Transformation: Interview mit Lone Tvis zum Krisenmanagement

Grundfos, der größte Pumpenhersteller der Welt, hat die Probleme der Corona-Krise schnell in den Griff bekommen. Im Interview mit Haufe New Management erzählt CHRO Lone Tvis, welche Fragen aufgeworfen werden und wie gute Zusammenarbeit funktioniert.

Haufe New Management: Ihr Unternehmen zählt ungefähr 19.000 Mitarbeiter in 56 Ländern. Die Pandemie hat Grundfos stärker getroffen als andere Unternehmen vergleichbarer Größe. Wie hat sich die Corona-Krise zunächst bemerkbar gemacht?

Lone Tvis: Am Anfang kam es natürlich hier und da zu kleineren Schwierigkeiten. Wir haben aber schon früh begonnen, unsere Lehren aus der Situation zu ziehen, und eine lokale Taskforce in China eingesetzt. Wir sind diese Herausforderungen früh angegangen. Deshalb waren wir auf wichtigere Fragen besser vorbereitet, wie etwa: Wie können wir mit unserem gesamten Unternehmen online gehen, wenn es die Situation erfordert? In gewisser Weise war es ein Privileg für uns, dass wir so früh mit der Krise konfrontiert waren. Ich kenne andere Unternehmen, die nicht in dieser Lage waren und von jetzt auf gleich wesentlich mehr Grundlagenarbeit machen mussten.

Krisenmanagement: Globale Taskforce, lokales Handeln

Haufe New Management: Wie haben Sie das globale Unternehmen auf die Herausforderung vorbereitet?

Tvis: Am Anfang der Corona-Krise haben wir eine globale Ad-hoc-Taskforce mit Mitgliedern aus den unterschiedlichsten Funktionen gebildet. Wir haben unsere globalen Funktionen mobilisiert, um dem lokalen Management in China ausreichend Unterstützung zukommen zu lassen. So benötigten unsere chinesischen Kollegen beispielsweise dringend persönliche Schutzausrüstung. Mithilfe der globalen Taskforce konnten wir unseren Einkaufsorganisationen überall auf der Welt vermitteln, dass intensiver Handlungsbedarf besteht. Wenn China lediglich bei einem Junior-Einkäufer angefragt hätte, hätte die Sache eventuell nicht die notwendige Aufmerksamkeit erhalten.

Haufe New Management: Sie hatten also eine lokale Taskforce vor Ort und eine globale Taskforce, um den genannten Anforderungen gerecht zu werden?

Tvis: Ja. Wir haben versucht, diese Struktur mit einer lokalen Taskforce auf der einen und einer globalen Taskforce auf der anderen Seite so auszugestalten, dass wir die Signale verstärken und das lokale Team darin unterstützen konnten, die Herausforderung zu bewältigen. Eine gewisse Zeit lang hat das auch gut funktioniert – bis zu dem Punkt, als die Pandemie immer näher an Europa heranrückte, wo das Herz unseres Unternehmens schlägt. Plötzlich wurden die Nachfragen immer mehr und mehr. Eine Ad-hoc-Taskforce konnte das nicht mehr bewältigen.

Stärker formalisierte Struktur als Lösung

Haufe New Management: Wie haben Sie sich darauf eingestellt?

Tvis: Wir haben festgestellt, dass wir eine stärker formalisierte Struktur benötigten. Das war eine Situation, die sich auf das gesamte Geschäft und alle Mitarbeiter auswirkte. Wir haben uns ein klares Ziel gesetzt: Die Gesundheit und die Sicherheit unserer Mitarbeiter stehen an erster Stelle. Die Geschäftskontinuität kommt erst danach. Wir haben eine zentrale Struktur eingerichtet und dieser den Namen "Nervenzentrum" gegeben. Das Nervenzentrum stellte sicher, dass wir klare weltweite Konzepte und Richtlinien hatten. Da verschiedene Länder jedoch verschiedenste Wege einschlugen oder die dortigen Verläufe sehr unterschiedlich waren, brauchte das Nervenzentrum Unterstützung. Daher haben wir jedem Land aufgetragen, eine Taskforce ins Leben zu rufen und dann für diese Taskforce eine Führungsperson einzusetzen, die als Empfänger der weltweiten Konzepte fungiert. Diese Führungsperson der Taskforce hat dann die Entscheidungsbefugnis über die Art und Weise, wie das jeweilige Land seine Herausforderungen angeht.

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Haufe New Management: An Stelle nur eines zentralen Nervenzentrums haben Sie sich also dazu entschieden, dass jedes Land zusätzlich über ein eigenes Nervenzentrum verfügen sollte.

Tvis: Ja, und es hat sich herausgestellt, dass diese Entscheidung goldrichtig war. Die Situation wurde zu komplex. Es konnte passieren, dass zwei Länder zwar genau die gleichen Rahmenbedingungen hatten, die Antworten der dortigen Behörden jedoch komplett unterschiedlich waren. Es wäre unmöglich gewesen, so etwas mit einem einzigen Nervenzentrum in den Griff zu bekommen. Regionale Entscheidungskompetenzen waren der Schlüssel, damit wir agil bleiben und das Richtige tun konnten.

Wechsel hin zu vollständig virtueller Interaktion

Haufe New Management: Das klingt ganz so, als ob Grundfos den organisatorischen Wandel und die Stärkung seiner regionalen Strukturen gut gemeistert hat. Was waren die Schwierigkeiten auf diesem Weg?

Tvis: Für fast alle Mitarbeiter war es ganz zu Beginn eine anspruchsvolle Zeit. Die Menschen fanden sich auf einmal in einer Situation voller Unsicherheiten wieder. Ihre Sorgen drehten sich dabei nicht nur um ihre eigene Gesundheit und ihre Familien. Hinzu kam auch, dass nicht klar war, wie sich die Wirtschaft entwickeln würde, und dann noch die alles entscheidende Frage: "Wird Grundfos die Krise überstehen? Was passiert mit meinem Arbeitsplatz?" In dieser Situation haben wir für viele unserer Mitarbeiter auf vollständig virtuelle Interaktion umgestellt. Im Endeffekt führte das dann dazu, dass sich die Mitarbeiter morgens praktisch direkt nach dem Aufstehen an ihren Schreibtisch setzten und dann mehr Stunden online waren, als sie eigentlich am Arbeitsplatz verbringen würden.

Wir haben viele Rückmeldungen bekommen von Mitarbeitern, die sagten, dass sie sich vor dem Bildschirm wie in einem Hamsterrad fühlten, aus dem sie nicht herauskamen."


Haufe New Management: Weil Sie Angst hatten, den Eindruck zu erwecken, nicht lange genug zu arbeiten.

Tvis: Genau. Man hat einfach noch keine Struktur verinnerlicht, wie so ein virtueller Arbeitstag aussieht. Wir haben viele Rückmeldungen bekommen von Mitarbeitern, die sagten, dass sie sich vor dem Bildschirm wie in einem Hamsterrad fühlten, aus dem sie nicht herauskamen. Tatsächlich haben wir zu Beginn des Frühlings eine Kampagne gestartet, um den Mitarbeitern zu vermitteln: "Das ist eine neue Art zu arbeiten. Geben Sie Ihrem Tag Struktur. Es ist vollkommen in Ordnung, Pausen zu machen." Zusätzlich haben wir eine Umfrage zum Thema Homeoffice gestartet. Wir haben die Leute gefragt: "Wie haben Sie sich in der letzten Woche gefühlt?" Die Mitarbeiter konnten einfach offen erzählen und erklären, wie sie sich gefühlt haben und warum.

Ziemlich viele antworteten, dass sie sich recht gut und unerwartet gut fühlten, aber ich habe auch einige Antworten von Mitarbeitern gelesen, die sagten: "Ich vermisse meine Kollegen." Wir haben unsere Mitarbeiter dazu ermuntert, sich virtuell zu Kaffeepausen oder anderen informellen Treffen zu verabreden. Nicht, um sie zu kontrollieren, sondern um das soziale Miteinander zu fördern. Das hatte scheinbar eine positive Wirkung.

Haufe New Management: Es ist eine Sache, den Zugriff aller Mitarbeiter im Homeoffice auf den Firmenserver sicherzustellen – aber die Kernprodukte von Grundfos sind nun mal Pumpen. Ihr Unternehmen ist auf eine funktionierende Produktion und Mitarbeiter angewiesen, die nicht zu Hause bleiben können.

Tvis: Ja. Es gibt Funktionen, die nicht virtuell zu erfüllen sind. Daher haben wir im Grunde unsere Produktion aufrechterhalten und Vorsichtsmaßnahmen getroffen, indem wir unter anderem Bereiche festgelegt und die Schichten klar voneinander getrennt haben, um die Verbreitung des Virus zu verhindern. Aber sogar in der Produktion stellt man fest: Man kann miteinander interagieren! Man kann eine Leistungsüberprüfung durchführen und einen Fabrikrundgang machen, selbst wenn der COO in Dänemark sitzt und die betreffende Fabrik in Mexiko steht.

Haufe New Management: Wie haben Sie das gemacht?

Tvis: Mit einem iPad mit Kamera und einer Portion Kreativität. So tragisch wie die Pandemie auch ist, ich denke, dass sie für viele Menschen auch eine riesengroße Chance zum Lernen bietet, weil es keine Ausreden mehr gibt. Es gibt Dinge, die man früher ohne persönliche Interaktion niemals für möglich gehalten hätte. Aber als man in dieser Situation keine Wahl hatte, war man eher dazu geneigt, dranzubleiben und die neue Art zu arbeiten anzunehmen, wie sie war.

Konflikt zwischen Mitarbeitern und den Entscheidungsträgern

Haufe New Management: Für die Mitarbeiter im Büro und die Produktionsmitarbeiter war die Situation sehr unterschiedlich. Wurde das zum Problem? Jemand in der Produktion könnte sich schließlich denken: "Na toll, ich muss hier vor Ort sein, während die Leute aus dem Büro zu Hause sitzen."

Tvis: Eine gute Beobachtung, die auch in der öffentlichen Debatte über faire und gerechte Praktiken in Unternehmen eine zentrale Rolle gespielt hat. Auf der einen Seite diejenigen, die keine Wahl hatten und zur Arbeit gehen mussten, und auf der anderen Seite der Rest von uns, der sich sicher in den eigenen vier Wänden verstecken konnte.

Aber bei Grundfos war das ehrlich gesagt kein großes Thema. Bei uns ging es vor allem darum: "Tun wir als Arbeitgeber genug für den Schutz unserer Mitarbeiter an vorderster Front?" Diese Frage wird umso drängender, wenn sich so etwas abspielt wie in Frankreich. Dort hat die Polizei Menschen auf der Straße mit Masken und Maschinenpistolen angehalten und sie gefragt: "Warum sind Sie nicht zu Hause?" Wenn die Angestellten solche Situationen erleben, hinterfragen sie auch ihren Arbeitgeber: "Könnt ihr mir wirklich eine sichere Arbeitsumgebung garantieren, in der ich nicht unnötig dem Virus ausgesetzt bin?" Ich denke, dass das bei uns der größte Konflikt war, ein Konflikt nicht unbedingt zwischen Büro und Produktion, aber zwischen Angestellten an vorderster Front und den Entscheidungsträgern.

Die Erfahrung mit Corona war ein großartiges Testfeld, um wichtigen Fragen nachzugehen: Wie kann man die funktionale Aufsicht bewahren und gleichzeitig eine lokale Organisation stärken, damit sie im Einklang mit unseren Werten handelt und dabei globalen Richtlinien folgt?"


Haufe New Management: Lassen wir die Konflikte mal beiseite – hat Grundfos Ihrer Meinung nach dank dieser Situation etwas erreicht oder etwas aus ihr gelernt, was sonst vermutlich nicht möglich gewesen wäre?

Tvis: Ja, da gibt es einiges. Wir haben uns von dem Motto "Jede Krise birgt Chancen" leiten lassen: Mache dir eine Krise zunutze und lerne daraus, wie man es vielleicht besser machen kann. Eine dieser Lehren habe ich bereits erwähnt: Aus der Stärkung unserer lokalen Strukturen und der Verankerung der lokalen Taskforces haben wir viel gelernt. Unser Unternehmen befindet sich inmitten einer gewaltigen Transformation auf der Organisationsebene. Während wir im Spitzenteam derzeit weiter funktionsfähig sind, entwickeln wir uns gleichzeitig hin zu einer kundenorientierten Struktur. Die Erfahrung mit Corona war ein großartiges Testfeld, um wichtigen Fragen nachzugehen: Wie kann man die funktionale Aufsicht bewahren und gleichzeitig eine lokale Organisation stärken, damit sie im Einklang mit unseren Werten handelt und dabei globalen Richtlinien folgt? Wir haben aus der Krise geschlossen, dass wir mit einem Country Lead weitermachen. Wir haben erkannt, dass es unglaublich wichtig ist, jemanden zu haben, der kontinuierlich die Verantwortung übernimmt für das Handeln als Unternehmen und als Arbeitgeber innerhalb eines Landes. Das gilt sowohl aus rechtlicher als auch aus kultureller Perspektive.

Learning aus der Krise: Digitale Interaktion mit Kunden

Haufe New Management: Welche Lehren konnten Sie noch für das Unternehmen ziehen?

Tvis: Ein komplettes Projekt hat sich mit der Frage beschäftigt: "Was können wir aus der Corona-Krise lernen?" Die nächste Lehre, bei der zusätzlich der dringendste Handlungsbedarf besteht, ist die sich aus dieser Situation ergebende einzigartige Chance, die digitalen Interaktionen mit unseren Kunden zu beschleunigen. Es gibt eine Aufgeschlossenheit gegenüber der und eine gute Gelegenheit für die Nutzung digitaler Interaktionen; diese Chance sollten wir nutzen.

Corona hat uns gelehrt, dass wir sehr viel flexibler sein können, was die Bedingungen angeht, die wir unseren Mitarbeitern bieten. Wir wollen unsere Kultur der Zusammenarbeit neu gestalten. Wofür kann man virtuelle Zusammenarbeit nutzen? Wann sollten wir uns genau an die Regeln halten und wann sollten wir flexibel sein? Wann ist man auf persönlichen Austausch angewiesen? Und wenn man tatsächlich ins Büro geht – welche Aufgaben sollte man von dort aus erledigen?

Eine Antwort ist schon klar: Man muss nicht für alle anfallenden Tätigkeiten im Büro sein. Man kann von zu Hause aus arbeiten, aber auch vom Kunden oder Auftraggeber aus. Man muss nicht zwangsläufig an seinem eigenen Schreibtisch sitzen. Wir als Unternehmen glauben immer noch an persönliche Interaktionen als wichtigen Treiber, um gemeinsam Ziele zu erreichen. Aber was heißt das für die Gestaltung unserer Büro- und sonstigen Arbeitsräume, damit diese Ziele auch realisiert werden? Wie können wir bewusster die Tätigkeiten identifizieren, die vom Büro aus erledigt werden sollten? Für mich sind das einige der wichtigen Fragen, die ich aus diesen Zeiten mitnehme.


Dieses Interview ist ursprünglich in englisch auf newmanagement.haufe.de erschienen.


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