Ausbildung: Unternehmen können Ausbildungsplätze nicht besetzen

Ein Drittel der Betriebe können ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen. Das größte Hemmnis dabei sind unklare Berufsvorstellungen der angehenden Azubis sowie wachsende Probleme mit Disziplin, Belastbarkeit und Leistungsbereitschaft. Das zeigten Umfragen der Industrie- und Handelskammern.

Trotz Zugeständnissen bei der Einstellung kann fast jeder dritte Betrieb in Deutschland nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen. Deutschlandweit waren dies im vergangenen Jahr 31 Prozent, im Osten sogar 45 Prozent. Das zeigt eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). "Die Lage war für die Unternehmen noch nie so dramatisch wie jetzt", sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer.

14.000 Betriebe finden keine Azubis

Zwar konnten im Vorjahr mit 32 Prozent noch etwas mehr Ausbildungsbetriebe  alle Plätze besetzen. Doch lag die leichte Verbesserung laut DIHK auch daran, dass viele Betriebe mangels Azubis ihren Status als Ausbildungsbetrieb verlieren. Rund 14.000 Unternehmen fanden 2015 gar keine Auszubildenden. Zehn Jahre zuvor hatten nur 12 Prozent der Betriebe nicht alle Plätze besetzen können.

Angehenden Azubis fehlt es an Disziplin, Belastbarkeit und Leistungsbereitschaft

Hauptgrund für die wachsenden Lücken sei der Mangel an geeigneten Bewerbern, obwohl drei von vier Betrieben auch lernschwächere Jugendliche einstellten. Schweitzer warf den Schulen vor, für mangelnde Deutsch- und Mathekenntnisse vieler Jugendlicher verantwortlich zu sein. Immer mehr Firmen – nämlich rund jede zweite – klagen laut der Umfrage darüber.  Alarm schlug der DIHK wegen aus seiner Sicht wachsender Probleme mit Disziplin, Belastbarkeit und Leistungsbereitschaft. Immer mehr Unternehmen beklagen, dass die Jugendlichen den Anforderungen nicht gerecht werden, die Werte liegen bei 48 bis 53 Prozent.

Studium schlägt Ausbildung: Sieben Prozent weniger Azubis, 40 Prozent mehr Studenten

Mit der Einstellung Lernschwächerer, mit Imagekampagnen und gezielten Angeboten an Jugendliche hätten es die Betriebe erreichen können, die Zahl der Ausbildungsverträge etwa stabil zu halten. Laut Statistischem Bundesamt begannen im vergangenen Jahr so wenige junge Menschen eine Berufsausbildung wie noch nie seit der Wiedervereinigung. 516.200 Frauen und Männern traten eine duale Ausbildung an und damit 0,4 Prozent weniger als 2014. Insgesamt bewerben sich rund laut Schweitzer rund sieben Prozent weniger junge Menschen um eine Ausbildung als vor zehn Jahren. "Gleichzeitig studieren rund 40 Prozent mehr", sagte er. Angesichts schrumpfender Schulabgänger-Jahrgänge müssten sich auch Gymnasien noch stärker in der Berufsorientierung engagieren.

Lage am Ausbildungsmarkt ist prekär

Weiter Einblicke in die Probleme am Ausbildungsmarkt liefert eine Online-Umfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart. Der Umfrage zufolge habe zwar über 72 Prozent der Unternehmen in der Region Stuttgart ihre Ausbildungsplätze besetzen können, was einer Verbesserung von vier Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Dennoch besteht laut IHK-Hauptgeschäftsführer Andreas Richter keinerlei Grund zum Jubeln: "Es gibt nach wie vor bedenklich viele Betriebe, die niemanden für ihre angebotenen Ausbildungsplätze finden konnten."

Unbesetzte Ausbildungsplätze trotz vielfältiger Maßnahmen der Unternehmen

Die Unternehmen versuchen mit einer Vielzahl an Aktivitäten dieser Problematik entgegenzuwirken. So bieten wie im Vorjahr über 57 Prozent der befragten Unternehmen Praktikumsplätze an. Weiterhin arbeiten fast 54 Prozent an einem verbesserten Ausbildungsmarketing. Auch Kooperationen mit Schulen, zum Beispiel in Form von Bildungspartnerschaften, und Hochschulen sind nach wie vor ein beliebtes Mittel, um in direkten Kontakt mit potenziellen Bewerbern zu treten (über 47 und knapp 35 Prozent). Bei 40 Prozent der befragten Unternehmen rücken neue Bewerbergruppen wie Studienabbrecher in den Fokus; das sind knapp drei Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Zudem bieten 18 Prozent der Betriebe Auslandsaufenthalte während der Ausbildung an, um so ihre Attraktivität zu steigern (plus ein Prozent im Vergleich zum Vorjahr). Für leistungsschwächere Jugendliche weiten die Betriebe ihr Unterstützungsangebot deutlich aus. Fast 47 Prozent der Umfrageteilnehmer geben an, Nachhilfe im eigenen Unternehmen anzubieten. Das sind im Vergleich zu 2015 knapp neun Prozent mehr Betriebe, im landesweiten Vergleich sind es fast sieben Prozent mehr. Auch die ausbildungsbegleitenden Hilfen der Agentur für Arbeit werden von 39 Prozent der Betriebe genutzt.

Hoffnung auf das neue Schulfach "Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung"

Nach wie vor stellen unklare Berufsvorstellungen das größte Ausbildungshemmnis bei der erfolglosen Besetzung von Ausbildungsplätzen dar. Waren es in der Umfrage von 2015 noch knapp 80 Prozent der Betriebe, die Ausbildungshemmnisse feststellen, so sind es dieses Jahr fast zehn Prozent mehr. "Das zeigt die Notwendigkeit der erfolgreichen Umsetzung des neuen Schulfachs Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung ab dem neuen Schuljahr im Herbst 2016", erklärt Richter. Die Jugendlichen würden somit an die Arbeits- und Berufswelt besser herangeführt und vorbereitet, auf das was sie erwartet.

Fehlende Leistungsbereitschaft und Motivation der Azubis

Als problematisch beurteilen auch die Betriebe in der Region Stuttgart die fehlende Leistungsbereitschaft und Motivation bei den Auszubildenden. Knapp 63 Prozent der Umfrageteilnehmer klagen darüber, der Mangel wird vor allem in den Branchen Baugewerbe, Handel, Gastgewerbe und Gesundheit/Pflege festgestellt. Der Wert ist im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent angestiegen und damit so hoch wie nie im Vergleich der letzten Jahre. Als weiteres großes Defizit benennen die Unternehmen zunehmend unzureichendes mündliches und schriftliches Ausdrucksvermögen (über 63 Prozent, Vorjahr: fast 59 Prozent). Zudem beklagt mehr als jeder zweite Betrieb das Fehlen von elementaren Rechenfertigkeiten (über 54 Prozent) und fehlende Belastbarkeit (knapp 52 Prozent).

Azubis haben gute Aussichten im "Ländle"

Dabei haben Azubis in der Region besonders gute Aussichten auf eine Übernahme nach der Ausbildung; mit gut 77 Prozent der Betriebe, die angeben, alle Auszubildenden zu übernehmen, liegt die Region Stuttgart über dem Landes- (fast 74 Prozent) und Bundesdurchschnitt (68 Prozent). Die Betriebe wollen damit dem drohenden Fachkräftemangel begegnen und haben daher großes Interesse, die gut ausgebildeten Fachkräfte auch langfristig ins Unternehmen zu integrieren.
Der zunehmende Fachkräftemangel ist wohl auch ein Grund für die Steigerung der Bekanntheit des Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes (Anerkennungsgesetz). Im Jahre 2015 waren es lediglich rund 33 Prozent der Unternehmen, die das Gesetz kannten. In diesem Jahr kennen bereits über 54 Prozent der Betriebe die Möglichkeit von Arbeitnehmern, sich einen im Ausland erworbenen Berufsabschluss als einem Deutschen anerkannten Berufsabschluss gleichwertig anerkennen zu lassen.

Sprachkenntnisse und Aufenthaltsstatus ist wichtigste Voraussetzung für Flüchtlinge

Sprache und geklärter Aufenthaltsstatus sind dabei die wichtigsten Voraussetzungen für die Einstellung von Flüchtlingen in die Ausbildung. Knapp 94 Prozent der Betriebe geben an, dass fortgeschrittene Deutschkenntnisse – das heißt mindestens das Niveau B1 – vorliegen müssten. Für 82 Prozent ist der gesicherte Aufenthaltsstatus die Grundlage für die Einstellung und Ausbildung von Flüchtlingen.

 

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