Rn. 52

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Von praktischer Relevanz ist die Frage, inwieweit Maßnahmen der Konzernfinanzierung einen nachteiligen Charakter i. S. d. § 311 AktG haben können. Dabei ist maßgeblich der i. R.d. Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, S. 2026ff.) in § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG eingefügte allg. Grundsatz zu beachten, dass Leistungen, die durch einen vollwertigen Gegenleistungs- und Rückgewähranspruch gegen den Aktionär gedeckt sind, keine Einlagenrückgewähr darstellen (Rückkehr zur bilanziellen Betrachtungsweise). Dies verdrängt § 311 AktG zwar nicht (vgl. Altmeppen, NZG 2010, S. 401 (402)), stellt jedoch klar, dass Darlehen des abhängigen an das herrschende UN (sog. upstream loans), selbst wenn sie auf Veranlassung und zugunsten des Letzteren erfolgen, keinen nachteiligen Charakter haben, solange keine berechtigten Zweifel an ihrer Rückzahlung bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 01.12.2008, II ZR 102/07, BGHZ 179, S. 71 (77); KonzernR (2022), § 311 AktG, Rn. 47; Winter, DStR 2007, S. 1484 (1489); MünchKomm. AktG (2020), § 311, Rn. 244; Altmeppen, ZIP 2009, S. 49 (50); Bayer/Lieder, AG 2010, S. 885 (887)).

 

Rn. 53

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit einer Darlehensvergabe ist dabei nur unter Heranziehung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bewerten (bilanzielle Betrachtungsweise; vgl. lediglich HB-GesR (2020/IV), § 70, Rn. 61). Ein Drittvergleich findet nicht statt. Entgegen der sich an dem – seit dem MoMiG überholten – sog. November-Urteil des BGH (vgl. BGH, Urteil vom 24.11.2003, II ZR 171/01, BGHZ 157, S. 72ff.) orientierenden früher wohl h. M. (vgl. dazu nur OLG Jena, Urteil vom 25.04.2007, 6 U 947/05, NZG 2008, S. 275 (277f.); Wessels, ZIP 2004, S. 793 (796); Hüffer, AG 2004, S. 416 (419)) ist daher speziell eine hinreichende Besicherung des Darlehens nicht zwingend erforderlich, solange die Vollwertigkeit anderweitig sichergestellt ist (vgl. BGH, Urteil vom 01.12.2008, II ZR 102/07, BGHZ 179, S. 71 (77); Kiefner/Theusinger, NZG 2008, S. 801 (804, 806); Habersack/Schürnbrand, NZG 2004, S. 689 (692ff.); MünchKomm. AktG (2020), § 311, Rn. 245; HB-GesR (2020/IV), § 70, Rn. 62; kritisch Hölzle, GmbHR 2007, S. 729 (734)). Zu beachten ist aber, dass die Betrachtungsweise der h. M. nicht zu einer Reduktion des Nachteilsbegriffs führen soll. Insbesondere ist eine uneingeschränkte Bonität des herrschenden UN Voraussetzung für jede Darlehensvergabe (vgl. zur Entstehung eines "Klumpenrisikos" durch mehrere parallel gewährte upstream loans: Bayer/Lieder, AG 2010, S. 885 (887f., 892f.); Kropff, NJW 2009, S. 814 (815)).

 

Rn. 54

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Ob das Kriterium der Vollwertigkeit erfüllt ist, beurteilt sich nach der ex-ante-Perspektive des Vorstands des abhängigen UN zum Zeitpunkt der Darlehensvergabe unter Beachtung der ihm abverlangten Sorgfalt (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG; a. A. Altmeppen, NZG 2010, S. 401 (402); Altmeppen, ZIP 2009, S. 49 (51), objektive Betrachtungsweise, unabhängig von einem etwaigen Verschulden des Vorstands). Eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Darlehensrückzahlung ist nicht erforderlich. Erscheint die Forderung als vollwertig bzw. ein Forderungsausfall als unwahrscheinlich, handelt es sich auch dann um ein in dieser Hinsicht nicht nachteiliges Rechtsgeschäft, wenn es später wider Erwarten doch zu einem Forderungsausfall kommt (vgl. BGH, Urteil vom 01.12.2008, II ZR 102/07, BGHZ 179, S. 71 (78); KonzernR (2022), § 311 AktG, Rn. 47b; BeckOGK-AktG (2022), § 311, Rn. 104).

 

Rn. 55

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass auch die Einbindung des abhängigen UN in ein zentrales Cash-Management-System, zu dem ein Liquiditätsausgleich gehört (Cash-Pooling), grds. nicht nachteilig i. S. d. § 311 Abs. 1 AktG ist, solange nur ein vollwertiger Rückgewähranspruch besteht (vgl. MünchKomm. AktG (2020), § 311, Rn. 242; Altmeppen, ZIP 2009, S. 49 (50); Habersack/Schürnbrand, NZG 2004, S. 689 (692f.); KK-AktG (2004), § 311, Rn. 80f.; BeckOGK-AktG (2022), § 311, Rn. 105; Hölters-AktG (2022), § 311, Rn. 65; allg. zur rechtlichen Zulässigkeit derartiger Modelle vor dem Hintergrund der Rechtsfigur des qualifiziert faktischen Konzerns: Hüffer, AG 2004, S. 416 (417); Altmeppen, ZIP 2009, S. 1545ff.). Unter Cash-Pooling versteht man die Bündelung der insgesamt in einem Konzern vorhandenen Liquidität bei einer sog. Betreibergesellschaft, wodurch ein koordinierter Einsatz ermöglicht wird (vgl. näher zum Begriff MünchKomm. AktG (2020), § 311, Rn. 226ff.).

 

Rn. 56

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Auch bei Bestehen eines vollwertigen Rückgewähranspruchs ist die Anwendbarkeit von § 311 Abs. 1 AktG aber zu bejahen, wenn es an einer marktgerechten Verzinsung fehlt (vgl. hierzu näher BGH, Urteil vom 01.12.2008, II ZR 102/07, BGHZ 179, S. 71 (80) (obiter dictum)); Bayer/Lieder, AG 2010, S. 885 (886f.); Habersack, ZGR 2009, S. 347 (359); KK-AktG (2004), § 311, Rn. 80f.; a...

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