Tz. 74

Entscheidend ist nicht die Verlustübernahme, sondern die Einstandspflicht für bislang begründete Verbindlichkeiten. Dadurch soll Art. 37 Abs. 3 der Bilanzrichtlinie 2013 (RL 2013/34/EU[131]) umgesetzt werden.[132] Die bisherige Regelung zur Verlustübernahme wurde bereits mit Blick auf europarechtliche Vorgaben für bedenklich gehalten.[133] Gleichwohl werden die Folgen verkannt, wenn der Referentenentwurf nur von einer Anpassung von Voraussetzungen und Rechtsfolgen spricht.[134] Insbesondere ist die Erwägung im Referentenentwurf neben der Sache, dass eine Außenhaftung der Muttergesellschaft begründet werden soll.[135] Fraglich ist bereits, wie eine derartige Haftungserklärung aussehen soll. Eine pauschale Erklärung gegenüber jedermann, für alle Verbindlichkeiten eines Dritten einstehen zu wollen, kennt das deutsche Recht nicht. Es gibt Tatbestände, in denen ist kraft Gesetzes die Haftung für alle Verbindlichkeiten eines Dritten angeordnet, z. B. §§ 25, 28, 128, 130 HGB. Hier knüpft das Gesetz Haftungsfolgen an ein Verhalten bzw. Umstände; § 264 Abs. 3 Nr. 2 HGB setzt hingegen voraus, dass an diese bloße Erklärung Haftungsfolgen geknüpft sind. Das ist dem deutschen Zivilrecht fremd. Es gibt Willenserklärungen, die auch ohne Zugang wirksam sind wie Testament (§ 2247 BGB) oder Auslobung (§ 657 BGB). Beim Testament werden Anordnungen für den Übergang eigenen Vermögens nach dem eigenen Tod getroffen, sodass ein Vergleich unpassend ist. Bei der Auslobung wird ein Haftungsversprechen abgegeben, jedoch bezieht sich das auf das eigene Vermögen und nur auf einen bestimmten Vorgang. Aber selbst bei einer – mit der Haftungserklärung z. T. vergleichbaren – Bürgschaft bedarf es des Zugangs, weil bis zu diesem Zeitpunkt gem. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB die Erklärung widerrufen werden kann.

 

Tz. 75

Zum Teil wird vertreten, dass diese Haftungserklärung durch eine Nachschussverpflichtung erfüllt wird.[136] Eine Nachschusspflicht im Sinne von § 26 GmbHG kann damit aber nicht gemeint sein.[137] Diese ist nur unter den strengen Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 GmbHG möglich, sodass zwingendes Erfordernis die Statuierung im Gesellschaftsvertrag ist.[138] Eine Nachschussverpflichtung "eigener Art" kann nicht konstruiert werden. Daher scheidet eine Nachschussverpflichtung als Einstandselement aus.

 

Tz. 76

Als weiterer Vorschlag wird unterbreitet, eine harte Patronatserklärung abzugeben.[139] Die harte Patronatserklärung bindet den Patron dahingehend, dass er sich gegenüber einem Dritten (d. h. dem Gläubiger der Tochtergesellschaft) verpflichtet, die Tochtergesellschaft so auszustatten, dass diese ihre Verbindlichkeiten erfüllen kann.[140] In der Insolvenz der Tochtergesellschaft kann der Dritte direkt gegen den Patron vorgehen.[141]"Einzustehen" bedeutet nicht unbedingt eine jederzeitige direkte Haftung wie beim OHG-Gesellschafter bzw. Komplementär gem. § 128 HGB oder beim Mutterunternehmen bei der Eingliederung gem. § 322 Abs. 1 AktG. Es genügt, dass die Ansprüche des Gläubigers mittelbar befriedigt werden. Das gelingt bei der Patronatserklärung, weil eine zweckwidrige Mittelverwendung durch die ausgestattete Gesellschaft die Patronatspflichten nicht entfallen lässt.[142] Art. 37 Abs. 3 RL 2013/34/EU spricht auch nur vom "Einstehen". Unzutreffend ist daher die Auffassung im RefE BilRUG, dass es einer Außenhaftung bedürfe.[143] Im Übrigen sind eine Außenhaftung weder in den unterschiedlichen Wortlauten des RefE noch des RegE noch des Gesetz gewordenen § 264 Abs. 3 Nr. 2 HGB zu finden.

 

Tz. 77

Nach dem Gesetzeswortlaut muss sich die Muttergesellschaft bereiterklären, für alle bis zum Abschlussstichtag begründeten Verbindlichkeiten im folgenden Geschäftsjahr einzustehen. Im RegE hieß es stattdessen noch, dass sich die Muttergesellschaft bereiterklären müsse, für die Verpflichtungen der Tochtergesellschaft aus dem jeweiligen Geschäftsjahr einzustehen[144]. Noch anders hieß es im RefE, dass sich die Muttergesellschaft bereiterklären müsse, für die von dem Tochterunternehmen eingegangenen Verpflichtungen einzustehen. Bevor die unzulängliche Gesetzeslösung vorgeführt wird, sollen die drei Fassungen anhand eines Beispiels miteinander verglichen werden.

 

BEISPIEL

Die M-AG ist Muttergesellschaft der G-GmbH. A hat im Jahr 2014 einen Anspruch gegen die G-GmbH begründet. Für den Jahresabschluss 2016 soll die G-GmbH von den §§ 264 ff. HGB befreit werden. Im Laufe des Jahres 2017 begründet B eine Forderung gegen die G-GmbH. Für das Jahr 2017 wird wieder ein den §§ 264 ff. HGB entsprechender Jahresabschluss aufgestellt. Muss die M-AG im Jahr 2018 für die Ansprüche von A und B einstehen? Nach dem Gesetzeswortlaut muss die M-AG für Ansprüche des A einstehen, weil diese vor dem Bilanzstichtag (31.12.2016) entstanden sind. Die Einstandspflicht beschränkt sich aber auf das folgende Geschäftsjahr, d. h. 01.01.–31.12.2017, sodass M-AG im Jahr 2018 nicht mehr einstehen muss. Der Anspruch des B wurde erst nach dem Stichtag begründet und M-AG musste nie einstehen...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Merkt, Rechnungslegung nach HGB und IFRS (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge