Stressfaktoren bei mobiler Arbeit: Tipps für Führungskräfte

Isolation, Selbstausbeutung und Angst der Vorgesetzten vor Kontrollverlust gehören zu den häufigsten Problemen von mobiler Arbeit. Eine Psychologin beschreibt exemplarische Fälle aus ihrer Praxis und erklärt, wie Führungskräfte dem entgegenwirken können.

Trotz des seit Jahren bestehenden Trends der Digitalisierung hat das Thema "mobiles Arbeiten" Corona-bedingt noch einmal rasant an Bedeutung gewonnen. Und einiges spricht dafür, dass das auch nach der Pandemie so bleibt. Dass diese Form der Arbeitsgestaltung neben all den Vorteilen auch mit vielen Herausforderungen verbunden ist, leuchtet ein: Oft müssen Mitarbeitende und Führungskräfte sich komplett neu organisieren und besonders die Führungskräfte brauchen Konzepte, die nicht auf Präsenz beruhen.

Vorteile und Nachteile von mobilem Arbeiten

Mobiles Arbeiten bringt viele Vorteile: zum Beispiel mehr Flexibilität, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, höhere Arbeitszufriedenheit, Zeitersparnis und Ressourcenschonung, durch das Wegfallen des Arbeitsweges. Aber mobiles Arbeiten hat auch Nachteile, wie zum Beispiel die erschwerte Trennung von Beruf und Privatem oder der Verlust der Teambindung.

Der wichtigste Wirkfaktor, ob mobiles Arbeiten zur Ressource oder zur Belastung wird, ist sicher der Mensch: Die Beschäftigten, Angestellten und Führungskräfte mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen, Motiven und Ängsten. In den Beratungs- und Coaching-Gesprächen begegnen mir viele Reaktionen auf mobiles Arbeiten. Drei davon werden folgende etwas genauer dargestellt.

"Burnout-Falle" Homeoffice: Angst vor unterstellter Faulheit

Ein langjähriger Mitarbeiter eines großen Unternehmens meldete sich bei mir mit Erschöpfungs- und Burnout-Symptomen. Dabei fing alles so schön an: "Als vor einem Dreivierteljahr in unserem Unternehmen mobiles Arbeiten ermöglicht wurde, war das für mich eine große Erleichterung." Als Pendler hatte er täglich eine recht lange Anfahrt. Durch die Freiheiten des mobilen Arbeitens sparte er sich diese Fahrtzeiten und konnte gleichzeitig mit seiner Partnerin die Kinderbetreuung viel besser organisieren. Neben diesen positiven Aspekten machte der Mitarbeiter sich aber von Anfang an auch Sorgen: "Hoffentlich glaubt mein Chef jetzt nicht, ich nutze die Situation aus und arbeite weniger als sonst. Ich möchte auf gar keinen Fall, dass jemand denkt, ich mache mir hier ein bequemes Leben!"

Die Vorstellung, dass Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzte Minderleistung unterstellen, führt gerade bei hoch leistungsorientierten Menschen schnell in eine Überforderungsspirale. Selbst wenn die Befürchtungen gar nicht der Realität entsprechen, gehen Beschäftigte dann oft weit über ihre Grenzen hinaus, um die eigene Leistung zu beweisen. Bis irgendwann gar nichts mehr geht: "Seit einem Monat schaffe ich fast gar nichts mehr. Ich muss mich morgens regelrecht aus dem Bett prügeln und die unangenehmen Arbeiten schiebe ich unendlich auf. Mein Energielevel liegt bei null. Am meisten Angst habe ich davor, dass das irgendwann auffällt, aber im Moment kann ich mich einfach nicht motivieren!"

Tipp für Führungskräfte: Überarbeitung im Homeoffice vermeiden
Mobiles Arbeiten führt bei vielen Mitarbeitenden zu mehr Effizienz und einer Leistungssteigerung. Soweit so gut. Bei Mitarbeitenden mit ausgeprägtem Leistungsanspruch und Anerkennungsbedürfnis, kann das aber schnell in Richtung Erschöpfung oder Burnout kippen. Hier ist es wichtig (nicht nur auf der Sachebene) im Gespräch zu bleiben. Thematisieren Sie in den Einzelgesprächen immer auch die aktuelle Stimmung und Arbeitsbelastung und lassen Sie Ihre Mitarbeitenden wissen, wenn Sie zufrieden mit der Leistung sind: "Ich bin sehr zufrieden mit deiner Leistung und bin mir sicher, du arbeitest sehr viel zurzeit. Wie geht es Dir damit? Kannst Du das alles noch gut handhaben?" Dies könnten zum Beispiel gute Einstiegsfragen sein.


Angst vor Kontrollverlust im Homeoffice

Eine noch junge Führungskraft hatte im Rahmen einer Mitarbeiterbefragung recht kritische Rückmeldungen bekommen. Die Befragung wurde zu einem Zeitpunkt umgesetzt, als viele der Beschäftigten erstmalig auch außerhalb der Betriebsstätte mobil arbeiten konnten und sollten. Natürlich hatte die junge Führungskraft schon wahrgenommen, dass die Beziehung zu einigen Mitarbeitenden angespannt war. Nun hatte sie es schwarz auf weiß. Im Rahmen eines Coachings mochte sie sich ihre Anteile daran anschauen und Handlungsmöglichkeiten für sich erarbeiten. In den Gesprächen kamen wir schnell zu dem Kernthema: ihre Angst, die Kontrolle zu verlieren. Sie war gerade mal ein Jahr in ihrer Führungsposition und musste sich in dieser Rolle noch beweisen. Dann änderte sich auf einmal vieles und sie war gefordert, virtuell zu führen.

Ihre bereits vorhandene Unsicherheit wurde durch diese neue Herausforderung also noch erhöht. Unbewusst hat sie dann das gemacht, was die meisten Menschen in angstbesetzten Situationen machen: Sie hat versucht, der Unsicherheit durch mehr Kontrolle entgegenzuwirken. Dies zeigte sich durch häufige, unangekündigte Kontrollanrufe, das Ansetzen spontaner Teams-Meetings oder Ähnliches. Bei ihren Mitarbeitenden, die autonomes und eigenständiges Arbeiten wertschätzten und gewohnt waren, hat das zu latentem, aber spürbarem Widerstand geführt. Dies wiederrum löste bei der Führungskraft ein noch höheres Kontrollbedürfnis aus. So entstand ein Kreislauf, der am Ende zu sehr schlechten Befragungsergebnissen und angespannten Beziehungen führte.

Tipp für Führungskräfte: Mehr Vertrauen bei mobiler Arbeit
Die Arbeitsform des Mobilen Arbeitens funktioniert nur mit Führungskräften, die vertrauen können. Natürlich müssen Führungskräfte die Arbeit der Mitarbeitenden auch kontrollieren und prüfen. Und oft ist es eine Gradwanderung, beides zu vereinbaren. Meiner Erfahrung nach gelingt dies am besten, wenn die Führungskräfte sich ihrer eigenen Ängste und Unsicherheiten bewusst sind. Dann können unbewusst ausgelebte Kontrollaktionen durch reflektierte, ergebnisorientierte und transparente Führungsinstrumente ausgetauscht werden.


Selbstisolation und Einsamkeit im Homeoffice

Mein letztes Beispiel begegnete mir im Rahmen eines Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM). Eine Mitarbeitende war im vergangenen Jahr mehrfach krank - immer mal wieder einige Tage. Insgesamt kam sie auf sechs Wochen innerhalb der letzten zwölf Monate und hatte damit Anspruch auf ein BEM-Verfahren. Als externer Dienstleister gelang es mir, Vertrauen aufzubauen und so erfuhr ich bald, was hinter den körperlichen Erkrankungen (Erkältung, Migräne, Magen-Darm, ...) auch noch steckte: Die Arbeitnehmerin lebte allein und war erst vor kurzem neu zugezogen. Sie hatte kaum ortsnahe Freunde und nur wenige Kontakte außerhalb ihrer Arbeit. Die Arbeit machte ihr Spaß, gab ihr Selbstbewusstsein und sorgte für das nötige soziale Netzwerk.

Als sie und ihre Kolleginnen aufgrund der Pandemie nicht mehr im Büro, sondern im Homeoffice arbeiten sollten, war das für sie von Anfang an eine große Herausforderung. Es gelang ihr nur schwer, sich zu Hause selbst zu organisieren und als extrovertierte und gesellige Person fehlten ihr die persönlichen Kontakte vielleicht noch mehr als anderen. Sie suchte das Gespräch mit ihrer Führungskraft und äußerte den Wunsch, wieder im Büro arbeiten zu können. Ihr Anliegen wurde abgelehnt, ohne dass sie den Grund dafür wirklich verstehen konnte, da sowohl ihre Führungskraft als auch zwei andere Kolleginnen regelmäßig im Büro "sein durften". Sie fühlte sich gekränkt und ungerecht behandelt. Natürlich war die erlebte Kränkung nicht die alleinige Ursache der Fehlzeiten, aber doch sicher mehr als nur ein kleines Zünglein an der Waage.

Tipp für Führungskräfte: Entscheidungen zur Mobilarbeit begründen
Je nach Persönlichkeit kann mobiles Arbeiten ein echtes Problem darstellen, etwa bei extrovertierten Menschen mit einem hohen Bedarf an Kontakt und Austausch, aber auch bei unsicheren Menschen, die von häufigen und zeitnahen Rückmeldungen ihrer Führungskräfte profitieren. Um außerhalb des Büros und ohne persönliche Kontakte effizient arbeiten zu können, bedarf es auch eines höheren Maßes an Eigenmotivation und Selbstorganisation. Sonst wird es schwer. Für manche Menschen sind der Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen, die Fahrt zur Arbeit oder die Zeit "außerhalb" der eigenen vier Wände oft wichtig für ein positives Lebensgefühl. Mitarbeitende, die gezwungen sind, entgegen dieser Bedürfnisse und Werte zu arbeiten, erleben das unter Umständen als massive Kränkung. Sollte dies aus betrieblichen Gründen unumgänglich sein, ist es wichtig, die Gründe dafür gut und glaubhaft zu kommunizieren und im engen Kontakt mit diesen Mitarbeitenden zu bleiben. Sich gekränkt oder ungerecht behandelt zu fühlen kann nach meiner Erfahrung schnell zu einer inneren Kündigung, verminderter Leistungsbereitschaft und erhöhten Fehlzeiten führen. Das sollten Sie unbedingt versuchen, zu verhindern.


Mobile Arbeitskonzepte brauchen individuell zugeschnittene Konzepte

Arbeitskonzepte außerhalb des klassischen Büros werden sicher auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Und wenn wir über die Vor- und Nachteile des mobilen Arbeitens reden, sollten wir vor allem nicht vergessen, den Menschen mitzudenken: Die individuelle Lebenssituation, Persönlichkeitseigenschaften, Werte und Motive der Mitarbeitenden und auch der Führungskräfte sind relevante Faktoren bei der Frage, ob und wie mobiles Arbeiten gelingen kann.

Für mich wird durch das Thema "mobiles Arbeiten" noch einmal sehr deutlich, dass es immer weniger um Standardantworten gehen kann. Führungskräfte sind mehr denn je gefordert, nach zugeschnittenen Lösungen zu suchen und aufmerksam zu bleiben - aufmerksam in Bezug auf die individuellen Bedürfnisse, Fähigkeiten, Ressourcen und Ängste der Mitarbeitenden und auch der eigenen.


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