rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuerbefreiung für die von einer selbstständigen Familienpflegerin in Abstimmung mit dem Jugendamt erbrachten und mit dem Jugendamt abgerechneten Leistungen

 

Leitsatz (redaktionell)

Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die nach § 4 UStG nicht steuerbefreiten Leistungen einer freiberuflichen Familienpflegerin mit 10 bis 13 Arbeitnehmern unmittelbar nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g, h und i der 6. EG-Richtlinie (zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern vom 17.5.1977) steuerbefreit sind, wenn die Familienpflegerin in Abstimmung mit dem Jugendamt als dem für die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe zuständigen Leistungsträger u.a.

  • Leistungen im Rahmen der Betreuung und Versorgung von Kindern in Notsituationen (§ 20 SGB VIII) sowie Leistungen der sozialpädagogischen Familienhilfe (§§ 27, 31 SGB VIII) erbringt,
  • Umsätze aus der vollzeitigen Unterhaltung und Betreuung einer therapeutischen Wohngemeinschaft (Heimerziehung, § 34 SGB VIII) sowie aus stundenweiser Betreuung Jugendlicher und junger Erwachsener im Rahmen der Wohnform „Betreutes Wohnen” (§ 34 SGB VIII) erzielt,
  • an Schulen pädagogische Hilfestellung bei auffälligem Verhalten von Kindern, das auf Erziehungsprobleme im Elternhaus hindeutet (Erziehungsberatung nach § 28 SGB VIII), leistet,
  • in gerichtlichen Scheidungsverfahren Verfahrenspfleger zur Verfügung stellt, die dem Familiengericht Grundlagen für Sorgerechtsentscheidungen liefern (§ 17 Abs. 2 SGB VIII),
  • in Abstimmung mit dem Jugendamt Trainingskurse für gewaltbereite Jugendliche zum gewaltfreien Verhalten in konfliktgeladenen Situationen durchführt (Jugendsozialarbeit i. S. des § 13 Abs. 1 SGB VIII) und wenn sämtliche Leistungen mit dem Jugendamt abgerechnet werden.
 

Normenkette

Richtlinie (EWG) Nr. 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g, h, i; UStG 1999 § 4 Nrn. 14-15, 18, 23, 25; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1; SGB VIII §§ 17, 20, 27-28, 31, 34

 

Tenor

Die Verfahren 2 V 126/06 und 2 V 137/06 werden zur gemeinsamen Entscheidung unter dem Aktenzeichen 2 V 126/06 verbunden.

Die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 2000 – 2004, jeweils vom 23.08.2006, wird ausgesetzt.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner zu 85 v. H., die Antragstellerin zu 15 v. H.

Die Beschwerde wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 13.766,00 e festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob Umsätze der Antragstellerin umsatzsteuerfrei sind.

Die Antragstellerin ist seit Beginn des Jahres 2000 als freiberufliche Familienpflegerin tätig. Sie beschäftigte in den Streitjahren zwischen 10 und 13 Arbeitnehmer.

Am 24.02.2000 beschloss der Jugendhilfeausschuss der Stadt G „die Übertragung der Anerkennung als freier Träger der Jugendhilfe für die aus den G.'er Pflegediensten H… ausgegliederte Familien- und Jugendhilfe H.” (Antragstellerin).

Die Antragstellerin erzielte Umsätze aus der vollzeitigen Unterhaltung und Betreuung einer therapeutischen Wohngemeinschaft (Heimerziehung, § 34 SGB VIII) sowie aus stundenweiser

Betreuung Jugendlicher und junger Erwachsener im Rahmen der Wohnform „Betreutes Wohnen” (§ 34 SGB VIII).

Weitere Umsätze erzielte die Antragstellerin aus der ambulanten Betreuung und Versorgung von Kindern in Notsituationen (§ 20 SGB VIII) und mit Leistungen im Bereich sozialpädagogischer Familienhilfe (§ 31 SGB VIII).

Die Antragstellerin erzielte darüber hinaus Umsätze im Zusammenhang mit dem vom Jugendamt initiierten und finanzierten Projekt „Kinder-Eltern-Schule-System” (KESS) an der F-Schule in G. Sie stellte zwei Mitarbeiter als Ansprechpartner für Schüler, Lehrer und Eltern zur Verfügung. Diese leisteten pädagogische Hilfestellung bei auffälligem Verhalten von Kindern, das auf Erziehungsprobleme im Elternhaus hindeutete (Erziehungsberatung nach § 28 SGB VIII).

In gerichtlichen Scheidungsverfahren stellte die Antragstellerin Verfahrenspfleger zur Verfügung, die dem Familiengericht Grundlagen für Sorgerechtsentscheidungen lieferten (§ 17 Abs. 2 SGB VIII).

Sie führte in Abstimmung mit dem Jugendamt Trainingskurse für gewaltbereite Jugendliche zum gewaltfreien Verhalten in konfliktgeladenen Situationen durch (Jugendsozialarbeit i. S. des § 13 Abs. 1 SGB VIII).

Schließlich hielt die Antragstellerin im Auftrag des Vereins B. e. V. Vorträge über soziale Dienstleistungsanbieter.

Mit Ausnahme der Honorare für Vorträge rechnete die Antragstellerin sämtliche Leistungen gegenüber dem Jugendamt ab. Umsatzsteuer wies sie in ihren Rechnungen gegenüber dem Jugendamt nicht aus, Umsatzsteuererklärungen gab sie für die Jahre 2000 – 2004 nicht ab.

Aufgrund einer 2006 durchgeführten Außenprüfung vertrat der Antragsgegner die Ansicht, dass die Umsätze der Antragstellerin aus Leistungen im Rahmen des therapeutischen und des betreuten Wohnens umsatzsteuerfrei, alle übrigen Umsätze hingegen umsatzsteuerpflichtig seien.

Unter dem 18.05.2006, Eingang beim Antragsgegner am 22.05.2006, gab die Antragstellerin eine Umsat...

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