Agiles Recruiting: Im Team über Einstellungen entscheiden

Die Herausforderungen bei der Personalgewinnung steigen. In vielen Unternehmen entwickelt sich das Recruiting daher zu einem Teamsport. Recruiting-Experte Jens Olberding erläutert, aus welchen Akteuren sich ein Recruitingteam zusammensetzt und stellt sechs Wege zur Entscheidungsfindung vor.

Ein Recruitingteam setzt sich aus verschiedenen Mitarbeitern eines Unternehmens zusammen. Selbstverständlich ist HR ein Teil davon, aber auch die Führungskraft, in deren Team eine Stelle zu besetzen ist. Diese Konstellation beschreibt das herkömmliche Setting, in dem die meisten Unternehmen bei der Personalsuche unterwegs sind.

Agiles Recruiting: Wer sollte zum Team gehören?

Um das Recruiting agil werden zu lassen, wird das herkömmliche Setting erweitert, um individueller auf die Bedürfnisse der Bewerber eingehen und einen authentischen Einblick in Aufgaben, Team und Unternehmen geben zu können. Ein agiles Recruitingteam setzt sich daher aus den Mitarbeitern eines Unternehmens zusammen, die helfen können, die steigende Komplexität im Recruiting zu senken oder wenigstens diese besser zu handhaben. Gleichzeitig braucht es Teammitglieder, die helfen, den gesamten Recruitingprozess authentisch und transparent zu gestalten und die in einen direkten Austausch auf Augenhöhe mit den Kandidaten gehen können.

Welche Rolle spielt HR beim Teamrecruiting?

Viele dieser Aufgaben liegen in der Verantwortung von HR. Für einen sinnvollen und zielgerichteten Einsatz des HR-Know-how ist es daher empfehlenswert, dass die Recruitingaktivitäten von einer Person aus den Reihen von HR zentral koordiniert werden, zum Beispiel von einem Personalreferenten. Dieser kann im Sinne des Teamsportgedankens die unterschiedlichen HR-Disziplinen gezielt hinzuziehen und gemäß ihren Fähigkeiten bestmöglich einsetzen.

Das agile Plus: Kollegen, Spezialisten und Kunden einbinden

Das agile Recruitingteam besteht einerseits aus HR-Mitarbeitern. Hinzu kommt die Führungskraft des jeweiligen Fachbereichs. Erweitert wird das agile Team durch Kollegen des Fachbereichs, der den neuen Mitarbeiter sucht. Sinnvoll ist es, wenn Kollegen eingebunden werden, die entweder eine ähnliche Funktion wie die der vakanten Stelle ausüben oder künftig eng mit dem neuen Kollegen zusammenarbeiten. Beides zahlt auf eine authentische und glaubhafte Kommunikation mit den Bewerbern ein und soll im Auswahlverfahren durch mehr Transparenz und bessere Einblicke in Aufgaben und Team für Bewerber punkten. Diese Zusammensetzung ist vor allem innerhalb einer Linienorganisation vorteilhaft.

In einer Matrixorganisation kann das Team etwas anders geformt sein. Hier können neben dem Team, in dem die zu besetzende Stelle angesiedelt ist, auch Mitarbeiter aus anderen Abteilungen und Bereichen das Recruitingteam bilden. Das überzeugt vor allem dann, wenn der gesuchte Mitarbeiter team- oder bereichsübergreifend im Unternehmen tätig sein wird. Darüber hinaus kann das Team um externe Dienstleister wie Headhunter oder Spezialisten aus Eignungsdiagnostik und Kompetenzmessung ergänzt werden. Diese Dienstleister zahlen weniger auf das Ziel einer authentischen Kommunikation ein, sind aber im Sinne eines koordinierten und abgestimmten Vorgehens im Recruitingprozess mitzudenken.

Ähnliches gilt, wenn wichtige Geschäftskunden und Lieferanten in den Auswahlprozess einbezogen warden. Im Sinne eines agilen, kundenzentrierten Vorgehens kann es für einzelne Positionen hilfreich sein, über die eigenen Unternehmensgrenzen hinaus zu denken. Ähnlich wie bei der Einbindung der künftigen internen Teamkollegen wird die Einbindung von wichtigen Kunden und Lieferanten die Zusammenarbeit mit dem neuen Mitarbeiter verbessern und die Geschäftsbeziehungen schärfen.

Die Entscheidungsmacht in agilen Recruitingteams

Wer Verantwortung trägt, sollte auch mitreden dürfen, wenn Entscheidungen zu treffen sind. Eine logische Konsequenz, schließlich ist es nicht möglich, Verantwortung für das eigene Handeln zu tragen, wenn jemand anderes die Entscheidungen für einen trifft. Beim agilen Recruiting liegen die Verantwortung und die Entscheidungsmacht beim Recruitingteam. Da in diesem Team auch die Führungskraft und HR zu finden sind, scheint die Entscheidungsmacht bei den bekannten Akteuren zu verbleiben. Welche Rolle spielt in diesem Setting dann das Team, also die in das Recruiting eingebundenen Mitarbeiter des suchenden Teams?

Je mehr die künftigen Kollegen in den Auswahlprozess involviert werden, desto mehr müssten sie auch in die Entscheidungsfindung involviert werden. Andernfalls können diese Teammitglieder keine Verantwortung in den verschiedenen Phasen des Recruitingprozesses übernehmen und das Recruiting Stück für Stück verbessern.

Vor allem zu Beginn, wenn noch wenig Entscheidungskompetenz im Team zu finden ist, ist die Einbeziehung des Teams ein Zeichen der Wertschätzung der Führungskraft gegenüber ihren Mitarbeitern. Wurde erst damit begonnen, ein Recruitingteam aufzubauen, ist in den meisten Fällen auch die Kompetenz im Team noch deutlich ausbaufähig. Daher ist in dieser Anfangsphase HR besonders gefragt, das Recruitingteam darin zu unterstützen, die nötigen Kompetenzen aufzubauen. Entsprechend der Kompetenzverteilung tragen HR und Führungskraft die Verantwortung und treffen die Entscheidungen. Schrittweise kann – entsprechend dem Kompetenzzugewinn – die Entscheidungsmacht auf das gesamte Team übertragen werden.

Sechs Wege der Entscheidungsfindung für Recruitingteams

Es gibt verschiedene Wege der Entscheidungsfindung. Welcher Weg für das Recruitingteam der richtige ist, hängt vom agilen Reifegrad des Teams und der Bereitschaft der Führungskraft, Verantwortung zu übertragen, ab. Je nachdem, wie ein Team in den Entscheidungsfindungsprozess eingebunden und wie viel Verantwortung von der Führungskraft auf das Team übertragen wird, bietet sich eine von sechs Methoden der Entscheidungsfindung an:

1. Die autoritäre Entscheidung:  Bei der autoritären Entscheidung liegt die Entscheidungsbefugnis allein bei der Führungskraft. Eine Einbindung des Teams in die Entscheidungsfindung erfolgt nicht.

2. Der konsultative Einzelentscheid: Beim konsultativen Einzelentscheid liegt die Entscheidungsbefugnis weiterhin allein bei der Führungskraft. Jedoch berät sie sich vor ihrer Entscheidung mit den Mitgliedern ihres Teams und anderen Personen aus dem Unternehmen.

3. Die absolute Mehrheit: Für eine absolute Mehrheit werden mehr als die Hälfte aller Stimmen derjenigen benötigt, die an der Abstimmung teilnehmen dürfen.

4. Die relative Mehrheit: Die relative Mehrheit spielt nur dann eine Rolle, wenn mehr als zwei Optionen im Raum stehen. Die Option, die die meisten Stimmen erhält, ist ausgewählt.

5. Vorauswahl mittels Dot-Voting: Jedes Mitglied des Recruitingteams erhält zehn Stimmen, die es in Form von Punkten auf die verschiedenen Kandidaten verteilen kann. Ob die zehn Punkte auf zehn verschiedene Kandidaten verteilt werden oder ein Kandidat gleich mehrere Punkte von einem Teammitglied erhält, bleibt offen. Im Anschluss an die Abstimmung werden die zehn Bewerber, die die meisten Punkte erhalten haben, zu einem ersten Interview eingeladen.

6. Konsens oder Konsent: Ob Entscheidungen mittels Konsens oder Konsent herbeigeführt werden, macht sprachlich zwar einen kleinen, tatsächlich aber einen großen Unterschied. Konsens bedeutet: Die Entscheidung ist getroffen, wenn alle dafür sind. Konsent bedeutet: Die Entscheidung wird getroffen, wenn nichts mehr dagegenspricht. Das heißt, eine Entscheidung, die im Konsens getroffen werden soll, ist nur dann möglich, wenn von den Abstimmberechtigten kein Veto eingelegt wird. Sobald auch nur eine Person ein Veto einlegt, kann die Entscheidung nicht getroffen werden. Auch dann nicht, wenn sich alle anderen Kollegen einig sind. Unabhängig davon, ob vom Vetorecht Gebrauch gemacht wird, dauert es normalerweise in der Praxis sehr lange, bis eine Entscheidung im Konsens getroffen werden kann. Schließlich müssen sich alle Beteiligten eine eindeutige Meinung gebildet haben. Eine Konsent-Entscheidung bedeutet hingegen, dass nicht die Mehrheit entscheidet, sondern das beste verfügbare Argument. Ein Einwand ist hierbei kein Veto, sondern ein Hinweis darauf, dass es noch etwas zu beachten gilt.

Es kommt auf den agilen Reifegrad an

Die hier dargestellten Wege zeigen auf, wie ein Team in die Entscheidungsfindung eingebunden werden kann. Wie viel Entscheidungsmacht letztendlich auf das Team übertragen wird, ist abhängig vom Reifegrad des gesamten Unternehmens. In Unternehmen mit einem hohen agilen Reifegrad ist es denkbar, dass Mitarbeiter eigenverantwortlich entscheiden, wen sie einstellen möchten. Gleichwohl wird es viele Unternehmen geben, deren Führungskräfte wenigsten ein Vetorecht hinsichtlich einer Einstellungsentscheidung behalten möchten. Schließlich liegt es bei ihnen, diesen neuen Kollegen zu führen und sicherzustellen, dass ihr Team die geforderte Leistung bringt.

Dieser Beitrag ist in gekürzter Form dem Buch "Agiles Recruiting" von Jens Olberding entnommen (Haufe-Lexware, 2021).


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Schlagworte zum Thema:  Recruiting, Personalauswahl, Agilität