Leitsatz (amtlich)

Eine vor Insolvenzeröffnung bestehende Aufrechnungslage zwischen rückständigen Gehaltsansprüchen des Geschäftsführers und dem gegen ihn bestehenden Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG ist nicht nach § 94 InsO geschützt, wenn die Aufrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung erworben wurde.

 

Normenkette

GmbHG § 64 S. 1; InsO §§ 94, 96 Abs. 1 Nr. 3, § 131 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Urteil vom 02.12.2011; Aktenzeichen 14 U 180/09)

LG Berlin (Urteil vom 10.09.2009; Aktenzeichen 7 O 36/09)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 14. Zivilsenats des KG vom 2.12.2011 aufgehoben.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des LG Berlin vom 10.9.2009 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Verurteilung zur Zahlung von 755,80 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.4.2009 wirkungslos ist.

Die Kosten der Rechtsmittel trägt der Beklagte.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der C. GmbH (künftig: Schuldnerin), das auf den Antrag vom 1.11.2007 am 10.12.2007 eröffnet wurde. Er nimmt den Beklagten, der bis zum 30.10.2007 Geschäftsführer der Schuldnerin war, auf Erstattung von Zahlungen der Schuldnerin im Zeitraum vom 1. bis 16.10.2007i.H.v. 13.729,22 EUR mit der Begründung in Anspruch, die Schuldnerin sei zum 30.9.2007 zahlungsunfähig und überschuldet gewesen.

Rz. 2

Der Beklagte hat sich mit der Begründung, die Schuldnerin sei nicht zahlungsunfähig gewesen und er habe zudem hinsichtlich der Zahlungen nicht schuldhaft gehandelt, gegen die Klage verteidigt. Das LG hat der Klage stattgegeben.

Rz. 3

In der Berufungsinstanz hat sich der Beklagte zunächst mit der Begründung, dem Kläger stehe entgegen der Ansicht des LG kein Anspruch aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. zu, gegen die erstinstanzliche Entscheidung gewandt. Im Laufe des Berufungsverfahrens hat er gegen die Klageforderung mit einem Teil seiner rückständigen Gehaltsforderungen (Januar bis März 2007i.H.v. 11.505 EUR, April 2007i.H.v. 2.224,22 EUR) aufgerechnet, die durch Urteil des LG Berlin vom 5.5.2011 (5 O 190/10) rechtskräftig als Insolvenzforderung gegenüber dem Kläger in einer Gesamthöhe von 30.680 EUR für die Zeit von Dezember 2006 bis Juli 2007 festgestellt worden sind.

Rz. 4

In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Kläger die Klage in Höhe der Nebenforderung (vorgerichtliche Anwaltskosten) mit Zustimmung des Beklagten zurückgenommen. Der Beklagte hat erklärt, sich nur noch mit der erklärten Aufrechnung gegen die Klage verteidigen zu wollen. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage im Hinblick auf die erklärte Aufrechnung abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 5

Die Revision des Klägers hat Erfolg und führt unter Aufhebung des Berufungsurteils zur Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung im Umfang des vom Kläger nach Teilrücknahme noch verfolgten Klagebegehrens.

Rz. 6

I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Rz. 7

Die Aufrechnung des Beklagten gegen den Anspruch des Klägers aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. (= § 64 Satz 1 GmbHG) habe Erfolg und führe zum Erlöschen der Klageforderung (§ 389 BGB). Die zwischen der Forderung des Klägers und den Ansprüchen aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. vor Insolvenzeröffnung bestehende Aufrechnungslage (§ 387 BGB) habe zugunsten des Beklagten nach § 94 InsO fortbestanden. Anhaltspunkte für Aufrechnungsverbote nach § 96 Abs. 1 InsO seien dem Parteivortrag nicht zu entnehmen. Der Anspruch aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. schließe auch nicht seiner Eigenart nach jede Aufrechnung aus. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob der Geschäftsführer gegen eine Forderung aus § 64 Satz 1 GmbHG bzw. § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. mit vor Insolvenzeröffnung erworbenen Gehaltsforderungen aufrechnen kann.

Rz. 8

II. Die angefochtene Entscheidung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dabei kommt es auf die Frage, deretwegen das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, für die Entscheidung nicht an. Die vom Beklagten erklärte Aufrechnung ist schon gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO insolvenzrechtlich unwirksam.

Rz. 9

1. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger gegen den Beklagten eine Forderung aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F., gegen die der Beklagte aufgerechnet hat, zusteht. Mit ihren insoweit erhobenen Gegenrügen kann die Revisionserwiderung nicht mehr gehört werden. Die Revisionserwiderung verkennt, dass das Berufungsgericht seiner Entscheidung das Bestehen der Klageforderung ohne eigene Prüfungskompetenz zugrunde zu legen hatte, nachdem der Beklagte sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nur noch mit der (Haupt-)Aufrechnung gegen die Klage verteidigt hat (vgl. BGH, Urt. v. 13.6.2001 - VIII ZR 294/99, WM 2001, 2023, 2024 m.w.N.; s. hierzu auch BGH, Urt. v. 13.2.1996 - XI ZR 148/95, WM 1996, 1153 f.).

Rz. 10

2. Gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, zwischen den (aus Januar bis April 2007) rückständigen Gehaltsansprüchen des Beklagten und dem Anspruch des Klägers aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. habe vor Insolvenzeröffnung eine Aufrechnungslage bestanden, wendet sich die Revision - zu Recht - nicht.

Rz. 11

Eine Aufrechnungslage besteht, wenn die in § 387 BGB normierten Tatbestandsmerkmale Gegenseitigkeit, Gleichartigkeit, Durchsetzbarkeit der Aktivforderung des Aufrechnenden und Erfüllbarkeit der Passivforderung des Aufrechnungsgegners gegeben sind (st.Rspr. s. nur BGH, Urt. v. 19.5.2011 - IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271 Rz. 6 m.w.N.; Erman/Wagner, BGB, 13. Aufl., § 387 Rz. 1). Zutreffend hat das Berufungsgericht die Merkmale der Gegenseitigkeit, Gleichartigkeit, Durchsetzbarkeit der Gehaltsansprüche und (unter Bezugnahme auf BGH, Urt. v. 16.3.2009 - II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 Rz. 20; ebenso BGH, Beschl. v. 23.9.2010 - IX ZB 204/09, ZIP 2010, 2107 Rz. 13 ff.) der Erfüllbarkeit der Passivforderung aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. als gegeben angesehen.

Rz. 12

3. Das Berufungsgericht hat aber, wie die Revision zu Recht rügt, verkannt, dass die nach seinen Feststellungen vor Insolvenzeröffnung bestehende Aufrechnungslage (§ 387 BGB) zwischen den rückständigen Gehaltsforderungen des Beklagten und dem Anspruch der Schuldnerin aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. nicht nach § 94 InsO geschützt ist, weil zu Lasten des Beklagten das Aufrechnungsverbot aus § 96 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO eingreift. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist die Aufrechnung insolvenzrechtlich unwirksam, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Dies setzt voraus, dass die Aufrechnungslage in einer von §§ 130 ff. InsO beschriebenen Weise anfechtbar erworben worden ist (BGH, Urt. v. 29.6.2004 - IX ZR 195/03, BGHZ 159, 388, 393; Urt. v. 14.6.2007 - IX ZR 56/06, ZIP 2007, 1507, 1508; Versäumnisurteil v. 15.11.2007 - IX ZR 212/06, ZIP 2008, 235 Rz. 9). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.

Rz. 13

a) Der Beklagte hat die Aufrechnungslage durch die (verbotenen) Zahlungen in der Krise der Schuldnerin herbeigeführt. Unter einer Rechtshandlung i.S.d. §§ 129 ff. InsO ist jedes von einem Willen getragene Handeln zu verstehen, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann (st.Rspr., s. nur BGH, Urt. v. 7.5.2013 - IX ZR 191/12, ZIP 2013, 1180 Rz. 6 m.w.N.). Darauf, ob die rechtliche Wirkung auf dem Willen des Handelnden beruht oder - wie hier - kraft Gesetzes eintritt, kommt es nicht an (BGH, Urt. v. 7.5.2013 - IX ZR 191/12, ZIP 2013, 1180 Rz. 6).

Rz. 14

b) Die (verbotenen) Zahlungen hatten eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger zur Folge, weil sie zu einem Anspruch der Schuldnerin gegen den Beklagten und damit zu der Möglichkeit der Aufrechnung führten, welche den Erstattungsanspruch aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. der Gesamtheit der Gläubiger entzog, während der Beklagte ohne die Aufrechnung nur eine Insolvenzforderung hätte geltend machen können.

Rz. 15

c) Die Herstellung der Aufrechnungslage durch den Beklagten führte zu einer inkongruenten Deckung (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Der Beklagte hatte gegen die Schuldnerin keinen Anspruch auf eine Begründung gegenseitiger Forderungen (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 29.6.2004 - IX ZR 195/03, BGHZ 159, 388, 393 f.).

Rz. 16

4. Wegen der bereits insolvenzrechtlichen Unwirksamkeit der Aufrechnung des Beklagten kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Frage, ob die Eigenart des Anspruchs aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. (= § 64 Abs. 1 GmbHG) die Aufrechnung ausschließt (bejahend: Wittkowski/Kruth in Nerlich/Römermann, InsO, 24. Erg.L. 2012, § 94 Rz. 25 und § 96 Rz. 5), nicht mehr an.

 

Fundstellen

Haufe-Index 6212019

BB 2014, 1

DB 2013, 2926

DB 2013, 8

DStR 2014, 13

DStR 2014, 704

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