Leitsatz

1. Ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung, der von der Gesellschafterversammlung einstimmig gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, ist als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen (entgegen BMF-Schreiben vom 17.12.2013, BStBl I 2014, 63).

2. Ein Gesellschafter, an den nach einem solchen Beschluss kein Gewinn verteilt wird, verwirklicht den Tatbestand der Einkünfteerzielung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG nicht.

3. Ob eine inkongruente Vorabgewinnausschüttung nach § 42 AO gestaltungsmissbräuchlich ist, ist bei zivilrechtlich wirksamen punktuell satzungsdurchbrechenden Beschlüssen nach denselben Maßstäben zu beurteilen, die für satzungsgemäße inkongruente Ausschüttungen gelten.

 

Normenkette

§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 EStG, § 42 AO, § 243 Abs. 1 AktG, § 29 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GmbHG

 

Sachverhalt

Der Kläger war in den Streitjahren 2012 bis 2015 Geschäftsführer und zu 50 % Gesellschafter der K‐GmbH. Weitere zu 50 % beteiligte Gesellschafterin der K‐GmbH war die T‐GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer ebenfalls der Kläger war. Nach dem Gesellschaftsvertrag der K‐GmbH hatten deren Gesellschafter über die Gewährung und die Entnahme von Vorschüssen auf die voraussichtlichen Jahresgewinnansprüche während eines laufenden Geschäftsjahres durch Beschluss mit einfacher Mehrheit zu entscheiden. Die Beschlüsse sollten nur rechtsgültig sein, sofern die Vorschüsse nicht zu einer Minderung des Stammkapitals führen konnten; Zahlungen an die Gesellschafter durften zudem die Regelungen zum Erhalt des Stammkapitals in § 30 GmbHG nicht verletzen. Über die Verwendung des Jahresgewinns hatten die Gesellschafter durch Gesellschafterbeschluss zu entscheiden. Das Recht eines Gesellschafters, einen Beschluss der Gesellschafterversammlung anfechten zu dürfen, war verwirkt, wenn es sich um unverzichtbare Rechte handelte und der jeweilige Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung, in der der anzufechtende Beschluss gefasst worden war, anwesend oder rechtsgültig vertreten war, dem Beschluss nicht ausdrücklich widersprochen hatte und er nicht innerhalb von zwei Monaten danach Klage auf Anfechtung oder Geltendmachung der Nichtigkeit des Beschlusses gegen die Gesellschaft erhob.

Der Gesellschaftsvertrag der K‐GmbH enthielt keine Regelung zur Gewinnverteilung. Er sah insbesondere weder vor, dass Entnahmen, Vorschüsse und der Jahresgewinn stets abweichend von den Beteiligungsverhältnissen zu verteilen waren, noch enthielt er eine Öffnungsklausel i.S.d. § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG, die eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Verteilung durch gesonderte Beschlussfassung im Einzelfall zuließ.

Die Gesellschafterversammlung der K‐GmbH fasste in den Streitjahren jeweils einstimmig Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse. Die Vorabausschüttungen wurden nach den Beschlüssen nur an die T‐GmbH verteilt und an diese ausgezahlt (2012: 1,4 Mio. EUR; 2013: 1,45 Mio. EUR; 2014: 2,55 Mio. EUR und 2015: 3,4 Mio. EUR).

Während einer Außenprüfung bei der K‐GmbH gelangte der Prüfer zu der Auffassung, die Vorabausschüttungen der K‐GmbH an die T‐GmbH beruhten auf zivilrechtlich nichtigen Ausschüttungsbeschlüssen. Die ausgeschütteten Beträge seien dem Kläger entsprechend seiner Beteiligungsquote zur Hälfte zuzurechnen. Die Anschaffungskosten des Klägers für die Anteile an der T‐GmbH seien zu erhöhen, weil der Kläger die ihm zustehenden Ausschüttungsbeträge im Wege eines abgekürzten Zahlungswegs der T‐GmbH als Einlagen zugewendet habe.

Das FA schloss sich der Auffassung des Außenprüfers an. Er erließ für den Kläger entsprechend geänderte ESt-Bescheide für die Streitjahre, in denen es aufgrund der Ausschüttungen der K‐GmbH zusätzliche Kapitalerträge des Klägers i.H.v. 700.000 EUR (2012), 725.000 EUR (2013), 1.275.000 EUR (2014) und 1.700.000 EUR (2015) erfasste und dem gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG unterwarf. Das FG gab der hiergegen erhobenen Klage statt (FG Münster, Urteil vom 6.5.2020, 9 K 3359/18 E,AO, Haufe-Index 14058309, EFG 2020, 1603).

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen. Der Kläger hat aufgrund der Vorabgewinnausschüttungen keine Dividenden gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG erzielt. Die inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse, nach denen an ihn keine Ausschüttungsbeträge gezahlt wurden, waren zivilrechtlich wirksam und steuerlich anzuerkennen.

 

Hinweis

1. Enthält ein Gesellschaftsvertrag keine gesonderte Regelung zur Gewinnverteilung i.S.d. § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG, sind die Gewinne gemäß § 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG nach dem Verhältnis der Geschäftsanteile zu verteilen. Trifft die Gesellschafterversammlung einen hiervon abweichenden inkongruenten Gewinnausschüttungsbeschluss, stellt sich die Frage, ob dieser steuerlich anzuerkennen ist. Das FA hat dies im vorliegenden Fall verneint.

2. Gesellschaftsrechtlich sind punktuell die Satzung durchbrechende Ge...

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