Work-Life-Balance: Berater täuschen 80-Stunden-Woche vor

Wenn Unternehmen ihren Mitarbeitern keine ausgewogene Balance zwischen Arbeit und Freizeit gönnen, greifen diese zuweilen zu ungewöhnlichen Mitteln: In einer US-Studie offenbaren Mitarbeiter einer Beratungsfirma, ihrem Chef den Workaholic vorzugaukeln – um heimlich mehr Zeit für ihre Familie zu haben.

In manchen Branchen – etwa Beratungsunternehmen und Banken – gehört eine 80-Stunden-Woche zum guten Ton. Immer wieder schaffen es bizarre Auswüchse dieser Workaholic-Kultur in die Öffentlichkeit. Kürzlich machte etwa ein US-Banker von sich reden, der eine Gruppe von Praktikanten an ihrem ersten Tag mit Tipps empfangen hat wie: "Wir erwarten, dass Ihr die letzten seid, die abends nach Hause gehen".

Teilzeit-Mitarbeiter bekommen keine Belohnungen

Eine neue Studie, die Erin Reid, Junior-Professorin für Organisationsverhalten an der Questrom School of Business der Universität Boston, durchgeführt hat, lässt nun allerdings Zweifel am Arbeitsethos von Beratern aufkommen. Reid befragte für ihre Studie 82 Angestellte einer großen US-Beratungsfirma und 13 weitere Teilnehmer aus dem Umfeld des Unternehmens.

Dabei stellte sie fest, dass eine 80-Stunden-Woche durchaus nicht bei allen befragten Beratern auf der Tagesordnung steht. Manche von ihnen – mehrheitlich Frauen – setzten sich auf offiziellem Wege für weniger Arbeitsstunden ein, um mehr Zeit für ihre Familien zu haben. Sie bekamen in Absprache mit dem Arbeitgeber Teilzeitverträge und mussten weniger geschäftlich reisen. Ihr Gehalt wurde entsprechend reduziert.

Dafür mussten sie aber einen hohen Preis bezahlen: Sie seien – unabhängig von ihrem Geschlecht – von der Firma regelrecht ausgeschlossen worden, heißt es auf der Website der Uni Boston. Sie hätten keine der Belohnungen erhalten – wie etwa hervorragende Beurteilungen, Beförderungen und hohe Bonuszahlungen –, die die 80-Stunden-Arbeiter bekamen.

Superman fliegt unter dem Firmenradar

Eine zweite Gruppe von Mitarbeitern – mehrheitlich Männer – war es offenbar ebenfalls leid, 80 Stunden die Woche zu arbeiten. Allerdings sprachen sie das Thema nicht offiziell mit ihrem Arbeitgeber ab, sondern organisierten sich selbst eine bessere Work-Life-Balance.

Sie passten ihren Arbeitsplan auf eigene Faust an und arbeiteten "nur" zwischen 50 und 60 Stunden die Woche und konzentrierten sich auf Kunden in der Nähe, um ihre Reisetätigkeit zu reduzieren und mehr Zeit für Ihre Familien zu haben. Ihr Trick dabei: jederzeit unter dem Firmenradar zu bleiben, erläutert Reid. Sie hätten offiziell den "wertvollen Firmen-Superman oder den sklavisch ergebenen idealen Arbeitnehmer" gespielt, schreibt die Studienautorin.

Offenbar haben diese Mitarbeiter es dennoch geschafft, ihre Arbeit gut zu erledigen: Sie wurden in Beurteilungen hochgelobt und wurden ebenso häufig befördert wie die Mitarbeiter, die tatsächlich 80 Stunden die Woche arbeiteten.

Kinder weinen, wenn die Eltern beim Fußball fehlen

Dass die – mehrheitlich männlichen – Mitarbeiter, die ihrem Chef den Workaholic vorgaukeln, dies nicht aus bösem Willen tun, belegt Reid in einem Beitrag für die US-Management-Zeitschrift "Harvard Business Review". Darin schreibt sie über ihre Erfahrungen rund um ihre Studie: Während manche Männer offenbar glücklich damit seien, die Erwartungen der Firma zu erfüllen, sei die Mehrheit dagegen unzufrieden gewesen. "Sie beklagten sich darüber, dass ihre Kinder weinten, wenn sie deren Fußballspiel verpasst hatten, klagten über ihren schlechten Gesundheitszustand und über Drogenmissbrauch, was sie auf ihre Arbeitsbedingungen zurückführten."

In einem Interview mit Sara Rimer von der Uni Boston führte Reid das Thema weiter aus. "Männer haben die gleichen Probleme wie Frauen", so die Studienautorin. "Männer beklagen sich genauso oft wie Frauen über eine schlechte Work-Life-Balance." Ihre Empfehlungen an die Verantwortlichen bei der Beraterfirma lautet: "Wir sagten zu ihnen: 'Vielleicht haben Sie kein Problem mit Männern und Frauen – vielleicht haben sie ein Problem mit der Arbeit.'"