Tz. 113

Anders als § 264 Abs. 3 Nr. 1 HGB kennt § 264b HGB keine Zustimmungspflicht aller Gesellschafter. Vielmehr scheint die Vorschrift bereits anwendbar, wenn sämtliche Voraussetzungen als solche erfüllt sind. Diese Sichtweise entspricht der h. M. in der Literatur, die dieses Ergebnis aus dem Rechtsprechungswechsel vom fehlenden Einstimmigkeitserfordernis hin zu einer Mehrheitsentscheidung bei Bilanzierungsentscheidungen herleitet.[188] Der Bundesgerichtshof hatte einst für die gesetzestypische KG vertreten, dass eine Bilanzierungsentscheidung, die in Gewinnbezugsrechte der Gesellschafter eingreift (§ 253 Abs. 4 a. F. HGB), ein Grundlagengeschäft darstellt und somit der Zustimmungspflicht aller Gesellschafter bedarf.[189] In einer neueren Entscheidung hat der Bundesgerichtshof die Feststellung des Jahresabschlusses nur insoweit als Grundlagengeschäft eingeordnet, als die Gesellschafter und nicht die Geschäftsführer zuständig sind. Weil die Grundlagen der Gesellschaft nicht berührt werden, ist jedoch eine allgemeine Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag dafür anwendbar.[190]

 

Tz. 114

Der Rechtsprechungswechsel zu den Grundlagengeschäften erzwingt diese Lösung nicht. Vielmehr dient er erst einmal einer neuen Ausgestaltung von gesellschaftsvertraglichen Mehrheitsklauseln. Diese konnten nach alter Rechtsprechung nur bei Entscheidungen zu Geschäftsführungsmaßnahmen herangezogen werden. Wurden die Grundlagen der Gesellschaft berührt, mussten die Mehrheitsklauseln exakt für diesen Fall präzise vorformuliert gewesen sein. Das war unpraktikabel. Nach neuerer Systematik soll es dagegen genügen, dass eine Mehrheitsklausel existiert. Ein Mehrheitsbeschluss ist auch immer zulässig, es sei denn, dass der Kernbereich einer Gesellschafterposition berührt oder eine treuwidrige Entscheidung getroffen wird. Die Entscheidung zur Anwendung von § 264b HGB berührt auf keinen Fall den Kernbereich der Mitgliedschaft.

 

Tz. 115

Grundsätzlich wird man daher auch bei § 264b HGB wie bei § 264 Abs. 3 HGB das Erfordernis der Einstimmigkeit anzunehmen haben. Ganz offensichtlich ermangelt es ohne nachvollziehbaren Grund einer Regelung wie § 264 Abs. 3 Nr. 1 HGB. Das Fehlen führt auch zu unbegründbaren Wertungswidersprüchen. Daher liegt eine planwidrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage vor. Letztlich muss daher § 264 Abs. 3 Nr. 1 HGB analog anwendet werden. Insbesondere bei mittelgroßen und großen Gesellschaften im Sinne von § 267 Abs. 2 und 3 HGB besteht das Bedürfnis nach einer Abschlussprüfung, um eine Gewissheit über die Korrektheit bei der Aufstellung des Jahresabschlusses zu erlangen. Nur wenn alle Gesellschafter sich einig sind, wird man § 264b HGB anwenden können.

[188] Förschle/Deubert, in: BeckBilKo, § 264b HGB Rn. 3; Graf/Bisle, in: MüKo-BilR, § 264b HGB Rn. 4.

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