Entscheidungsstichwort (Thema)

Arzthaftung bei Erfordernis eines Revisonseingriffs (Hüftgelenksprothese); keine Beweisvereitelung durch Entsorgung der ausgetauschten Erstprothese

 

Leitsatz (amtlich)

1. Aus der unterbliebenen Aufklärung über die Materialwahl des Inlays einer Hüftgelenkpfanne (hier: Keramik) ergibt sich keine Haftung des Arztes, wenn das (eingetretene) Risiko einer Fraktur des Gelenkkopfs bei der alternativ in Betracht kommenden Kunststoffauskleidung nicht geringer gewesen wäre.

2. Auch die Zusammenfügung eines Hüftprothesenschafts mit dem Gelenkkopf ist Herstellung eines Medizinprodukts i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG. Beweispflichtig dafür, dass eine implantierte Prothese von ihrem Material oder ihrer Zusammenfügung her mit einem Fehler i.S.v. § 3 ProdHaftG behaftet war, ist der Patient.

3. Entsorgt die Behandlungsseite eine aus dem Körper entfernte Prothese, ergibt sich daraus kein Beweisvorteil für den Patienten, wenn eine Beeinträchtigung seiner Beweischancen auszuschließen ist.

4. Eine fehlende CE - Kennzeichnung eines Medizinprodukts ist bei tatsächlich erfolgter CE - Zertifizierung unerheblich.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 253, 276, 280, 611, 823; ProdHaftG § 1 Abs. 1, 4 S. 1, §§ 3-4; MPG § 10 Abs. 2; MPSV § 11

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Urteil vom 08.11.2012; Aktenzeichen 2 O 141/11)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Mainz vom 8.11.2012 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Dieses Urteil und der hiesige Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die gegen ihn gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht von der anderen Seite Sicherheit in entsprechender Höhe gestellt wird.

 

Gründe

Die Entscheidung ergeht gem. §§ 522 Abs. 2, 97 Abs. 1 708 Nr. 10, 711 ZPO. Ihre sachlichen Grundlagen ergeben sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils und dem Senatsbeschluss vom 24.1.2013. Dort hat der Senat mitgeteilt:

"I. Dem damals 53-jährigen Kläger wurde am 28.5.2003 im Krankenhaus der Beklagten zu 1. linksseitig eine Hüfttotalendoprothese eingesetzt. Dabei handelte es sich um ein Kurzschaft-Implantat, das mit einem Gelenkkopf aus Keramik versehen wurde; auch die Gelenkpfanne war in ihrer inneren Verkleidung in Keramik ausgeführt.

Nach der Ansicht des Klägers war diese Materialauswahl verfehlt, da sie ein Bruchrisiko bedeutet habe. Darüber sei er ebenso wenig informiert worden, wie man ihm mitgeteilt habe, dass die gewählte Prothesenform nicht langfristig in ihrer Bruchresistenz erprobt gewesen sei. Zudem habe man den Gelenkkopf ungenügend fixiert; eine bildgebende Kontrolle, bei der dies hätte bemerkt werden können, sei unterblieben. Ein weiterer Mangel habe darin gelegen, dass sich auf der Prothese keine - die Konformität mit den einschlägigen EU-Richtlinien signalisierende - CE-Kennzeichnung befunden habe.

Nach einer dreijährigen beschwerdefreien Phase hatte der Kläger am 16.10.2006 im linken Hüftgelenk starke Schmerzen. Man diagnostizierte einen Bruch des Prothesenkopfs. Daraufhin brachte man am 18.10.2006 im Krankenhaus der Beklagten zu 1. in Auswechslung des Prothesenschafts und des Pfanneninlays ein - zur Gewährleistung des Halts in dem ausgefrästen Oberschenkelknochen - in seinem Schaft längeres Neuimplantat ein. Die unbrauchbaren alten Gelenkteile wurden entsorgt. Gemäß dem Vorbringen des Klägers saß der Prothesenschaft von vornherein nicht sicher. Unabhängig davon habe man ihm verschwiegen, dass es nachträglich zu Lockerungen kommen könnte.

Im weiteren Verlauf sank der neue Prothesenschaft leicht im Oberschenkelknochen ein, so dass sich das linke Bein des Klägers geringfügig verkürzte. Außerdem traten gegen Ende des Jahres 2006 schmerzhafte Luxationen auf, nach denen der Gelenkkopf repositioniert werden musste.

Unter Hinweis auf die entstandenen Probleme sowie auf seiner Schilderung nach wiederkehrende Schmerzen und anhaltende Gangunsicherheiten hat der Kläger die Beklagte zu 1., gestützt auf den Vorwurf von Behandlungsfehlern und Aufklärungsversäumnissen, im vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung eines mit mindestens 25.000 EUR zu beziffernden Schmerzensgelds und den Ausgleich vorgerichtlicher Anwaltskosten von 1.694,26 EUR in Anspruch genommen, sowie die Feststellung der weiter gehenden Ersatzhaftung beantragt. Dieses Verlangen hat er später auf den - im Haus der Beklagten zu 1. ärztlich tätigen - Beklagten zu 2. erstreckt, weil dieser ihn vor der Primärimplantation vom 28.5.2003 nicht hinreichend aufgeklärt habe.

Das LG hat den Kläger und den Beklagten zu 2. angehört und zwei Sachverständige befragt, von denen sich einer bereits in einem vom Kläger eingeleiteten Beweissicherungsverfahren gutachtlich geäußert hatte. Sodann hat es die Klage abgewiesen. Aus seiner Sicht lassen sich weder für den 28.5.2003 noch für den 18.10.2006 ärztliche Fehler feststellen. Ein irgendwie gearteten Beweisvorteil im Hinblick darauf, dass die Bruchstücke der Erstprothese nicht me...

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