Rz. 13

Besonders im Bereich der Bilanzpolitik in der Unternehmenskrise sind die Konsequenzen von Informationen über die Lage des Unternehmens zu bedenken. Stets ist davon auszugehen, dass die Informationsverteilung zwischen dem Management und den Abschlussinteressenten asymmetrisch ist. Die Abschlussinteressenten haben somit Vorbehalte gegenüber der gebotenen Darstellung des Unternehmens. Dies ist einerseits handelsrechtlich gefordert, da etwa das Imparitätsprinzip und das Realisationsprinzip generell vermehrt Informationen über die bestehenden Risiken als über bestehende Chancen implizieren und auch die übrigen Darstellungen auf der Basis bestimmter Prämissen erfolgen, da eine objektive Abbildung eines Unternehmens unmöglich ist. Andererseits kann das Management aktiv in die Informationsvermittlung etwa durch bilanzpolitische Maßnahmen eingreifen und so eine bestimmte Interpretation der Daten der Abschlussinteressenten bezwecken.

 

Rz. 14

Der Abschlussinteressent hat sich somit sein eigenes Bild über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu bilden, was der Abschlussersteller aber beeinflussen kann.[1] Hierbei sind jedoch folgende Informationswirkungen zu bedenken:

  • Der Abschlussinteressent wird aufgrund seiner schlechteren Informationsbasis vermehrt "zwischen den Zeilen lesen" und auch Begleitumstände der Jahresabschlussübermittlung in seine Urteilsbildung einfließen lassen. So sind verspätete Abschlusserstellungen für den Adressaten ein Zeichen für eine schlechte Organisation der Buchhaltung und können damit zu einer schlechteren Einschätzung des Unternehmens führen, da ggf. vermutet wird, dass Risiken nicht adäquat in der Buchhaltung erfasst sein könnten. Ebenso werden unübersichtliche Darstellungen oder ausweichende Formulierungen den Eindruck hinterlassen, dass dem Abschlussersteller nicht an einer transparenten Darstellung gelegen ist. Gerade in Unternehmenskrisen ist Transparenz aber für die Abschlussinteressenten wie Banken, Partnerunternehmen, Lieferanten, Kunden und Mitarbeiter ein enorm wichtiger Faktor in der Entscheidungsbildung. Im Zweifel wird der Adressat ansonsten stets von der schlechtesten Möglichkeit ausgehen und ggf. zu einem negativen Urteil über das Unternehmen kommen. Auf jeden Fall will der Adressat das von ihm empfundene Risiko von dem Unternehmen entgolten bekommen, d. h., das Kreditinstitut verlangt einen höheren, "risikoadäquaten" Zinssatz und die Abnehmer wollen etwa aufgrund von unsicheren Gewährleistungszusagen niedrigere Preise.
  • Der Abschlussinteressent wird vermehrt nach Indikatoren zur Fundierung seiner Einschätzung suchen. So wird etwa ein Methodenwechsel hin zu einer progressiveren Bilanzpolitik (d. h. zu einer gewinnverbessernden Darstellung) stets kritisch gesehen und – wenn keine plausible Erklärung vorliegt, wie etwa die Vorbereitung einer Umstellung auf die IFRS – in der Einschätzung überproportional gewichtet. Der Grund dafür liegt in der sog. "Eisberghypothese" der Bilanzpolitik begründet: Nur gewisse Maßnahmen der Bilanzpolitik sind im Anhang zu berichten. Der Großteil der bilanzpolitischen Maßnahmen, insbesondere diejenigen, die die Sachverhalte beeinflussen oder die auf Einschätzungsspielräumen beruhen, ist jedoch für den Adressaten nicht zu beobachten, d. h. "unter der Wasserlinie". Somit wirken die sichtbaren Maßnahmen wie Signale. Kommt es dort zu einer Veränderung, dürften die Adressaten des Jahresabschlusses unterstellen, dass auch im nicht erkennbaren Bereich Änderungen vollzogen wurden, deren Ausmaß nicht kommuniziert wird und daher eingeschätzt werden muss.
  • Der Abschlussinteressent wird ggf. eigene Erwartungen an die Unternehmenssituation haben, was bilanzpolitisch genutzt werden kann. So kann etwa eine allgemeine Wirtschaftskrise, wie die Energiekrise, dazu genutzt werden, um vergleichsweise unbemerkt "Leichen aus dem Keller zu holen", wie die außerplanmäßige Abschreibung von Fehlinvestitionen, die nun als vom Management vergleichsweise unbeeinflussbare Folge der Wirtschaftskrise dem Abschlussinteressenten verkauft werden kann, statt als Eingeständnis einer verfehlten Investitionspolitik. Auch kann versucht werden, mit gezielten "Überraschungen" das ggf. unzutreffende Bild des Unternehmens beim Abschlussadressaten zu beeinflussen. Hierzu kann auch gut die Nachhaltigkeitsberichterstattung dienen, da durch eine Berichterstattung über Erfolge bei relevanten Umwelt-, Sozial- und Governanceaspekten Schwächen in der finanziellen Lage überspielt werden können.
 

Rz. 15

Für die Bilanzpolitik ist es daher enorm wichtig, sich dieser Konsequenzen bewusst zu sein.

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