Rn. 34

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Neben der Forderung nach einem Einblick in die Vermögens- und Ertragslage des UN verlangt die Generalnorm des § 264 Abs. 2, dass mit dem JA ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Finanzlage vermittelt wird. Die Finanzlage eines UN wird i.W. durch zwei Komponenten, die Finanzierung und die Liquidität des UN, bestimmt.

 

Rn. 35

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Die Finanzierung eines UN umfasst die Beschaffung und Überlassung von Kap. sowie alle sonstigen Kap.-Dispositionen, die zur laufenden Durchführung der betrieblichen Funktionen erforderlich sind. Der Finanzierungsbegriff bezieht sich somit sowohl auf die Aktiv- als auch auf die Passivseite der Bilanz, denn die Kap.-Beschaffung wird auf der Passivseite, die Kap.-Verwendung auf der Aktivseite ausgewiesen.

 

Rn. 36

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Neben der Finanzierung sind zur Beurteilung der Finanzlage eines UN Informationen über dessen Liquidität, d. h. das finanzielle Gleichgewicht des UN erforderlich (vgl. Ballwieser, BB 1985, S. 1034 (1043); Leffson (1987), S. 81). Das finanzielle Gleichgewicht ist gewährleistet, wenn das UN jederzeit zahlungsfähig ist. Die Zahlungsfähigkeit ist eine notwendige Voraussetzung für das Fortbestehen eines UN, denn gemäß § 17 InsO führt die Zahlungsunfähigkeit zur Insolvenz des UN. Für die JA-Adressaten sind deshalb Informationen über die künftige Liquidität von besonderer Bedeutung, während die Zahlungsfähigkeit bis zum Betrachtungszeitpunkt durch den Fortbestand des UN bereits nachgewiesen ist (vgl. Leffson (1984), S. 27f.). Der JA als vergangenheitsorientiertes RL-Instrument ist aber grds. nicht geeignet, Aussagen über die künftige Liquidität zu machen. Zu diesem Ergebnis gelangte auch bereits das Europäische Parlament, das in seiner Stellungnahme zum Vorschlag der 4. EG-R darauf hinwies, dass der "Jahresabschluß in seiner heutigen Form [...] nicht geeignet erscheint, einen wirklich sicheren Einblick in die Finanzlage der Gesellschaft zu geben" (Europäisches Parlament (1972), S. III/26). Dem JA sind allerdings Hinweise auf die künftige Zahlungsfähigkeit des UN zu entnehmen. Der JA und auch der Lagebericht enthalten einzelne Informationen über Faktoren, die die künftige Liquidität mit beeinflussen, z. B. die Summe und die Fristigkeit der Forderungen und Verbindlichkeiten (vgl. Schoppen (1982), S. 47ff.).

Ein wesentlicher Anhaltspunkt für die künftige Zahlungsfähigkeit ist auch die Ertragslage des UN. Ein ausreichend rentabel arbeitendes UN wird in aller Regel auch zahlungsfähig sein. Dies resultiert zum einen daraus, dass bei einer guten Ertragslage i. d. R. in ausreichender Höhe finanzielle Mittel aus der Geschäftstätigkeit zufließen, zum anderen daraus, dass ein rentables UN meist in der Lage ist, Kreditquellen zu erschließen, und damit über potenzielle Liquidität verfügt (vgl. Baetge, in: HWRev (1992), Sp. 2086 (2094)). Allerdings ist für eine Aussage über die künftige Liquidität eine Prognose über die künftige Ertragslage erforderlich. Die künftige Ertragslage lässt sich aber nicht allein anhand des JA, der ja ein Ex-post-RL-Instrument ist, prognostizieren. Der JA kann somit unmittelbar nur einzelne Teilinformationen über die künftige Zahlungsfähigkeit liefern, die allein aber keinen Schluss auf die Zahlungsfähigkeit oder -unfähigkeit des UN zulassen.

Indes lassen sich Aussagen über die Überlebensfähigkeit von UN mit statistischen Verfahren aus JA-Kennzahlen ermitteln, wie die breiten Erfahrungen mit Bilanzbonitätsbeurteilungen gezeigt haben (vgl. z. B. Baetge/Baetge/Kruse (2001), S. 981ff.; Niehaus (1987); Feidicker (1992); Krause (1993); Baetge, WPg 1994, S. 1ff.; Baetge/Hüls/Uthoff (1995), S. 21ff.). Mit diesen Verfahren lassen sich zwar keine sicheren Aussagen, aber Wahrscheinlichkeitsaussagen über die Bonität und damit über die künftige Überlebensfähigkeit bzw. die Gefahr der Insolvenz treffen. Sowohl das Baetge-Bilanz-Rating als auch Moody’s RiskCalc stellen Bilanzbonitäts-Ratingsysteme dar (vgl. hierzu und zum Folgenden Baetge/Melcher/Schmidt (2009), S. 143ff.; Baetge/Melcher/Thun (2008), S. 299ff.; Baetge/Henning, in: FS Knolmayer (2008), S. 265ff.; Baetge/von Keitz/Wünsche (2007), S. 475ff.; Baetge/Brüggemann, in: FS Schierenbeck (2006), S. 569ff.). Das Baetge-Bilanz-Rating ist ein mit dem sog. Backpropagation-Algorithmus trainiertes künstliches neuronales Netz. Die Entwicklung und Validierung dieses Ratingsystems basiert auf nahezu 12.000 JA gesunder und kranker UN, wobei die kranken UN später insolvent geworden sind. Letztlich ergaben sich 14 Kennzahlen, deren Ausprägungen durch einen Bilanzbonitätsindex, den N-Wert (Netz-Wert), zusammengefasst werden. Dadurch kann ein recht verlässliches Gesamturteil über die wirtschaftliche Lage eines UN in einer einzigen Kennzahl gewonnen werden. Dieser N-Wert kann Werte von (+) 10 bis (–) 10 annehmen und ist als Maßstab für die vorhandene innere Widerstandskraft eines UN zu interpretieren, d. h., wie resistent das UN gegen potenzielle Wi...

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