Leitsatz

Ob ein Arbeitnehmer seine weiter entfernt liegende Familienwohnung "nicht nur gelegentlich" aufsucht, ist anhand einer Gesamtwürdigung zu beurteilen. Fünf Fahrten im Kalenderjahr können bei entsprechenden Umständen ausreichend sein (gegen Abschnitt 42 Abs. 3 Satz 5 LStR 1996).

 

Normenkette

§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 3 EStG 1996 (jetzt: Satz 7)

 

Sachverhalt

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, war in Deutschland als Arbeitnehmer beschäftigt. Seine Ehefrau wohnte zusammen mit den Kindern in der Familienwohnung in der Türkei. Eine beruflich begründete doppelte Haushaltsführung lag nicht vor. Im Streitjahr 1998 reiste der Kläger fünfmal zu seiner Familie in die Türkei. Die Flugkosten machte er als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG 1996 geltend.

Das FA lehnte eine Berücksichtigung der Kosten ab, da der Kläger die Familienwohnung nur fünfmal und nicht (mindestens) sechsmal aufgesucht hatte. Die Klage hatte Erfolg.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision des FA aus den in den Praxis-Hinweisen angeführten Gründen zurück. Der BFH hielt – ebenso wie das FG – es angesichts der Gesamtumstände für ausreichend, dass der Kläger seine Familie in der Türkei (nur) fünfmal aufgesucht hatte.

 

Hinweis

1. Besucht der Arbeitnehmer seine Arbeitsstätte abwechselnd von unterschiedlichen Wohnungen, so sind Fahrten von der weiter entfernt liegenden Wohnung nur zu berücksichtigen, wenn diese den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers bildet. Befindet sich der Lebensmittelpunkt in der entfernteren Wohnung, muss hinzukommen, dass sie "nicht nur gelegentlich aufgesucht wird" (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 3 EStG 1996).

2. Bereits früher hatte der BFH entschieden, dass das Tatbestandsmerkmal "nicht nur gelegentlich" dahin gehend aufzufassen ist, dass der Arbeitnehmer die Wohnung häufiger, in nicht zu großen – zeitlichen – Abständen aufsuchen muss. Einen nur einmaligen Besuch bei der Familie im Kalenderjahr hat der BFH als nicht genügend angesehen; dies auch dann, wenn der Aufenthalt von längerer Dauer ist.

3. Der Richtliniengeber hat in Abschnitt 42 Abs. 3 Satz 5 LStR 1996 (vgl. R 42 Abs. 1 Satz 5 LStR 2004) das angeführte Tatbestandsmerkmal quantifiziert und eine starre Grenze von mindestens sechs erforderlichen Fahrten angenommen. Bei weniger als sechs Fahrten wird ein Werbungskostenabzug ohne Beachtung der näheren Umstände definitiv ausgeschlossen.

4. Diese starre Grenze stellt nach Ansicht des BFH eine unzutreffende Gesetzesauslegung dar. Wie der BFH schon früher ausgeführt hat, wurde mit dem Tatbestandsmerkmal "nicht nur gelegentlich aufgesucht" die ältere Rechtsprechung des BFH eingeschränkt, die bei Fahrten des Arbeitnehmers zwischen der Arbeitsstätte und der weiter entfernt liegenden Familienwohnung den Werbungskostenabzug unabhängig von der Anzahl dieser Fahrten zugelassen hatte. Bei der Formulierung der Gesetzesfassung ab 1990 hat aber der Gesetzgeber bewusst auf eine (mögliche) eindeutige zahlenmäßige Festlegung verzichtet. Der BFH hat aus diesen Umständen den Schluss gezogen, dass – im Einklang mit den Vorstellungen des Gesetzgebers – eine Gesamtwürdigung vorzunehmen ist, die eine Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls zulässt.

5. Die Auslegung durch den BFH ermöglicht es, dass neben der Häufigkeit der Reisen auch die Entfernung zwischen der Familienwohnung (insbesondere im weit entfernten Ausland) und der Arbeitsstätte im Inland in einer Gesamtbetrachtung mitgewichtet wird. Von Bedeutung können z.B. auch sein: Kosten der Fahrten, Undurchführbarkeit von Heimfahrten.

Bedacht werden sollte indessen, dass bei einer zu geringen Anzahl von Heimfahrten die Frage auftauchen kann, ob die entfernter liegende Wohnung (noch) den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers darstellt.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 26.11.2003, VI R 152/99

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