Tz. 97
Die GoB bezeichnen in den §§ 243 und 264 HGB einen unbestimmten Rechtsbegriff,[223] dessen Inhalt mit den herkömmlichen Auslegungsmethoden ermittelt werden kann.[224] Sie sind damit Rechtsnormen und Teil der Bilanzrechtsordnung, nicht außerrechtliches Ordnungssystem.[225]
Die frühere Rechtsprechung und das ältere Schrifttum betonten bei der Auslegung der Vorgängervorschrift des § 38 HGB noch mehrheitlich die historische Auslegungsmethode, nahmen die ursprüngliche Vorstellung des Gesetzgebers von den GoB als Handelsbrauch zum Maßstab und erkannten in den GoB die tatsächliche Bilanzierungspraxis ordentlicher Kaufleute, die empirisch zu ermitteln und induktiv fortzuschreiben war.[226] Ab Anfang des 20. Jahrhunderts ist im betriebswirtschaftlichen und rechtswissenschaftlichen Schrifttum das innere Zielsystem der GoB erforscht worden.[227] Die unterschiedlichen Erkenntnisse und Beschreibungen der Rechnungslegungszwecke verhinderten aber zunächst, dass sich daraus allgemein anerkannte GoB entwickeln konnten.
Erst die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs trug zum einheitlichen Verständnis des inneren Zielsystems bei und konnte die empirisch-induktive Methode zur Ermittlung der GoB verdrängen und durch eine deduktive Methode ersetzen, die die GoB "durch Nachdenken", gemeint sind mit dieser Formel Döllerers die Methoden axiomatischer Theoriebildung, aus dem inneren Zielsystem heraus entwickeln kann.[228] Endgültig durchgesetzt hat sich diese deduktive Methode mit dem Bilanzrichtliniengesetz, das im Dritten Buch des HGB in den §§ 238–256a HGB das äußere System der anerkannten Bilanzierungsvorschriften sichtbar machte, in ein Fundament goss und damit für die Entwicklung des inneren Zielsystem der GoB erschloss.
Danach ist heute anerkannt, dass die GoB aus den Rechnungslegungszwecken (inneres System der GoB) und den bestehenden einzelnen GoB (äußeres System der GoB) weiterzuentwickeln sind.[229] Dabei kann bei der Ermittlung der Rechnungslegungszwecke auch die Verkehrserwartung berücksichtigt werden, die sich in der tatsächlichen Bilanzierungspraxis widerspiegeln kann.
Mitunter ist die Berücksichtigung der tatsächlichen Bilanzierungspraxis, der Rechtsprechung und der betriebswirtschaftlich entwickelten Rechnungslegungszwecke als hermeneutische Methode der Ermittlung der GoB beschrieben worden.[230] Diese Bezeichnung ist missverständlich. Zwar ist bei der Ermittlung und Formulierung der GoB auch eine Abstimmung mit der Lebenswirklichkeit geboten. Die Bilanzierungspraxis wird aber nur deshalb berücksichtigt, weil die Verkehrserwartung an den Inhalt der Bilanz neben anderen Bilanzierungszwecken zu berücksichtigen und zu gewichten ist. Die Rechtsprechung stellt die GoB demgegenüber verbindlich für einen konkreten Rechtsstreit fest und trägt damit selbst zur Fortbildung der GoB bei. Die Berücksichtigung der Verkehrserwartung ist schließlich als Teil einer zweckadäquaten Rechnungslegung bei der Auslegung und Fortbildung der GoB zu berücksichtigen.
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