Rn. 59

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Das Verhaltenselement der qualifizierten Nachteilszufügung wird entsprechend dem Nachteilsbegriff des § 311 AktG ausgelegt. Bei einer Nachteilszufügung liegt also immer auch eine mangelnde Rücksichtnahme auf die Belange der abhängigen Gesellschaft vor (vgl. KonzernR (2022), Anhang zu § 317 AktG, Rn. 11; Raiser/Veil (2015), § 61, Rn. 56f.). Eine nachteilige Maßnahme ist dementsprechend jede nicht durch einen bewertbaren und zumindest gleichwertigen Vorteil ausgeglichene, auf die Abhängigkeitslage zurückzuführende Beeinträchtigung der Vermögens- oder Ertragslage der Gesellschaft (vgl. Emmerich/Habersack (2020), § 28, Rn. 13; Lutter in: FS Peltzer (2001), S. 241 (244); näher HdR-E, AktG § 311). Das Fallmaterial zur Frage, ob eine nicht dem Einzelausgleich zugängliche Nachteilszufügung gegenüber der abhängigen Gesellschaft vorliegt, ist rar. Der BGH hat sie für den Fall des qualifiziert faktischen GmbH-Konzerns ergebnisorientiert und pauschal stets dann verneint, wenn die Gesellschaft infolge der im Konzerninteresse ausgeübten Einwirkung ihren Verbindlichkeiten nicht nachkommen kann (vgl. BGH, Urteil vom 29.03.1993, II ZR 265/91, BGHZ 122, S. 123 (130f.)). Die Insolvenzreife der abhängigen Gesellschaft allein kann jedoch grds. weder notwendige noch hinreichende Voraussetzung für das Vorliegen einer Nachteilszufügung sein, außer wenn sie gerade auf der Veranlassung beruht (vgl. überzeugend Emmerich/Habersack (2020), § 28, Rn. 13, mit Verweis auf BGH, Urteil vom 25.11.1996, II ZR 352/95, DStR 1997, S. 339f.; zudem KK-AktG (2004), Anhang zu § 318, Rn. 95).

 

Rn. 60

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Weniger aussagekräftig ist die Auffassung des BAG (vgl. BAG, Urteil vom 15.01.1991, 1 AZR 94/90, ZIP 1991, S. 884 (888)), das die Anwendung der Haftungsgrundsätze bereits dann bejaht hat, wenn das herrschende UN eine branchengleiche abhängige Gesellschaft wie eine eigene Betriebsabteilung geführt hat (vgl. kritisch auch Zeidler (1999), S. 27). In weiteren Entscheidungen wurde ergänzend darauf abgestellt, dass die abhängige Gesellschaft nur deshalb dem harten Konkurrenzkampf mit übermächtigen ausländischen UN ausgesetzt wurde, weil das MU im "Interesse des Konzerns" (genauer: des obersten MU) den deutschen Markt zu halten versuchte (vgl. BAG, Urteil vom 28.04.1992, 3 AZR 244/91, ZIP 1992, S. 1566 (1569f.)) bzw. dass ein dauernd verlustbringendes Geschäft auf ein TU übertragen wurde (vgl. BAG, Urteil vom 08.09.1998, 3 AZR 185/97, ZIP 1999, S. 723; dazu auch OLG Dresden, Urteil vom 19.12.1996, 7 U 872/96, AG 1997, S. 330; Wilken, WiB 1997, S. 453). Weitere denkbare Fallkonstellationen betreffen den Abzug von notwendigem bzw. hochqualifiziertem Personal, die Spekulation zu Lasten Dritter (vgl. dazu BGH, Urteil vom 27.03.1995, II ZR 136/94, NJW 1995, S. 1544; Goette, DStR 1996, S. 1539), die Schließung von ertragreichen Produktionsbetrieben mit dem Ziel ihrer Verlagerung in andere Konzern-UN oder den Abschluss langfristiger und damit besonders risikoträchtiger Lieferverträge.

 

Rn. 61

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Ein rigide geführtes zentrales Cashmanagement wird regelmäßig die Eigeninteressen der abhängigen Gesellschaft nicht verletzen, da es keine generelle Verpflichtung zur Sicherstellung der Liquidität eines TU bei einem zentralfinanzierten Konzern gibt (vgl. HB-GesR (2020/IV), § 70, Rn. 64). Auch werden die Belastungen der abhängigen Gesellschaft zumeist korrekt verbucht und damit einem Einzelausgleich zugänglich bleiben. In diesen Fällen scheidet eine qualifiziert faktische Konzernierung aus (vgl. OLG Bremen, Urteil vom 18.05.1999, 3U 2/98, NZG 1999, S. 724; zur Gestaltung eines legalen Cashmanagements Zeidler (1999), S. 115f.). Anders liegt die Situation, wenn die abhängige Gesellschaft bewusst in einer permanenten Situation der Liquiditätsknappheit gehalten wird. Dadurch kann die Liquidität der abhängigen AG, KGaA bzw. SE vorhersehbar so beeinträchtigt werden, dass ein Einzelausgleich der durch dieses System veranlassten Nachteile nicht mehr möglich ist und ihr Geschäftschancen entgehen oder es gar zu einer Existenzbedrohung kommt (vgl. im Einzelnen Zeidler (1999), S. 45ff.; Hommelhoff (1992), S. 54).

 

Rn. 62

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Das BAG hat die Anwendbarkeit der Haftungsgrundsätze des qualifiziert faktischen GmbH-Konzerns auch im Falle einer vertikalen Konzernierung durch Aufspaltung einer UN-Einheit in eine Betriebs- und Besitzgesellschaft bejaht (vgl. BAG, Urteil vom 08.09.1998, 3 AZR 185/97, ZIP 1999, S. 723; dazu Henssler, ZGR 2000, S. 479; anders dagegen BSG, Urteil vom 01.02.1996, 2 RU 7/95, DB 1996, S. 1475). Das BAG statuiert hier eine eigenständige Durchgriffshaftung im "faktischen Gleichordnungskonzern". Richtigerweise wird man den vertikalen Haftungsdurchgriff beschränken müssen auf Fälle, in denen ein nach den Grundsätzen des qualifiziert faktischen Konzerns haftendes UN die aus den der abhängigen Gesellschaft zugefügten Nachteilen resultierenden Vorteile in andere abhängige Gesellschaf...

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