Von Fernsehhelden Führung lernen
Mit der Ausstrahlung der US-amerikanischen Comedy-Serie "Ted Lasso" 2020 avancierte ihr Titelheld zur Führungsikone in den Medien. Auch die Forschung griff die TV-Serie um den US-amerikanischen College-Football-Trainer Ted Lasso auf, der überraschend als Trainer eines Premier-League-Fußballvereins engagiert wird. Die Ausgangslage ist schwierig: Die Vereinsinhaberin plant heimlich, den Verein durch diesen fachfremden Trainer zu ruinieren, um sich an ihrem untreuen Ex-Mann zu rächen. Doch Ted gelingt es, sowohl seine Vorgesetzte als auch Spieler und Fans für sich zu gewinnen und aus dem mittelmäßigen Verein eine erfolgreiche Mannschaft zu formen.
Ted Lasso als Führungsikone in den Medien
Suchanfragen bei Linkedin nach "Ted Lasso" oder bei Google nach "Leadership & Ted Lasso" liefern zahlreiche Ergebnisse. Beliebt sind besonders Beiträge im Stil von Aufzählungen ("X Lessons Learned from Ted Lasso"). Diese Publikationen sind jedoch überwiegend anekdotischer und subjektiver Natur. Thesen werden durch selektiv ausgewählte Beispiele bekräftigt – leicht verständlich und unterhaltsam, aber auf Kosten differenzierter Betrachtung. Der wichtige Diskurs mit Argumentation für und gegen bestimmte Positionen geht dabei verloren. Gerade beim Lernen über ein so wichtiges Thema wie Führung sollte auf übermäßige Vereinfachung verzichtet werden.
Daher haben wir uns entschlossen, Ted Lasso als Führungspersönlichkeit fundierter zu analysieren und zu untersuchen, was wir tatsächlich aus der Serie über Leadership lernen können.
Leadership-Forschung für die Praxis
Führung wird in der Leadership-Forschung seit über 100 Jahren kontinuierlich untersucht. Im Überschneidungsbereich von Psychologie und Betriebswirtschaftslehre haben sich verschiedene Forschungsschwerpunkte entwickelt. Eigenschaftsorientierte Ansätze untersuchen, welche Persönlichkeitsmerkmale erfolgreiche Führungskräfte aufweisen. Da Persönlichkeitseigenschaften jedoch relativ stabil und schwer veränderbar sind, fokussieren verhaltensorientierte Ansätze auf erlernbare Verhaltensweisen und Kompetenzen erfolgreicher Führungskräfte. Situative Ansätze berücksichtigen, dass unterschiedliche Situationen verschiedenes Führungsverhalten erfordern können. Ergänzend haben sich kognitive Führungsansätze etabliert, die mentale Prozesse in den Mittelpunkt stellen.
Diese Forschungsvielfalt kann einschüchternd wirken. Ein umfassendes Verständnis erfordert monatelange Einarbeitung – eine Hürde für Praktiker. Verständlicherweise bevorzugen viele einfache Erklärungsmodelle, wie die Kategorisierung von Menschen nach Farbtypen mit entsprechenden Führungsempfehlungen. Solche Ansätze sind kommerziell erfolgreich, aber vereinfachen komplexe Zusammenhänge übermäßig. Wäre Führung tatsächlich so simpel erklärbar, erschiene die jahrhundertelange Forschung mit ihren differenzierten Modellen kaum notwendig.
Ein berechtigter Einwand aus der Praxis ist jedoch, dass wissenschaftliche Modelle oft zu komplex und praxisfern erscheinen. Die zahlreichen Erklärungsversuche für effektive Führung können abschreckend wirken für Führungskräfte, die pragmatische Handlungshilfen suchen.
Führung lernen aus einer TV-Serie?
Es überrascht nicht, dass eine Serie wie Ted Lasso als Lernressource für gute Führung gefeiert wird. Doch ist die Kombination aus Unterhaltung und Führungslernen nicht zu einfach?
Die Forschung bestätigt, dass Filme und TV-Serien wertvolle Hilfsmittel in der Leadership-Ausbildung sein können. Sie veranschaulichen abstrakte Führungstheorien bildhaft und machen sie leichter zugänglich. Durch die emotionale Komponente wird zudem ein besonders effektiver Lernprozess gefördert, da Lernen in Verbindung mit positiven Emotionen nachhaltiger wirkt. Führung durch Filme und Serien zu erlernen, kann zudem eine Form erfahrungsbasierten Lernens darstellen, das typischerweise tiefgreifender ist als rein wissensbasiertes Lernen. Im Sinne der Theorie des sozialen Lernens nach Bandura dienen die Figuren als Modelle oder Vorbilder. Ebenso können Negativbeispiele wie Stromberg oder Miranda Priestley aus "Der Teufel trägt Prada" als Anti-Rollenmodelle fungieren, die verdeutlichen, wie Führung nicht gestaltet werden sollte.
Die Frage ist nun: Wie verbinden wir die Erkenntnis, dass Ted Lasso als vorbildliche Führungskraft wahrgenommen wird, mit dem Potenzial filmischer Medien als Lernressource – ohne zu stark zu vereinfachen und dennoch praxisnah zu bleiben?
Nach gängigen Lernzieltaxonomien ist das einfachste Lernniveau das Erinnern und Verstehen. Beobachten wir Ted Lassos Verhalten und verstehen es, haben wir bereits etwas gelernt. Nachhaltiger wird Lernen jedoch durch Anwenden, Analysieren und Evaluieren. Die höchste Lernstufe ist das Kreieren – wenn wir aus vorhandenem Wissen etwas Eigenes entwickeln können.
Führung im Film: ein deduktiv-induktiver Forschungsansatz
In unserem Ansatz verbinden wir das Lernen mithilfe von Film und Serie mit Führungstheorie dahingehend, dass wir bestimmte theoretische Konstrukte als Basis unserer Analyse verwenden. Führungsrelevante Szenen aus einer Serie oder aus einem Film werden anhand von vorher abgeleiteten Verhaltensbeispielen, sogenannten Verhaltensankern, zugeordnet. Können beobachtete Verhaltensweisen keinem Verhaltensanker aus der Theorie zugeordnet werden, bilden wir eine neue Kategorie. In der qualitativen Forschung wird diese Vorgehensweise deduktiv-induktiv genannt. Somit verknüpfen wir in einem Lernansatz, der auf die höheren Stufen der Lernzieltaxonomie abzielt, drei verschiedene Aspekte: Führungstheorie aus der Forschung, Lernen anhand von Film oder Serie sowie qualitative Inhaltsanalyse.
Für unsere Ted-Lasso-Analysen haben wir insgesamt drei verschiedene Theorie-Konstrukte als Basis verwendet: ein Kategoriensystem nach Yukl, das Full Range of Leadership Modell nach Bass und Avolio sowie ein dreigliedriges Modell über Selbstführung.
Ted Lassos Führungsverhalten nach Yukls Taxonomie
Betrachtet man Ted Lassos Führungsverhalten in den ersten sechs Folgen durch die Brille von Yukls Hierarchical Taxonomy of Leadership Behavior (HTLB), zeigt sich, dass er hauptsächlich auf der Beziehungsebene führt, teilweise auf der Aufgabenebene agiert und seltener change-orientiert oder nach außen gerichtet in Führung geht ( Abbildung 1).
Ted Lassos Führung ist primär beziehungsorientiert. Nach Yukls Modell unterteilt sich die Beziehungs-Kategorie in vier Sub-Kategorien: Supporting, Developing, Recognizing und Empowering. Ted Lassos Stärke liegt nach unseren Analysen in seiner ausgeprägten Wahrnehmung seiner Mitarbeitenden und darin, positive Beobachtungen direkt anzusprechen (Recognizing), beispielsweise: "Ich kenne dich noch nicht so lange, aber ich kann ehrlich sagen, du bist der beste Athlet, den ich je trainiert habe." Ähnlich häufig nutzt er Empowering und Supporting: Er überlässt der Mannschaft bestimmte Entscheidungen, gibt Verantwortung ab und unterstützt Spieler, denen es nicht gut geht. Da die ersten sechs Folgen thematisch noch das Ankommen beim Club behandeln, konnten wir nur vier Szenen mit entwicklungsbasiertem Führungsverhalten (Developing) identifizieren.
Führung im Full-Range-of-Leadership-Modell
Viele publizierte Artikel schreiben Ted Lasso eine transformationale Führung zu. Das Full-Range-of-Leadership-Modell nach Bass und Avolio (1991) analysiert Führungsverhalten nach drei prototypischen Ansätzen: transformational, transaktional sowie Laissez-Faire.
Transformationale Führung zeichnet sich durch visionäres Verhalten, offene Kommunikation, individuelle Förderung und Empowerment aus. Transaktionale Führung basiert auf klarer Kommunikation, Entscheidungsfreude, Leistungsorientierung sowie Belohnung und Strafe. Laissez-Faire-Führungskräfte entziehen sich oft der Verantwortung und zeigen wenig Entscheidungsfreude.
Unsere Analyse aller Folgen der ersten und zweiten Staffel bestätigt, dass Ted Lasso überwiegend transformationale Führung zeigt ( Abbildung 2). Interessanterweise gibt es zahlreiche Verhaltensweisen, die sich keinem der drei Stile zuordnen lassen. Der Großteil dieses nicht zuordenbaren Verhaltens ist humorvolles Agieren (19 beziehungsweise 15 Momente). Zusätzlich traten Sarkasmus, Einbeziehung privater Themen und Führen auf Augenhöhe auf.
Diese Erkenntnisse verdeutlichen, dass die Realität komplexer ist als jedes Modell. Während Ansätze zur humorvollen Führung existieren, werden diese meist getrennt von Konzepten wie dem Full Range Modell betrachtet. Ted Lassos Erfolgsrezept scheint eine Mischung aus humorvollem Umgang, transformationaler Führung und gelegentlich transaktionaler Führung zu sein.
Ted Lasso und Selbstführung
Führung erfordert ein hohes Maß an Selbstführungskompetenz. Nach dem Modell von Anderson et al. und Houghton et al. lässt sich Selbstführung in drei Kategorien einteilen: verhaltensorientierte Strategien (zum Beispiel erreichbare Ziele setzen, selbstkorrigierendes Feedback), natürliche Belohnungsstrategien (zum Beispiel positive Aspekte hervorheben, angenehme Gestaltung von Aufgaben) und konstruktive Denkmuster (zum Beispiel eigene Überzeugungen hinterfragen, positive Zukunftsszenarien visualisieren).
In 44 untersuchten relevanten Momenten stellten wir fest, dass Ted Lasso hauptsächlich Strategien anwendet, die keiner der drei klassischen Kategorien zuordenbar sind. Konstruktive Denkmuster halfen ihm in elf Situationen, verhaltensorientierte Strategien und natürliche Belohnung in jeweils sechs Situationen. Seine charakteristische, nicht im Modell abbildbare Selbstführungsstrategie haben wir als "Prinzip Goldfisch" bezeichnet: Ted Lasso versucht, negative Erfahrungen schnell zu vergessen und positiv weiterzumachen. Zusammenfassend führt er sich erfolgreich selbst, indem er anderen verzeiht, negatives Verhalten rasch vergisst und konstruktive Denkmuster anwendet, um sich von negativen Erfahrungen zu erholen.
Wie Filme zu Lernressourcen werden
Die Leadership-Education-Forschung belegt, dass Filme und Serien wertvolle Lernressourcen darstellen können. Unsere Analysen zeigen, dass Ted Lassos Führungsstrategien durch bestehende Forschungsansätze erklärbar sind: Sie spielen sich hauptsächlich auf der Beziehungsebene ab, entsprechen überwiegend transformationaler Führung und werden durch Humor sowie positive Verarbeitung negativer Erfahrungen ergänzt.
Dieser Ansatz ermöglicht die Gestaltung fundierter, unterhaltsamer und praxisnaher Führungsseminare. Leadership-Theorien aus 100 Jahren Forschung können anhand konkreter Szenen veranschaulicht werden, indem wir diese analysieren und etablierten Theorien zuordnen.
Entscheidend ist dabei die Arbeit mit solide hergeleiteten Verhaltensankern statt pauschaler Bewertungen. Um Vorbehalte gegenüber komplexer Forschung abzubauen, hilft die Metapher verschiedener "Leadership-Brillen" – repräsentiert durch anerkannte wissenschaftliche Konstrukte –, durch die wir Führung betrachten.
Ähnlich wie in anderen Bereichen der Arbeitswelt können Modelle komplexe Themen besser handhabbar machen, wobei häufig die Kombination mehrerer Ansätze zielführender ist als die Beschränkung auf ein einzelnes Modell. Aus lerntheoretischer Perspektive repräsentiert diese Methode – das Lernen über Führung anhand von Filmen und Serien – die tiefste Form des Lernens: "Analysieren, Evaluieren und Kreieren" wird in verschiedenen Lernzieltaxonomien als höchste Lernstufe definiert.
Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 8/2025. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.
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