Rn. 90

Stand: EL 35 – ET: 03/2022

Der BGH muss bei der Frage, innerhalb welcher Frist ein JA aus handelsrechtlicher Sicht bei voraussichtlicher Fortführung des UN (vgl. dazu IDW PS 270 (2021)) rechtzeitig erstellt ist, zu einem anderen Ergebnis kommen. Denn er hat die Interessen der Informationsadressaten (vgl. zu diesem Begriff Moxter (1974), S. 418ff.), so z. B. der UN-Leitung, der Kap.-Geber, aber auch der AN hinsichtlich der Aufstellungsfrist zu berücksichtigen. Anders als dem Fiskus ist den genannten Interessenten v.a. an aktuellen Informationen über das UN gelegen (vgl. Schmidt (1978), S. 30). Zugunsten einer aktuellen Rechenschaft wird auch eine geringere Qualität der Informationen aufgrund einer größeren Unsicherheit bezüglich künftiger Daten in Kauf genommen (vgl. Schmidt (1978), S. 33). Die Aktualität der Daten steht stärker im Vordergrund als ihre endgültige sachliche Richtigkeit, denn für Einzelkaufleute und die geschäftsführenden Gesellschafter von kleineren UN ist der JA auch heute oft noch das wichtigste RL-Instrument, das trotz seiner begrenzten Aussagefähigkeit umfassend Rechenschaft über die wirtschaftliche Lage des UN gibt (vgl. Baetge (1970), S. 33). Besonders auch im Interesse der Mitgesellschafter und Gläubiger liegt es, dass die geschäftsführenden Gesellschafter sich durch den JA selbst Rechenschaft über den Stand des UN in der vergangenen Rechnungsperiode geben, dadurch Fehlentwicklungen rechtzeitig erkennen und geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen (vgl. Maul, ZfbF 1974, S. 726 (733)). Durch aktuelle Informationen lässt sich das Entnahme- und Ausschüttungsverhalten beeinflussen, d. h., Kap.-Erhaltungsmaßnahmen können aufgrund der aktuellen Informationen frühzeitig ergriffen werden (vgl. Maul, WPg 1980, S. 465 (468)). Zudem ist der handelsrechtliche JA auch für die nicht an der Geschäftsführung beteiligten Gesellschafter sowie für die Gläubiger selbst i. d. R. die wichtigste Informationsquelle, die Anhaltspunkte für die Verwendung ihres Kap. in dem UN liefert. Auch aus diesem Grund müssen sie daher an einer möglichst frühen Aufstellung des JA interessiert sein.

 

Rn. 91

Stand: EL 35 – ET: 03/2022

Zu der Frage, welche Frist aufgrund der handelsrechtlichen Zwecke der aktuellen Rechenschaft und der frühzeitigen Vorsorge für Kap.-Erhaltung im Normalfall der UN-Fortführung zu fordern ist, lassen sich unterschiedliche Meinungen vertreten (vgl. Blumers (1983), S. 58ff., m. w. N.). So hielt es das BVerfG in seinem Beschluß vom 15.03.1978 für fraglich, ob sich "unter handelsrechtlichen Gesichtspunkten für alle denkbaren Anwendungsfälle des § 39 Abs. 2 Satz 2 HGB allgemein bestimmen läßt, wann eine Jahresbilanz frühestens errichtet werden kann und spätestens errichtet sein muß" (BVerfG, Beschluß vom 15.03.1978, 2 BvR 927/76 BB 1978, S. 572f.). Nach Auffassung des BVerfG ist die Frage der rechtzeitigen Bilanzerstellung nach den individuellen Verhältnissen des jeweiligen UN und den daraus billigerweise zu stellenden Anforderungen zu beantworten.

Diese Einzelfallbezogenheit der billigerweise zu stellenden Anforderungen ist ein wichtiges Argument gegen die Kodifikation einer bestimmten Frist.

 

Rn. 92

Stand: EL 35 – ET: 03/2022

Viele kleinere UN sind aufgrund der Komplexität des Steuerrechts bei der Aufstellung des JA auf die Mithilfe der steuerberatenden Berufe angewiesen oder übertragen ihre Buchführung auf externe Dienstleister. Die Steuerberater sind v.a. in den ersten Monaten des Kalenderjahres durch die Abschlüsse der KapG und ihnen gleichgestellten Gesellschaften beansprucht, so dass die JA von Einzelkaufleuten und PersG nicht ebenfalls in der ersten Jahreshälfte erstellt werden können. Dieses Problem lässt sich i. d. R. auch nicht, wie von Schmidt ((1978), S. 32f.) vorgeschlagen, durch eine vom Kalenderjahr abweichende Wahl des GJ beseitigen. Denn für die Wahl des GJ müssen wirtschaftliche Gründe und nicht die Arbeitsbelastung der steuerberatenden Berufe entscheidend sein. Viele UN geben offensichtlich dem Kalenderjahr als GJ den Vorzug. Ein wichtiger wirtschaftlicher Grund dafür ist z. B. die Beendigung des Weihnachtsgeschäfts und – damit einhergehend – der niedrige Bestand der Läger am Ende des Kalenderjahres.

 

Rn. 93

Stand: EL 35 – ET: 03/2022

Einerseits müssen die zeitlichen Möglichkeiten der Betriebe und der von ihnen Beauftragten, einen JA zu erstellen, als Argument akzeptiert werden. Andererseits dürfen die Verhältnisse des betreffenden UN und die unter Berücksichtigung der Arbeitsbelastung der Steuerberater billigerweise zu stellenden Anforderungen nicht zu einer Aufstellungsfrist führen, die die eigentlichen Zwecke des handelsrechtlichen JA zunichtemacht (vgl. Runge, BB 1972, S. 570 (571)). Schmidt/Usinger (in: Beck Bil-Komm. (2020), § 243 HGB, Rn. 93) und Adler/Düring/Schmaltz (ADS (1995), § 243, Rn. 43 in Ausnahmefällen) halten der BFH-Rspr. folgend eine Höchstfrist von zwölf Monaten auch handelsrechtlich für ausreichend. V.a. aufgrund der hohen Bedeutung des Selbstinformationszwecks des handelsre...

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