OFD Magdeburg, Verfügung v. 2.9.1997, S 7100 - 55 - St 244

Ich bin gefragt worden, wie die Leistungen der Akustiker bei Nichtabnahme bzw. Rückgabe von Hörgeräten und den dazugehörigen Ohrpaßstücken (Otoplastik) umsatzsteuerrechtlich zu würdigen sind. Die im folgenden dargestellte Rechtsauffassung ist in allen vergleichbaren Fällen basierend auf vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker Mainz und den einzelnen Krankenkassen zu vertreten. Diese umsatzsteuerrechtliche Behandlung ist insbesondere im Rahmen von Außenprüfungen zu beachten und zu überprüfen.

 

1) Sachverhalt

Zwischen dem AOK-Landesverband Sachsen-Anhalt und der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker Mainz besteht gem. § 127 SGB V ein Vertrag über die Lieferung und Reparatur von Hörgeräten und Zubehör. Ergänzend zum Vertrag wurde am 16.7.1992 eine Vereinbarung über die Zahlung einer Anpaßpauschale und der Sachkosten für die Otoplastik bei abgebrochener Hörgeräteversorgung geschlossen. Im Rahmen von geplanten Neuversorgungen (erstmalige Ausstattung von Versicherten mit Hörgeräten einschließlich notwendigem Zubehör) kann aus verschiedenen Gründen die Hörgeräteversorgung abgebrochen werden, z.B.

  • Versicherter stirbt während der Anpassung,
  • Versicherter kann das Hörgerät nicht bedienen,
  • Versicherter erreicht nicht das optimale Hörvermögen trotz ordnungsgemäßer Anpassung durch den Hörgeräteakustiker,
  • Hörgerät verursacht Komplikationen im physischen Bereich.

In derartigen Fällen erstattet die leistungspflichtige Krankenkasse als Deckungsbeitragspauschale (Anpaßpauschale) 220,- DM für alle Aufwendungen, die dem Akustiker bei der Herstellung des Hörgerätes entstanden sind. Zusätzlich erstattet sie die Sachkosten für die Herstellung der Otoplastik mit max. 100,- DM. Das angefertigte Hörgerät kann für einen anderen Versicherten wieder verwendet werden. Dagegen kann das speziell für den jeweiligen Versicherten nach dessen anatomischen Verhältnissen angefertigte Ohrpaßstück (Otoplastik) nicht wieder verwendet werden.

 

2) Umsatzsteuerrechtliche Würdigung

Gem. § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. der Anlage zu § 12 UStG Nr. 52 d unterliegt die Lieferung von Schwerhörigengeräten an den Patienten einschließlich aller im unmittelbaren Zusammenhang mit der Lieferung stehenden Leistungen (unselbständige Nebenleistungen), z.B. Otoplastik, Ladegerät, dem ermäßigten Steuersatz. Teile und Zubehör, z.B. Ersatzteile (Batterien, Hörer), unterliegen dagegen dem Regelsteuersatz, wenn sie Gegenstand einer selbständigen Lieferung sind. Der Regelsteuersatz ist auch auf eventuelle Reparaturleistungen der Akustiker anzuwenden. Der ermäßigte Steuersatz ist nur auf Lieferungen im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG anzuwenden. Danach liegt eine Lieferung vor, wenn ein Unternehmer (hier: Akustiker) einen Dritten befähigt (hier: Versicherter), in eigenem Namen über einen Gegenstand (hier: Hörgerät) zu verfügen, ihm somit Verfügungsmacht über einen Gegenstand verschafft.

 

2 a) Abgebrochene Hörgeräteversorgung bei Tod des Versicherten während der Anpassung

Aus umsatzsteuerlicher Sicht kommt es zu keiner Lieferung gem. § 3 Abs. 1 UStG, da hier dem Versicherten keine Verfügungsmacht an dem Hörgerät verschafft werden kann. Bei der Anpaßpauschale (220,- DM) für das Hörgerät handelt es sich um eine Anzahlung auf eine später auszuführende Lieferung gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 a Satz 4 UStG, da das Hörgerät bei einem anderen Versicherten wieder verwendet werden kann. Zwar fehlt es bei der Vereinnahmung der Anpaßpauschale durch den Akustiker noch an einer konkreten Leistungsvereinbarung mit einem neuen Versicherten, aber bei einer derart dauernden Geschäftsverbindung zwischen den Akustikern und der Krankenversicherung mit regelmäßig sich wiederholenden Aufträgen ist davon auszugehen, daß es sich dennoch um eine Anzahlung für eine künftige Hörgerätelieferung handelt, die zur Entstehung der Umsatzsteuer führt (Abschn. 181 Abs. 3 Umsatzsteuer-Richtlinie). Der Steuersatz für diese Anzahlung ist von der künftigen Leistung abhängig. Die Anzahlung gehört zu einer Lieferung (Schwerhörigengerät), die dem ermäßigten Steuersatz unterliegt. Die Vereinnahmung der Anpassungspauschale unterliegt insoweit dem ermäßigten Steuersatz.

Die Erstattung der Sachkosten für die nicht wieder verwendbare Otoplastik ist keine Anzahlung im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 1 a Satz 4 UStG, da dieses Ohrpaßstück bei keiner anderen Lieferung verwendet werden kann. Aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht handelt es sich hier um echten Schadenersatz – einer Vertragsstrafe, die wegen Nichterfüllung geleistet wird –, der nicht der Umsatzsteuer unterliegt (Abschn. 3 Umsatzsteuer-Richtlinie). Bei einem wie hier vorliegenden „abgebrochenen Austauschverhältnis” hat der Unternehmer (Akustiker) bereits Aufwendungen getätigt oder Teile der vertraglichen Leistung fertiggestellt, wenn das Vertragsverhältnis durch Aufkündigung beendet wird. Der Patient kommt somit seiner Vertragsverpflichtung nicht nach. Die Krankenkassen erfüllen mit der Erstattung de...

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