Entscheidungsstichwort (Thema)

Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen. Übergang eines Unternehmens, das sich im Verfahren der freiwilligen oder gerichtlichen Liquidation befindet. Befugnis des Veräußerers und des Erwerbers zur Kündigung von Arbeitnehmern aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen. Kurz vor dem Übergang gekündigte und vom Erwerber nicht übernommene Arbeitnehmer

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen ist so auszulegen, daß die Richtlinie beim Übergang eines Unternehmens, das sich im Zustand der gerichtlichen Liquidation befindet, anwendbar ist, wenn die Tätigkeit des Unternehmens während dieses Verfahrens weitergeführt wird.

2. Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 77/187, der den Schutz der Rechte der Arbeitnehmer gegen eine Kündigung, die allein mit dem Übergang begründet wird, sowohl gegenüber dem Veräußerer als auch gegenüber dem Erwerber gewährleisten soll, ist so auszulegen, daß das Recht zur Kündigung aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen sowohl dem Veräußerer als auch dem Erwerber zusteht. Die vom Veräußerer kurz vor dem Übergang des Unternehmens rechtswidrig gekündigten und vom Erwerber nicht übernommenen Arbeitnehmer können sich gegenüber dem Erwerber auf die Rechtswidrigkeit der Kündigung berufen, da davon auszugehen ist, daß ihr Arbeitsvertrag gegenüber dem Erwerber noch besteht. Zum einen sind nämlich die vor dem Übergang des Unternehmens unter Verstoß gegen Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie vom Veräußerer gekündigten Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Übergangs als immer noch bei dem Unternehmen beschäftigt anzusehen, und zum anderen sind die Bestimmungen der Richtlinie, insbesondere über den Schutz der Arbeitnehmer gegen eine Kündigung aufgrund des Übergangs, als zwingend in dem Sinne anzusehen, daß von ihnen nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer abgewichen werden darf.

 

Normenkette

BGB § 613a; EGVtr Art. 177; EG Art. 234; EWGRL 187/77 Art. 1 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1

 

Beteiligte

Dethier Équipement

Jules Dethier Équipement SA

Jules Dassy

Sovam SPRL

 

Tenor

1. Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen ist so auszulegen, daß die Richtlinie beim Übergang eines Unternehmens, das sich im Zustand der gerichtlichen Liquidation befindet, anwendbar ist, wenn die Tätigkeit des Unternehmens weitergeführt wird.

2. Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 77/187 ist so auszulegen, daß die Befugnis zur Kündigung aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen sowohl dem Veräusserer als auch dem Erwerber zusteht. Die vom Veräusserer kurz vor dem Übergang des Unternehmens rechtswidrig gekündigten und vom Erwerber nicht übernommenen Arbeitnehmer können sich gegenüber dem Erwerber auf die Rechtswidrigkeit der Kündigung berufen.

 

Gründe

Entscheidungsgründe

1

Die Cour du travail Lüttich hat mit Urteil vom 1. Dezember 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Dezember 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (ABl. L 61, S. 26; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2

Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit der Jules Dethier Équipement SA (im folgenden: Dethier) gegen Herrn Dassy und die Sovam SPRL in Liquidation (im folgenden: Sovam) über die Zahlung einer Kündigungsabfindung sowie anderer Abfindungen.

3

Die Richtlinie ist nach ihrem Artikel 1 Absatz 1 auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.

4

Nach ihrem Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 gehen die Rechte und Pflichten des Veräusserers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über.

5

Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie bestimmt, daß der Übergang eines Unternehmens, Betriebes oder Betriebsteils als solcher für den Veräusserer oder den Erwerber keinen Grund zur Kündigung darstellt. Diese Bestimmung steht jedoch etwaigen Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen, nicht entgegen.

6

Die Bestimmungen der Richtlinie sind im belgischen Recht umgesetzt worden durch Kapitel 2 des mit Königlicher Verordnung vom 25. Juli 1985 (Moniteur belge vom 9. August 1985, S. 11527) für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags Nr. 32 bis vom 7. Juni 1985 ...

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