Interview zur strategischen Personalplanung bei Schaeffler

Der Automobil- und Indus­triezulieferer Schaeffler steckt im Umbruch. Neben dem Verbrenner-Aus sitzt dem Unternehmen die Demo­grafie im Nacken. Zwischen Weiterbildung und Recruiting arbeitet Personal­vorständin Corinna Schittenhelm an einer lang­fristigen Personal­planung. Im Interview spricht sie über kurzfristige Herausforderungen und strategische Weichenstellungen.

Personalmagazin: Frau Schittenhelm, als fünftgrößter Automobilzulieferer in Deutschland ist auch Schaeffler vom Verbrenner-Aus ab 2035 betroffen. Wie viel Aufbruchstimmung löst der Umbruch in Ihrem Unternehmen aus?

Corinna Schittenhelm: Wir werden oft als Automobilzulieferer bezeichnet, sind aber ein Industrie- und Automobilzulieferer. Das macht einen wesentlichen Unterschied, wenn wir über die Transformation sprechen. Richtig spürbar ist der Wandel seit vier, fünf Jahren, wenn wir über die Automobilsparte sprechen.

Personalmagazin: Das Handelsblatt schrieb kürzlich, Schaeffler hätte zur Aufholjagd geblasen. Wodurch sind Sie in Rückstand geraten?

Schittenhelm: Aus meiner Sicht wurde das in der Vergangenheit vor allem auf den Bereich Elektromobilität bezogen. Dort stehen wir in einem wachsenden globalen Wettbewerb, aber mittlerweile kann man meines Erachtens nicht mehr von einem Rückstand sprechen, wie unsere gute Auftragslage belegt. Dennoch haben wir den Anspruch, noch besser zu werden und unsere Position im Markt auszubauen. 

Wasserstoff hat Potenzial im Bereich Mobilität

Personalmagazin: Gleichzeitig arbeiten Sie an verschiedenen Projekten zur Wasserstofferzeugung und -nutzung. Ist das heute wirklich ein Thema? 

Schittenhelm: Ja, das ist in der Tat ein interessantes Thema für Schaeffler. Wir stehen für Technologieoffenheit und ein vielfältiges und nachhaltiges Produktportfolio. Wir sehen im Bereich Mobilität beim Wasserstoff Potenzial in der Brennstoffzelle. Darüber hinaus bietet die Herstellung von Wasserstoff, beispielsweise die Elektrolyse, Möglichkeiten für unsere Industriesparte. Die Sparte ist auch ein wichtiger Zulieferer für die Windkraftindustrie. Und erst kürzlich haben wir uns mit Zukäufen in den Bereichen Lineartechnik und Robotik verstärkt. 

Wir sehen im Bereich Mobilität beim Wasserstoff Potenzial in der Brennstoffzelle. Darüber hinaus bietet die Herstellung von Wasserstoff, beispielsweise die Elektrolyse, Möglichkeiten für unsere Industriesparte. - Corinna Schittenhelm, Schaeffler AG

Personalmagazin: Welchen Stellenwert wird das Automobilgeschäft künftig haben?

Schittenhelm: Es ist und bleibt ein wichtiges Standbein. Dort haben wir eine lange erfolgreiche Historie und starke Kundenbeziehungen, und es wird auch in Zukunft Teil unseres Kerngeschäfts bleiben. Der Bereich Automotive Technologies sichert uns neben dem Industriegeschäft die Investitionen in neue Geschäftsfelder, und wir erleben weiterhin eine starke Nachfrage nach unseren Produkten.

Personalmagazin: Zu den neuen Geschäftsfeldern zählt auch die Elektromobilität. Wie decken Sie Ihren Personalbedarf in diesem Bereich?

Schittenhelm: Durch Ausbildung, Umqualifizierung und Recruiting. Die Ausbildung hat bei uns traditionell einen hohen Stellenwert. Deshalb bilden wir an allen 48 Standorten weltweit aus. Wir merken aber auch, dass es immer schwieriger wird, junge Menschen statt für ein Studium, für eine Ausbildung zu begeistern. Bei der Umqualifizierung schulen wir weltweit Ingenieurinnen und Ingenieure, die bisher am Verbrenner gearbeitet haben, in Richtung E-Antriebe um. Unser Bedarf geht allerdings weit darüber hinaus, weshalb wir, wie auch alle anderen Wettbewerber, zusätzliche Fachkräfte suchen.

Wir merken aber auch, dass es immer schwieriger wird, junge Menschen statt für ein Studium, für eine Ausbildung zu begeistern. Bei der Umqualifizierung schulen wir weltweit Ingenieurinnen und Ingenieure, die bisher am Verbrenner gearbeitet haben, in Richtung E-Antriebe um. - Corinna Schittenhelm, Schaeffler AG

Personalmagazin: Wie hoch ist der Anteil der Beschäftigten, die Sie umschulen können?

Schittenhelm: Das hängt stark von den konkreten Stellenprofilen ab. In der Diskussion wird es manchmal so dargestellt, als wären alle Fähigkeiten einer Person plötzlich überflüssig. Das ist eine sehr vereinfachte Sichtweise. Stattdessen sind in den meisten Fällen viele Qualifikationen und Erfahrungen als Basis wichtig und müssen um neue Technologie und Fähigkeiten ergänzt werden. Am Standort Bühl, unserem Headquarter für E-Mobilität, ist es uns mit unseren "Fit4"-Programmen gelungen, rund 650 Mitarbeitende umzuqualifizieren. 

Personalmagazin: Das klingt überschaubar, angesichts von rund 83.000 Mitarbeitenden weltweit.

Schittenhelm: Auf das gesamte Unternehmen bezogen liegt der Anteil wesentlich höher. Insgesamt konnten wir mit unserer Schaeffler Academy in den vergangenen anderthalb Jahren bereits mehr als 11.000 Mitarbeitende weiter- und umqualifizieren. 

Personalmagazin: Trotzdem bauen die Autozulieferer tausende Stellen ab. Sie auch?

Schittenhelm: Auch wir müssen seit einiger Zeit konsolidieren. Da geht es uns nicht anders als dem Wettbewerb. Das tun wir allerdings in enger Absprache mit den Arbeitnehmervertreterinnen und -vertretern und haben bereits 2018 eine gemeinsame "Zukunftsvereinbarung" zur Transformation geschlossen. Darin verpflichten wir uns zu sozialverträglichen Maßnahmen und wollen auch denjenigen Beschäftigten eine Perspektive aufzeigen, denen wir im Unternehmen keine mehr bieten können.

Loyalität muss hart erarbeitet werden

Personalmagazin: Die multiplen Krisen der vergangenen drei Jahre haben die Rufe nach einem "Decoupling", also einer Entkopplung der Wirtschaft von bestehenden Abhängigkeiten beispielsweise Rohstofflieferanten oder Zulieferern lauter werden lassen. Planen Sie, Produktionsjobs nach Deutschland zurückzuholen?

Schittenhelm: Nein, das ist derzeit nicht vorgesehen. Wichtig ist allerdings, dass unsere Lieferketten stabil sind. 

Personalmagazin: Welche Rolle spielt die Demografie beim Personalabbau?

Schittenhelm: In den vergangenen Jahren hat diese uns an einigen Standorten tatsächlich geholfen, zum Beispiel da sich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Altersteilzeitmodelle entschieden haben. Aber es gibt natürlich auch Herausforderungen. Wir haben vor allem in Europa, aber auch in Nord- und Südamerika, eine alternde Belegschaft. Das werden wir in den nächsten Jahren noch stärker zu spüren bekommen. Wir müssen daher an Standorten spezifisch und individuell bereits heute Maßnahmen ergreifen, die zukünftigem Mangel an Arbeitskräften vorbeugen. 

Personalmagazin: Sie steuern also auf einen Personalmangel zu. Wie treten Sie dem entgegen?

Schittenhelm: Das möchte ich relativieren, das muss differenziert betrachtet werden. Tatsächlich haben wir bereits heute einen wachsenden Bedarf an Fachkräften in den Bereichen IT, Digitalisierung und Softwareentwicklung. Der Bewerbermarkt tut sein Übriges. Wir spüren, dass Loyalität zunehmend hart erarbeitet werden muss und dass auch bei uns die Fluktuation zugenommen hat. Doch dem wirken wir bereits seit einiger Zeit erfolgreich entgegen.

Wir spüren, dass Loyalität zunehmend hart erarbeitet werden muss und dass auch bei uns die Fluktuation zugenommen hat. - Corinna Schittenhelm, Schaeffler AG

Personalmagazin: Wie genau?

Schittenhelm: Wir haben unser Employer Branding und Recruiting verstärkt. Die Attraktivität für einen Beruf im Handwerk oder der Industrie hat in den vergangenen vier, fünf Jahren massiv abgenommen. Das haben wir nicht zuletzt am Bewerbungseingang für Ausbildungsplätze gemerkt. Deshalb sprechen wir inzwischen sehr viel gezielter die Altersgruppe der 14- bis 16-Jährigen für eine Ausbildung und die 18- bis 19-Jährigen für ein Duales Studium an. Auf unserer Website können Studierende beispielsweise einen virtuellen Rundgang durch unser Ausbildungszentrum machen. Denn wir haben festgestellt, dass wir jungen Menschen viel stärker erklären müssen, was sie an ihrem Arbeitsplatz erwartet. 

Studierende wollen international agieren und selbst aktiv werden

Personalmagazin: Gibt es diesen Erklärungsbedarf auch bei den Inhalten eines Dualen Studiums?

Schittenhelm: Weniger. Da tun wir uns deutlich leichter und haben weiterhin sehr gute Bewerbereingänge. Für Studieninteressierte ist oft wichtiger, dass wir technologisch breit aufgestellt sind und international agieren. Außerdem haben wir verschiedene Kooperationen, beispielsweise mit dem Karlsruher Institut für Technologie, der RWTH Aachen oder der Nanyang Technological University in Singapur. Dort können Studierende gemeinsam mit unseren Mitarbeitenden an echten Forschungsprojekten arbeiten. Und nicht zu vergessen, die Formula Student. 

Personalmagazin: Eine Rennserie?

Schittenhelm: Ein internationaler Konstruktionswettbewerb, bei dem Teams aus Studierenden einen Formel-Rennwagen bauen und in einem fünftägigen Wettbewerb am Hockenheimring gegen Teams aus der ganzen Welt antreten. Das kommt in Studiengängen wie Maschinenbau und Elektrotechnik sehr gut an.

Personalmagazin: Sie verantworten neben dem Ressort Personal auch die Themen Umwelt, Gesundheit und Arbeitssicherheit. Ist eine Rennserie der richtige Hebel, wenn es verstärkt um das Thema Klimaschutz geht?

Schittenhelm: Auch dort sind die Weichen in Richtung Zukunft gestellt. Bereits seit 2010 unterstützen wir die Kategorie Formula Student Electric und seit 2017 auch die Formula Student Driverless. Aber sicherlich gibt es größere Hebel, um mit unserer Strategie als Unternehmen klimaneutral zu werden. Deshalb haben wir unsere Ziele in einer Roadmap verankert. Wichtig ist aber vor allem, dass wir unsere Mitarbeitenden einbinden und von diesem Weg überzeugen. Ich bin überzeugt, dass die Fähigkeiten dafür bei uns im Unternehmen vorhanden sind. Wir haben hervorragende Ingenieurinnen und Ingenieure, Technologinnen und Technologen. Jetzt geht es darum, das praktisch umzusetzen.

Aber sicherlich gibt es größere Hebel, um mit unserer Strategie als Unternehmen klimaneutral zu werden. Deshalb haben wir unsere Ziele in einer Roadmap verankert. Wichtig ist aber vor allem, dass wir unsere Mitarbeitenden einbinden und von diesem Weg überzeugen. - Corinna Schittenhelm, Schaeffler AG

Personalmagazin: Ohne Zuwanderung von Fachkräften wird sich die Lage am Arbeitsmarkt aufgrund der Demografie in den nächsten Jahren weiter zuspitzen. Dann könnten auch Recruiting-Maßnahmen an ihre Grenzen gelangen. Ist die Automatisierung, die lange als Jobkiller verschrien war, die Lösung?

Schittenhelm: Sie ist bereits Teil der Lösung. Als produzierendes Unternehmen sind wir schon seit Jahrzehnten Vorreiter für automatisierte Prozesse. Bislang war das vor allem dem Wettbewerbsdruck geschuldet, künftig könnte der Mangel an Fachkräften zum stärksten Treiber werden. 

Strategische Personalplanung gewinnt enorm an Bedeutung

Personalmagazin: Ist das auch ein Thema innerhalb Ihrer strategischen Personalplanung?

Schittenhelm: Das ist sogar ein großes Thema. Die strategische Personalplanung gewinnt angesichts der großen Dynamik innerhalb unserer Geschäftsmodelle, der Verknappung von Arbeitskräften und der immer weiter sinkenden Halbwertszeit von Kompetenzen enorm an Bedeutung. Deswegen haben wir diesen Sommer ein Konzept erarbeitet, das die strategische Personalplanung als integralen Bestandteil unseres Strategieprozesses in der Gruppe etablieren soll. Somit können zum Beispiel Trends wie Automatisierung in konkrete Kapazitäts- und Kompetenzbedarfe unserer Belegschaft übersetzt werden. Gleichzeitig finden aber auch externe Einflussfaktoren wie Verfügbarkeit von Fachkräften sowie Trends wie Automatisierung oder Digitalisierung Berücksichtigung. Von Natur aus ist die Planung mittel- bis langfristig ausgelegt und soll somit ermöglichen, frühzeitig die Weichen, insbesondere mit Blick auf Kapazität aber auch Kompetenzen, zu stellen.

Personalmagazin: Welchen Stellenwert nimmt die strategische Personalplanung in Ihrem Unternehmen ein?

Schittenhelm: Unsere Mitarbeitenden sind unser wichtigstes Kapital und der Schlüssel für unseren zukünftigen Geschäftserfolg. Das spiegelt sich auch in dem Stellenwert der strategischen Personalplanung wider. Aus diesem Grund haben wir in diesem Jahr einen strukturierteren Ansatz implementiert, der die Personalplanung als integralen Bestandteil der gruppenweiten Strategie- und Planungsprozesse vorsieht. 

Personalmagazin: Können Sie Beispiele für konkrete Planungsszenarien nennen?

Schittenhelm: Ausgangspunkt der strategischen Personalplanung bildet immer die übergeordnete Geschäftsstrategie. Die Methodik der strategischen Personalplanung hilft uns dabei, die sich aus der Geschäftsentwicklung ergebenden Veränderungen in Weiterentwicklungsmöglichkeiten der Belegschaft zu übersetzen. Dadurch unterstützen wir mit strategischer Personalplanung die Weiterentwicklung der geschäftsrelevanten Bereiche und tragen zum nachhaltigen Unternehmenserfolg bei.

Personalmagazin: Die strategische Personalplanung arbeitet häufig mit Szenarien. Doch der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass es  schwer Vorhersehbares gibt. Wie bereiten Sie sich vor?

Schittenhelm: Wir sollten uns stets vergegenwärtigen, dass es sich um Szenarien handelt, die selten in Gänze so eintreffen. Sie geben uns eine Richtung vor, aber darüber hinaus müssen wir flexibel bleiben. Für uns ist es wichtig, dass wir auf klassische Methoden zurückgreifen können, wenn sich ein Plan ändert. Wir können beispielsweise kurzfristig bestimme Profile suchen oder uns auch exogen verstärken, indem wir Unternehmen beziehungsweise deren Planungskompetenz zukaufen. Im Krisenfall zählen Schnelligkeit und Reaktionsfähigkeit. Beides haben wir in der Vergangenheit bewiesen.

Dieses Interview ist erschienen in Personalmagazin Ausgabe 11/2022. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.


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