Kongress: Halbzeitbilanz Arbeiten 4.0

Die Halbzeitbilanz des Dialogprozesses zu „Arbeiten 4.0“ zeigt, wo Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles Regulierungsbedarf sieht. Eine Analyse des Personalmagazins.

Als Andrea Nahles mit dem Grünbuch zu „Arbeiten 4.0“ vor einem Jahr eine gesellschaftliche Debatte startete, hatte sie sich schon das Image einer Kämpferin für die Schutzrechte der Arbeitnehmer erworben: Die Rente mit 60 und den Mindestlohn hatte sie eben gegen die Wirtschaft durchgeboxt. Mit „Arbeiten 4.0“ griff sie dann eine Debatte aus dem Arbeitgeberlager über die Digitalisierung der Arbeitswelt auf, um sich mit diesem Zukunftsthema als Modernisiererin zu profilieren. Das Thema wurde mittlerweile zwar durch die Flüchtlingskrise überdeckt, hat aber nichts an Relevanz verloren.

Halbzeitkonferenz Arbeiten 4.0

In dieser Woche lud Nahles nun Personalmanager, Betriebsräte, Verbandsleute, Politiker und Interesssierte zu einer Halbzeitbilanz nach Berlin ein.  In ihrer Eröffnungsrede berichtete Nahles von ihren Besuchen bei Start-ups und Konzernen, wo sie ein „Gefühl des Aufbruchs“ erlebt habe. Sie habe erkannt, dass die Arbeitswelt vor einem Umbruch mit historischem Ausmaß stehe. „Bei Google haben sie Marx gelesen“, kommentiert sie die Veränderung der Produktionsverhältnisse, die von der Digitalisierung ausgeht. „Sie nennen das heute Disruption.“

Starke Polarisierung in der Wahrnehmung

Nahles beobachtet die starke Polarisierung bei der Beschreibung der Veränderung. Während die einen Flexibilität als ein gutes Mittel sehen, um auf den Druck des Wettbewerbs angemessen zu reagieren, verbinden manche Arbeitnehmer mit dem Begriff schlechte Erfahrungen. Während die einen Arbeitnehmer die neue Arbeitswelt als Aufbruch anpreisen, blicken die anderen mit Wehmut auf scheinbar eine bessere Zeit zurück. Der einzige Ausweg aus der Polarisierung sei der Dialog, der in der zweiten Halbzeit noch intensiver werden müsse. „Es wäre ein Witz, wenn wir die Gegensätze nicht ausbalancieren können“, meinte Nahles.

Die Agenda von Nahles

Während die Debatte in der ersten Halbzeit in die Breite getragen wurde, geht es jetzt darum, was Ende 2016 im Weißbuch zu Arbeiten 4.0 steht. Der Ton zwischen den Beteiligten wird schärfer und Nahles hat erstmals die Handlungsfelder benannt, um die es ihr geht: Regelungen zu Arbeitszeit und Arbeitsort, Lernort Betrieb und die soziale Absicherung von Selbstständigen (Clickworkern). Welche neuen gesetzlichen Regelungen werden kommen?

Reform des Arbeitszeitgesetzes

Das derzeitige Arbeitszeitgesetz, das eine Höchstarbeitszeit pro Tag von zehn Stunden und eine elfstündige Ruhezeit vorschreibt, ist in der Realität überholt. Das machte Ulrike Schweibert vom Arbeitsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins deutlich: „Die ganze Beratungsbranche lebt außerhalb der gesetzlichen Vorschriften, und zwar gut“, kommentierte sie die Lage. „Wer abends um 9.00 Uhr noch Mails beantwortet und sich morgens um 6.00 Uhr auf Dienstreise begibt, handelt gesetzeswidrig. Dabei ist das doch vielfach der Alltag.“

Schweibert empfahl die Einführung einer Opt-out Regel für Berufsgruppen oder Funktionen, während Peter Clever, Geschäftsführung der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) empfiehlt, die Verteilung der Arbeitszeiten pro Woche und nicht pro Tag zu regeln. Annelie Buntenbach vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) trat diesen Forderungen strikt entgegen und sah beim Arbeitszeitgesetz keinen Änderungsbedarf.

Andrea Nahles nahm zu den konkreten Fragen der Arbeitszeitgestaltung nicht Stellung, machte aber deutlich, dass sie das Recht auf Rückkehr aus der Teilzeit, das im Koalitionsvertrag steht, noch in diesem Jahr umsetzen will. „Die Arbeit muss im Lebenslauf atmen können“, begründete sie den weitreichenden Schritt, der die Betriebe vor große Herausforderungen in der Personalplanung stellen wird. Die Einführung einer Wahlarbeitszeit bezeichnete sie als ihr „mittelfristiges Ziel“.

Homeoffice und mobiles Arbeiten

Eine breite Diskussion gab es um das Homeoffice. Die Forscherin Gerlinde Vogt von der Universität Oldenburg stellte die zentralen Motive für die Arbeit im Homeoffice heraus: „Die Leute wollen in Ruhe arbeiten und sich Wegezeiten sparen.“ Während die Arbeitgeber die Ausdehnung von Homeoffice-Regelungen positiv sehen, fordern die Gewerkschaften neue Schutzrechte für Arbeitnehmer. DGB-Funktionärin Buntenbach sprach vom „wilden Homeoffice“ und forderte für Arbeitnehmer ein Recht auf Homeoffice, aber auch ein Recht auf Rückkehr und die Mitbestimmung bei den Zielvorgaben, über die Homeoffice-Arbeitsplätze meist gesteuert werden. Zu den Zielvorgaben gab es auf der Konferenz keine breite Diskussion, obwohl damit ja die Mitbestimmung erheblich ausgeweitet würde.

Oskar Heer, beim Daimler zuständig für Arbeitspolitik, betonte die Kompromisslinien und verwies darauf, dass es in seinem Hause seit vielen Jahre funktionierende Regelungen gebe, die auf dem Prinzip der doppelte Freiwilligkeit beruhe. Wenn sich ein Vorgesetzter und ein Mitarbeiter einig sind, stehe dem Homeoffice und dem mobilen Arbeiten nichts im Wege. Im Konzern würde es bereits über 300 Arbeitszeitmodelle geben.

Recht auf Unerreichbarkeit

Hitzig diskutiert wurde auch über das Recht auf Unerreichbarkeit. Die Gewerkschaften wollen das gesetzlich festschreiben, während die Arbeitgeberverbände das grundsätzlich ablehnen. „Die Betriebe müssen mehr in die Haltung der Führungskräfte investieren, dass sie Ruhezeiten der Mitarbeiter respektieren“, argumentierte BDA-Funktionär Clever und verwies darauf, dass man Mitarbeiter mit Spezialwissen auch zu ungewöhnlichen Zeiten erreichen können muss. An diesem Punkt sprang den Gewerkschaften Thorben Albrecht, Staatssekretär im Arbeitsministerium, zur Seite und meinte, dass die Betriebe dafür sorgen müssen, dass jeder Mitarbeiter vertreten werden kann. Deutet sich hier bereits die Linie an, auf die das Arbeitsministerium zuarbeitet?

Weiterbildung und soziale Absicherung der Selbstständigen

Die Weiterbildung sieht Nahles als zentralen Schlüssel, um die Umbrüche ams Arbeitsmarkt zu bewältigen. Mittelfristig will sie ein Recht auf Weiterbildung schaffen, das von den Beteiligten gemeinsam finanziert wird. Wie das konkret aussehen soll, blieb im Unklaren.

Die Bundesarbeitsministerin hat inzwischen anerkannt, dass es nicht nur Selbstständige gibt, die das unfreiwillig machen, sondern auch diejeningen, die diesen Weg bewusst wählen. Sorge bereitet ihr aber, dass viele nicht ausreichend für das Alter vorsorgen und sich auf die Grundsicherung verlassen. Hier sieht sie Handlungsbedarf für den Gesetzgeber.

Dritter Weg?

Andrea Nahles und ihre Ministerium sind sich offenbar bewusst, dass die Positionen der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften die Interessenlagen der Menschen nur unzureichend beschreiben. „Es gibt nicht mehr den Arbeitnehmer, die Interessen sind sehr individuell“, formulierte Nahles und verwies auf die Studie „Wertewelten Arbeiten 4.0“, die sieben Wertewelten beschreibt, in die Arbeitnehmer einzuordnen sind. Mit einem Selbsttest kann sogar jeder selber mitmachen unter www.arbeitenviernull.de.

Nahles hat offenbar erkannt, dass die Sozialpartner allein die Zukunft der Arbeitswelt nicht gestalten können. Sie sprach von einer „lernenden Gesellschaft“, einem „neuen Gesellschaftsvertrag“, einem „nicht ideologischen Austausch“ und wünschte sich eine „neue Kompromisskultur“. In den gesellschaftlichen Dialog zum Arbeiten 4.0 hat sie deshalb auch Akteure außerhalb der Sozialpartnerschaft eingebunden. Ob sie allerdings die Kraft und den politische Mut haben wird, sich vom Gewerkschaftslager abzusetzen, das die Digitalisierung und Arbeiten 4.0 vor allem als Bedrohung beschreibt und neue Schutzrechte verlangt, wurde auf der Konferenz nicht erkennbar. Die kritischen Stimmen waren laut und bekamen viel Beifall.

Weißbuch soll politische Antworten geben, aber kein Aktionsplan sein

Die Strategen des Arbeitsministeriums sind sich offenbar im Klaren, dass Regulierungsvorhaben, die über den Koalitionsvertrag hinausgehen, in dieser Legislaturperiode kaum umsetzbar sind, entsprechend defensiv formulierte Andrea Nahles das Ziel für die zweite Halbzeit: „Das Weißbuch soll politische Antworten für die Digitalisierung der Arbeitswelt bieten, es wird kein Aktionsplan für konkrete Maßnahmen.“ Gleichwohl wird auch eine neue Regierung, auf das Weißbuch aufbauen. 

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