Rz. 81

Ein Vorbehaltsnießbrauch liegt vor, wenn bei der Übertragung eines Grundstücks gleichzeitig ein Nießbrauchsrecht für den bisherigen Eigentümer an dem übertragenen Grundstück bestellt wird.

Die Regelungen für den Vorbehaltsnießbrauch galten bisher für den sogenannten Vermächtnisnießbrauch entsprechend. Dies beruhte auf der Vorstellung, daß bei einer vermächtnisweisen Zuwendung von Nutzungsrechten der Erbe von vornherein nur belastetes Eigentum und der Vermächtnisnehmer das Nutzungsrecht unmittelbar als Rechtsnachfolger des Erblassers erhalten hat[1]. Diese Auffassung wird vom BFH nicht mehr geteilt (v. 28.9.1993, IX R 156/88, FR 1994, 152). Nach der o. g. Entscheidung kann ein Vermächtnisnießbraucher AfA aufgrund von Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Erblassers nicht in Anspruch nehmen, da die vom Erblasser getragenen AK oder HK nach dessen Tod nicht dem Vermächtnisnießbraucher, sondern den Erben als Gesamtrechtsnachfolgern des Erblassers zuzurechnen seien. Etwas anderes würde sich auch nicht aus § 11d Abs. 1 EStDV ergeben. Diese Änderung der BFH-Rechtsprechung basiert auf dem Beschl. des GrS v. 5. 7. 1990 zur Erbauseinandersetzung[2]. In diesem Beschluß hat der BFH sowohl für den Bereich des Betriebsvermögens als auch für den des Privatvermögens die steuerrechtliche Fiktion einer rechtlichen Einheit von Erbfall und Erbauseinandersetzung aufgegeben. Daher wurde auch die früher vertretene Auffassung, der Vermächtnisnehmer erwerbe den Gegenstand des Vermächtnisses unmittelbar vom Erblasser, aufgegeben. Der Gegenstand eines Vermächtnisses geht als Teil des Nachlasses auf den die Erben im Wege der Gesamtrechtsnachfolge über, so daß auch die AfA-Zuständigkeit nach § 11d EStDV auf den oder die Erben übergeht, die diese in den vorliegenden Fällen allerdings mangels Einkunftserzielung nicht ausnutzen können. Diese neue Sicht des BFH führt also dazu, daß wahrscheinlich weder der Erbe noch der Vermächtnisnießbraucher AfA absetzen können, ein unbefriedigendes Ergebnis, das nur dadurch vermieden werden kann, daß der Vermächtnisnießbraucher als wirtschaftlicher Eigentümer angesehen wird, was nach ständiger BFH-Rechtsprechung im Regelfall jedoch verneint wird[3]. Aufgrund der überraschenden Kehrtwende der BFH-Rechtsprechung zur AfA-Zuständigkeit des Vermächtnisnießbrauchers hat die FinVerw mit BMF v. 22.4.1994 (BStBl I 1994, 258) eine Übergangsregelung erlassen. Danach sind die Rechtsgrundsätze des BFH v. 28.9.1993 (a.a. O.) in allen Fällen anzuwenden, in denen der Vermächtnisnießbrauch nach dem 31.5.1994 notariell beurkundet worden ist. Ist der Vermächtnisnießbrauch vor dem 1.6.1994 notariell beurkundet worden, ist der Vermächtnisnießbraucher weiterhin zum Abzug der Gebäude-AfA nach Maßgabe der Tz. 51, 41 des BMF v. 15.11.1984 (a.a. O.) berechtigt.

 

Rz. 82

Nach Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die Nutzungsrechtsbestellung in keinem Fall eine Gegenleistung für den Grundstückserwerb, und zwar selbst dann nicht, wenn nach dem Wortlaut des Grundstückskaufvertrages der Wert des Nießbrauchs auf den Kaufpreis angerechnet werden soll. Nach Auffassung des BFH erhält der Grundstückserwerber das Grundstück von vornherein nur mit dem Nießbrauch belastet[4].

Die Rechtsfolgen des Vorbehaltsnießbrauchs gelten für das vorbehaltene dingliche Wohnrecht in gleicher Weise[5].

Nach BFH v. 28.7.1981 (VIII R 124/76, BStBl II 1982, 378) liegt ein Vorbehaltsnießbrauch dagegen nicht vor, wenn die Einräumung des Nießbrauchs zwar im Zusammenhang mit der Übertragung eines Grundstücks erfolgt, der Nießbrauch aber an einem anderen als dem übertragenen Grundstück bestellt wird.

 

Rz. 83

Behandlung beim Nutzungsberechtigten

Bei einem unentgeltlich bestellten Vorbehaltsnießbrauch kann der Nießbrauchsberechtigte die Aufwendungen absetzen, zu deren Erbringung er kraft Gesetzes oder Vertrages verpflichtet ist. Mangels entsprechender Formbedürftigkeit einer solchen vertraglichen Abrede genügt auch die entsprechende mündliche Vereinbarung, wenn sie zu Beginn des Vertragsverhältnisses klar und eindeutig getroffen, tatsächlich durchgeführt ist und insgesamt einem Fremdvergleich standhält[6].

 

Rz. 84

Falls der Vorbehaltsnießbraucher das Grundstück vermietet, erzielt er Einkünfte nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG als derjenige, der als Vermieter am Marktgeschehen teilnimmt. AfA auf das Gebäude kann er — unabhängig vom wirtschaftlichen Eigentum — im bisherigen Umfang abziehen. Dies begründet der BFH nicht mehr mit dem wirtschaftlichen Eigentum des Vorbehaltsnießbrauchers, sondern aufgrund wirtschaftlicher Betrachtungsweise. Wirtschaftlicher Eigentümer im Sinne des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO ist nämlich nur, wer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, daß er den zivilrechtlichen Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, so daß der Herausgabeanspruch des zivilrechtlichen Eigentümers keine wirtschaftliche Bedeutung hat[7]. Die Beste...

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