zuhören bereit und so gefestigt ist, mit Fragen und Widerständen umzugehen. Führungspersönlichkeiten, die echtes Interesse an anderen Sichtweisen haben, werden ihr Umfeld ehrlich nach Einschätzungen fragen. Zudem benötigt dieser Haltungsabgleich Zeit – sowohl in einem Termin als auch im gesamten Prozess. Gelingt dieser initiale Abgleich, vervielfacht sich das nächste Potenzial. 

Potenzial 3: Zuhören während der Strategie­einführung beteiligt die Mitarbeitenden 

Führungskräfte erkennen häufig retrospektiv, dass sie die Mitarbeitenden schon früh im Prozess verloren hatten. Manchmal schon mit der Strategiepräsentation, weil die Mitarbeitenden im Vorfeld nicht zur aktuellen Situation und zu möglichen Ideen befragt wurden. Weil sich schlicht keiner aus der Führungsetage für sie interessiert und ihnen zugehört hat. 

Grundsätzlich möchten Mitarbeitende beteiligt werden. Sie möchten das Gefühl haben, dass ihre Perspektive und Sichtweise zu einer Strategieänderung und deren Umsetzung zählt. Schließlich sind sie es, die die Powerpoint-Folien in die Realität umsetzen. Erst durch einen Dialog über die Veränderungen fühlen sich Menschen beteiligt. Daraus entsteht Motivation. Die Realität ist oft jedoch, dass Veränderungsziele und -maßnahmen präsentiert werden und es keine Zeit für Fragen und Austausch gibt. 

Die Agenden sind voll, Zeit zum Zuhören oder überhaupt das Nachfragen werden zu wenig eingeplant. Voraussetzungen dafür sind, dass Führungskräfte und Strategieentwickler zu einem Austausch bereit sind, grundsätzliches Interesse an der Situation der Mitarbeitenden haben. 

Ich empfehle am Anfang eines Veränderungsprozesses dialogorientierte Kick-off-Veranstaltungen von mindestens zwei Stunden (bis ganztägig). In diesen wird die Strategie vom Vorstands- und Führungsteam präsentiert. Danach hören die Führungskräfte den Beteiligten zu: Was haben die Mitarbeitenden verstanden, was ist noch unklar, was sind Gedanken und Ideen für die Umsetzung. 

Bewährt hat sich ebenfalls, aus diesen Veranstaltungen direkt "Sounding Teams" für bestimmte Arbeitsbereiche zu gewinnen. Diese Personen bilden die Brücke zwischen den Führungskräften und der restlichen Organisation. Zusammen arbeiten sie an den Themen weiter und repräsentieren gleichzeitig die Kollegen und Kolleginnen. Dies ist eher ein kooperativer als ein hierarchischer Ansatz. 

Potenzial 4: Zuhören während des Umsetzungsprozesses motiviert 

Vorstände und Führungskräfte gehen oft davon aus, wenn sie keine Fragen und Anmerkungen aus ihren Teams zu einer Umstellung hören, dass alles läuft. Meine Erfahrung ist, dass oftmals das Gegenteil der Fall ist. Sie hören nichts, weil sie die Veränderungen nicht thematisieren und auch nicht nachfragen, wie es mit der Einführung läuft. Die Wahrnehmungen sind unterschiedlich: Führungskräfte meinen, es wurde ja auf einer Seite präsentiert, deshalb ist es doch klar gewesen. Wohingegen Mitarbeitende oft noch viele Unstimmigkeiten und Unsicherheiten im Prozess erleben. Von den Beteiligten höre ich in Prozessbegleitungen, dass eine schlechte Stimmung weniger aus den tatsächlichen Inhalten der Veränderung resultiert. Es sei mehr die schlechte, kommunikative Umsetzung und das gefühlte Desinteresse der Führungskräfte, welches stark demotiviert. 

Die oben beschriebenen Kick-off-Veranstaltungen sind eine gute Basis für einen Umsetzungsprozess, der die Menschen durch Zuhören beteiligt. Es sollte nicht bei einer einmaligen Veranstaltung bleiben. Das bedeutet für die personalorientierte Organisationsentwicklung, regelmäßig Zeit für den moderierten Austausch der Teams mit ihren jeweiligen Führungskräften einzuplanen. Damit Menschen sich sicher fühlen, Fragen stellen und Unsicherheiten äußern, benötigen sie Vertrauen. Fragen stellen, ausreden lassen und interessiert zuhören sowie verstehen wollen sind einfache Basics, um dies zu erreichen. So entsteht ein sich selbst verstärkender Kreislauf, ausgehend von der Präsentation der Veränderungsvorhaben, über die Gedanken und Fragen bis zu daraus resultierenden Anpassungen und Verbesserungen des Geplanten. Formate können Town Hall Meetings, "Ask me anything"-Sessions mit dem Führungs- oder Vorstandsteam sowie regelmäßige Reviews zur Situation und zum Fortschritt in den Bereichen und Abteilungen sein. 

Kleiner Tipp: Die oberste Führungskraft spricht immer zuletzt und hört bis dahin zu. Parallel dazu haben sich die bereits erwähnten Sounding-Teams in der Umsetzungsphase bewährt. Ebenfalls ist zu empfehlen, mindestens einmal im Quartal eine Retrospektive zur Zusammenarbeit im Veränderungsprozess zu machen. 

Potenzial 5: Zuhören als Führungskompetenz benennen 

Vertrauensvoll zusammenarbeiten, Mitarbeitermotivation, offene Kommunikation und Feedbackkultur sind typische Schlagwörter in Führungsleitbildern. Zuhören wird selten explizit als erwartete Kompetenz benannt, wenn überhaupt, wird sie wohl als Teil von Kommunikationskompetenz angesehen. Dabei werden all diese Zielformulierungen im Zuhören einer Führungskraft deutlich. Zuhören ist die Essenz vieler dieser Zielattribute.

Jede Führungskraft und jeder Mitarbeitende erlebt täglich, in jedem Meeting, ob und wie ihr zugehört wird. Menschen in Organisationen benötigen Führungskräfte, die gute Change Manager sind, ein Gespür für Stimmungen in Veränderungsprozessen sowie eine stabile innere Haltung zur Veränderung haben und aus dieser heraus zuhören. Angesichts der hohen Veränderungsdynamik und der Fachkräftesituation ist Zuhören eine Kompetenz, die direkt einen Mehrwert bietet. Nur durch Zuhören ist es möglich, einen Status quo, Fragen, Schmerzpunkte, Bedürfnisse und Verbesserungsideen zu generieren. Wem zugehört wird, der erlebt sich als wertgeschätzt, ernst genommen und beteiligt – nicht nur in Veränderungsprozessen.

Obwohl es so viele gute Gründe zum Zuhören gibt, passiert es noch zu wenig. Ein Grund dafür ist, dass das Rollenverständnis von Führungskräften nicht das einer zuhörenden Führungskraft ist. Es herrscht insbesondere in Veränderungsprozessen die Meinung, eine Führungskraft müsse den Weg und die Lösungen kennen. Führungskräfte benötigen eine Lizenz zum Zuhören. Durch die beschriebenen Potenziale und Strukturen erfährt das Management diese Erlaubnis und erlebt die Vorteile des Zuhörens direkt. Darüber hinaus spricht alles dafür, diese Kompetenz in Leitbildern zur Zusammenarbeit und Führungsentwicklungsmaßnahmen explizit zu erwarten, zu trainieren und in Evaluierungen zu reviewen. 

Zuhören ist eine Transformationsschwelle, die Mut benötigt

Zuhören erhöht nicht nur die Wirksamkeit von Führung, sondern ist auch essenziell für die Mitarbeitendenbeteiligung und Motivation in Veränderungsprozessen. Natürlich ist es ebenso wichtig, eine klare Vision zu haben und zu senden. Das bewusste Regulieren von Senden und Zuhören ist entscheidend. Zuhören ist nicht die alleinige und einzige Lösung in Veränderungsprozessen. Doch es ist eine innere Haltung und Kompetenz, die sehr viel mehr eingesetzt werden kann. Doch zuhören wird aktuell noch stark vermieden – aus Angst vor Kontrollverlust und vermeintlichem Zeitmangel. Es ist eine Transformationsschwelle. Um diese zu überwinden, braucht es Courage und die Erfahrung, dass Zuhören lohnenswert ist. In diesem Sinne, fragen Sie sich abschließend selbst: Wann hat Ihnen zuletzt jemand aufmerksam im Organisationskontext tief zugehört und wie hat das auf Sie gewirkt?

Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 1/2024. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.