Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederbeschaffung von Hausrat und Kleidung als außergewöhnliche Belastung. Einkommensteuer 1991
Leitsatz (redaktionell)
In Abweichung von BFH v. 26.04.1991, III R 69/87, BStBl II 1991 S. 755, liegt in Aussiedlungsfällen ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 33 EStG nicht erst dann vor, wenn ein Verbleiben im Heimatland mit Gefahren für Leib und Leben oder die persönliche Freiheit verbunden wäre. Es genügt vielmehr, dass die Aussiedler im ihrem Heimatland ständiger Diskriminierung und politischen Druck zum Verlassen des Landes ausgesetzt wären, um die nach erfolgter Umsiedelung entstandenen Wiederschaffungskosten von Hausrat und Kleidung als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
Normenkette
EStG 1990 § 33; FGO § 100 Abs. 1-2
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 25.11.1996; Aktenzeichen III R 238/94) |
Tenor
I. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 1991 vom 2. Juli 1992 sowie die Einspruchsentscheidung vom 23. November 1993 werden teilweise aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, die Kläger unter grundsätzlicher Anerkennung einer außergewöhnlichen Belastung wegen Wiederbeschaffung von Hausrat und Kleidung nach Maßgabe der Entscheidungsgründe neu zu bescheiden.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung einer außergewöhnlichen Belastung wegen Wiederbeschaffung von Hausrat und Kleidung.
Die Kläger sind Volksdeutsche, die zusammen mit ihren 3 Kindern Ende Oktober 1990 aus Kasachstan in die Bundesrepublik übergesiedelt sind. Beide Kläger beziehen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
In ihrer Einkommensteuererklärung 1991 machten sie Wiederbeschaffungskosten für Kleidung und Hausrat als außergewöhnliche Belastung erfolglos geltend. Sie gaben an, daß sie 8 Koffer und 2 Container (1,20 × 1,40 m) hätten mitnehmen können. Sie wären unter normalen Lebensbedingungen in ihrem Haus in Kasachstan geblieben. Die Kinder hätten aber keine weiterbildenden Schulen besuchen können, es hätte keine Religionsfreiheit geherrscht und als letzte Deutsche im Dorf seien sie immer stärker werden Repressalien ausgesetzt gewesen.
Im einzelnen machten die Kläger als außergewöhnliche Belastung geltend:
Kleidung und kleinerer Hausrat |
2.201,81 DM |
./. Zuschuß |
1.200,– DM |
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1.101,81 DM |
Möbel und größere Gegenstände: |
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Couchtisch |
698,– DM |
Bettcouch + Sessel |
2.422,– DM |
Schrank usw. |
5.985,– DM |
Kommode |
378,– DM |
Waschautomat |
1.398,– DM |
Zinsen auf Anschaffungsdarlehen |
612,– DM |
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11.493,– DM |
Den Einspruch der Kläger hat der Beklagte als unbegründet zurückgewiesen.
Mit der Klage beantragen die Kläger sinngemäß,
unter Änderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides vom 10. Februar 1993 und der Einspruchsentscheidung vom 23. November 1993 insgesamt 12.496;– DM Anschaffungskosten für Hausrat und Kleidung als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen.
Zur Begründung tragen die Kläger vor, aus Funk und Fernsehen sei hinreichend bekannt, daß Deutsche in Kasachstan Repressalien ausgesetzt seien. Deutsch habe nicht gesprochen werden dürfen, deutsche Kinder seien vom Studium ausgeschlossen. Als Bevollmächtigter einiger Rußlanddeutscher sei er, der Kläger, öfter nach Rußland gefahren und habe festgestellt, daß sich die Verhältnisse seit 1989 verschlechtert hätten. Auch die deutsche Botschaft in Moskau versuche durch Schikanen, die Deutschen im Land zu halten. Artikel 3 Abs. 1 GG verlange die Anerkennung der außergewöhnlichen Belastung im Streitfall. Die Ausführungen des Beklagten in der Einspruchsentscheidung und die dort zitierte Rechtsprechung träfen auf den Streitfall nicht zu.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und verweist auf die Einspruchsentscheidung und Bundesfinanzhof BStBl 1991 II S. 755. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Kläger in Kasachstan Gefahren für Leib und Lebeno der der persönlichen Freiheit ausgesetzt gewesen seien.
Der Senat hat nach Maßgabe des Beschlusses vom 12.4.1994 Beweis erhoben durch Einholung einer schriftlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes, die dieses unter dem 19.5.1994 in Form einer Stellungnahme der deutschen Botschaft in Almaty erteilt hat. Danach handelt es sich bei den Volksdeutschen in Kasachstan zum größten Teil um Zwangsumsiedler aus der ehemaligen Wolgarepublik und ihre Nachkommen. Die durch den Krieg mit der Sowjetunion ausgelösten Deportationen aus der Wolgarepublik in die zentralasiatischen Sowjetrepubliken haben mindestens 35 % der verschleppten Volksdeutsche nicht überlebt und wurden in den jeweiligen Neuansiedlungsgebieten jahrzentelangen schweren Diskriminierungen ausgesetzte wobei nur wenigen jährlich die Ausreise nach Deutschland gestattet würde. Den meisten würde noch nicht einmal die Reise nach Moskau zur deutsc...