Leitsatz (amtlich)

Die Einschränkung des § 7 b Abs. 1 Satz 3 EStG 1965 ist auch auf die Vorschrift des § 54 EStG 1965 anzuwenden.

 

Normenkette

EStG 1965 § 7 Abs. 4-5, § 7b Abs. 1 Sätze 2-3, Abs. 7, § 54

 

Tatbestand

Umstritten ist die Höhe der Absetzung für Abnutzung (AfA) nach § 54 EStG.

Aufgrund einer im Juni 1964 beantragten Baugenehmigung errichtete der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ein Zweifamilienhaus, das im Oktober 1965 bezugsfertig wurde und vom Kläger bewohnt wird. In seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 1966 nahm der Kläger wegen der 120 000 DM übersteigenden Herstellungskosten eine AfA von 3,5 v. H. gemäß § 54 Abs. 1 letzter Satz i. V. m. § 7 Abs. 5 EStG in Anspruch. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) hielt jedoch nur eine AfA von 2 v. H. gemäß § 7 Abs. 4 EStG für zulässig. Die Sprungklage hiergegen hatte Erfolg. Das FG hat seine Entscheidung wie folgt begründet: § 54 Abs. 1 EStG schließe die Anwendung des § 7 Abs. 5 EStG auf die 120 000 DM übersteigenden Herstellungskosten nicht aus. Der Ansicht des FG Münster im Urteil vom 17. Juli 1969 (EFG 1969, 487), daß bereits die Regelung im § 7 Abs. 5 Satz 2 EStG die Anwendung des erhöhten AfA-Satzes nach § 7 Abs. 5 EStG ausschließe, weil die erhöhte AfA von 3,5 v. H. nicht zu gewähren sei, wenn die Vergünstigung des § 7 b oder des § 54 EStG in Anspruch genommen werde, treffe nicht zu. § 7 Abs. 5 Satz 2 EStG diene der Erweiterung der Vergünstigung des § 7 Abs. 5 EStG, nicht aber deren Einengung.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA mit folgender Begründung: Das FG habe die Vorschrift des § 54 Abs. 1 EStG fehlerhaft ausgelegt. Die Erhöhung der AfA in § 54 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 EStG werde in § 54 Abs. 1 letzter Satz EStG bei den 120 000 DM übersteigenden Aufwendungen ausgeschlossen, so daß für sie nur der normale AfA-Satz des § 7 Abs. 4 EStG in Betracht komme. Dem entspreche auch die geschichtliche Entwicklung des Einkommensteuerrechts zur Gebäudeabschreibung. Seit 1953 sei die 7 b-Vergünstigung schrittweise abgebaut worden. Dementsprechend lasse § 7 b Abs. 1 letzter Satz EStG (1965) für die die in § 7 b Abs. 1 vorgesehene Höchstgrenze (150 000 DM bzw. 200 000 DM) überschreitenden Aufwendungen nur die lineare AfA nach § 7 Abs. 4 EStG, nicht aber die degressive AfA nach § 7 Abs. 5 EStG zu. Da nicht einzusehen sei, daß dem nach § 54 EStG Begünstigten neben einer AfA für den begünstigten Teil seiner Aufwendungen von 7,5 v. H. noch eine AfA für den nicht begünstigten Teil der Aufwendungen von 3,5 v. H. zustehen soll, während der nach § 7 b EStG Begünstigte neben einer AfA von nur 5 v. H. für den begünstigten Teil seiner Aufwendungen nur eine AfA von 2 v. H. für den nicht begünstigten Teil erhält, müsse angenommen werden, daß die in § 7 b Abs. 1 letzter Satz EStG vorgesehene Beschränkung der AfA in § 54 Abs. 1 letzter Satz EStG lediglich durch ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers vergessen worden ist. Andernfalls müßte ein Verstoß gegen Art. 3 GG gerügt werden.

Das FA beantragt, das Urteil des FG Baden-Württemberg aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der BdF ist dem Verfahren beigetreten und hat sich dem Antrag des FA mit folgender Begründung angeschlossen: Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 7 Abs. 5 EStG lasse erkennen, daß der Gesetzgeber die degressive AfA bei den Gebäuden habe ausschließen wollen, deren Herstellungskosten erhöht abgesetzt werden könnten. Der Deutsche Bundestag habe in seiner Entschließung vom 13. März 1963 die Bundesregierung ersucht, einen Entwurf vorzulegen, in dem die AfA der Gebäude unter Ablösung des § 7 b EStG neu geregelt werden sollte. Darin habe auch die degressive AfA zugelassen werden sollen. Der daraufhin verfaßte Entwurf der Bundesregierung habe jedoch keine degressive AfA vorgesehen. Im Laufe der parlamentarischen Erörterungen habe sich die Ansicht durchgesetzt, daß die umfassende Stadt- und Dorfsanierung die Zulassung einer degressiven AfA erfordere und auf die Vergünstigung des § 7 b EStG nicht völlig verzichtet werden könne. Die Entscheidung des BT, die Neuregelung der degressiven AfA solle auch für Gebäude gelten, die durch die Ablösung des alten § 7 b EStG betroffen worden seien, habe zu der Regelung geführt, daß die degressive AfA für Gebäude und Eigentumswohnungen schon für die Jahre anzuwenden sei, die nach dem 9. Oktober 1962 endeten, wenn der Antrag auf Baugenehmigung nach dem 9. Oktober 1962 gestellt worden sei und sie zu mehr als 66 2/3 v. H. Wohnzwecken dienten. In den bis zum Neuregelungsgesetz geltenden Fassungen des § 7 b EStG habe es keines Hinweises darauf bedurft, welche AfA für die die begünstigten Herstellungskosten übersteigenden Aufwendungen anzuwenden sei, weil es noch keine degressive AfA gegeben habe. Erst bei der Neuregelung des § 7 b EStG habe es der Gesetzgeber wegen der Einführung der degressiven Gebäude-AfA nach § 7 Abs. 5 EStG für erforderlich gehalten, in § 7 b Abs. 1 Satz 3 EStG darauf hinzuweisen, daß die übersteigenden Aufwendungen nur linear abgesetzt werden könnten. Er habe offensichtlich nicht die Absicht gehabt, für die Herstellungskosten der von § 54 EStG erfaßten Gebäude großzügigere Absetzungen zuzulassen als für die unter § 7 b EStG i. d. F. des Neuregelungsgesetzes fallenden Wohngebäude. Diese Zielsetzung lasse sich auch dem Wortlaut des § 7 Abs. 5 EStG entnehmen. Denn er habe durch § 7 Abs. 5 Satz 2 EStG bei Gebäuden und Eigentumswohnungen, für die erhöhte AfA nach § 7 b oder § 54 EStG zulässig sind, ausdrücklich die Anwendung des § 7 Abs. 5 EStG ausgeschlossen.

Damit habe der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht, daß auch bei Gebäuden und Eigentumswohnungen, bei denen der Antrag auf Baugenehmigung vor dem 1. Januar 1965 gestellt worden ist, die gleichzeitige Gewährung von erhöhten Absetzungen nach § 7 b oder § 54 EStG und degressiver AfA nicht zulässig sein solle. § 7 Abs. 5 Satz 2 EStG erweitere demnach den Anwendungsbereich der degressiven AfA auf Gebäude und Eigentumswohnungen nicht, die nach § 7 b oder § 54 EStG abschreibungsbegünstigt seien. Die Vorschrift wolle vielmehr lediglich sicherstellen, daß die Gebäude, die wegen der Suspendierung des alten § 7 b EStG nicht mehr erhöht abgeschrieben werden könnten, noch nachträglich den Vorteil der degressiven AfA erhielten.

Auf die Revision des FA wird das Urteil des FG vom 15. Februar 1971 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Senat tritt der Ansicht des BdF und des FA bei, daß die degressive AfA bei Gebäuden, deren AfA nach § 7 b bzw. § 54 EStG ermittelt wird, auf diejenigen Aufwendungen nicht angewandt werden kann, die das nach § 7 b bzw. § 54 EStG zulässige Maß übersteigen.

Eine ausdrückliche Regelung, nach welcher Vorschrift die AfA der das zulässige Maß übersteigenden Kosten zu bemessen ist, hat der Gesetzgeber allerdings nur in § 7 b Abs. 1 Satz 3 EStG i. d. F. des Gesetzes zur Neuregelung der Absetzungen für Abnutzung bei Gebäuden vom 16. Juni 1964 - Neuregelungsgesetz - (BGBl I 1964, 353, BStBl I 1964, 384) getroffen. Sie gilt für alle Gebäude, bei denen der Antrag auf Baugenehmigung nach dem 31. Dezember 1964 gestellt worden ist. Soweit jedoch die erhöhte AfA des § 7 b EStG in der bisherigen Fassung bei Gebäuden, für die der Antrag auf Baugenehmigung vor dem 10. Oktober 1962 (§ 7 b Abs. 7 EStG i. d. F. des Neuregelungsgesetzes) oder für die der Antrag nach dem 9. Oktober 1962 aber vor dem 1. Januar 1965 gestellt wurde (§ 54 EStG i. d. F. des Neuregelungsgesetzes) zugelassen ist, fehlt eine gleichartige Regelung. In § 7 b Abs. 7 EStG i. d. F. des Neuregelungsgesetzes wird zwar wegen der Regelung der AfA des Restwerts auf § 7 b Abs. 1 Satz 2 des gleichen Gesetzes Bezug genommen, nicht aber auf § 7 b Abs. 1 Satz 3, wo die AfA auf die das nach § 7 b EStG zulässige Maß übersteigenden Baukosten geregelt ist. In gleicher Weise fehlt eine dem § 7 b Abs. 1 Satz 3 EStG entsprechende Regelung in § 54 EStG, was sowohl das FA als auch der BdF einräumen. Es ergibt sich also bei einer streng dem Wortlaut des Gesetzes folgenden Auslegung, daß für alle Gebäude, die nach dem 31. Dezember 1964 errichtet worden sind, für die aber ein Bauantrag vor diesem Zeitpunkt gestellt wurde, sowohl die Vergünstigung des § 7 b EStG, als auch - jedenfalls für einen Teil der Herstellungskosten - die Vergünstigung der degressiven AfA des § 7 Abs. 5 EStG zulässig wäre, während für alle Gebäude, bei denen der Antrag auf Baugenehmigung nach dem 31. Dezember 1964 gestellt wurde, der ausdrücklichen Regelung in § 7 b Abs. 1 Satz 3 EStG zufolge nur noch die Vergünstigung des § 7 b zulässig ist. In diesem Ergebnis ist der wahre Wille des Gesetzgebers nicht zum Ausdruck gelangt. Dagegen spricht schon daß die Vergünstigung nach § 7 b EStG i. d. F. vor dem Neuregelungsgesetz oder in § 54 EStG weitreichender war als nach § 7 b EStG i. d. F. des Neuregelungsgesetzes. Vollends unverständlich aber wird das Ergebnis der Auslegung streng nach dem Wortlaut, wenn Sinn und Zweck der Vergünstigung in § 7 b bzw. § 54 EStG bedacht werden. Mit der Vergünstigung sollte der Wohnungsbau gefördert werden, d. h. die Steuerpflichtigen sollten angeregt werden, Wohnungen zu bauen. In diesem Zusammenhang wäre eine Verstärkung der Vergünstigung durch Gewährung der weiteren Vergünstigung der degressiven AfA auf die von der Vergünstigung des § 7 b bzw. § 54 EStG ausgeschlossenen Baukosten nur sinnvoll, wenn hierdurch der Anreiz, aus welchen Gründen auch immer, verstärkt werden sollte. Dies aber war - jedenfalls im Normalfall - unmöglich, weil die Bauherren in den durch § 7 b Abs. 7 EStG und durch § 54 EStG i. d. F. des Neuregelungsgesetzes geregelten Fällen ihren Entschluß, zu bauen, durch Stellung des Antrags auf Baugenehmigung längst gefaßt hatten, so daß ein besonderer Anreiz nicht mehr ausgeübt werden konnte. Zudem hat der BdF zutreffend darauf hingewiesen, daß durch die Regelung in § 7 Abs. 5 Satz 2 EStG i. d. F. des Neuregelungsgesetzes eindeutig zu erkennen gegeben worden ist, daß die Vergünstigung der degressiven AfA und die Vergünstigung des § 7 b bzw. § 54 EStG einander ausschließen sollen, wobei dem FG zugegeben werden muß, daß diese Vorschrift zur Beantwortung der Frage, welche AfA auf die durch § 7 b bzw. § 54 EStG nicht begünstigten Baukosten zu gewähren ist, direkt nicht anwendbar ist.

Aufgrund dieser Erwägungen gelangt der Senat zu der Auffassung, daß das Fehlen einer der Bestimmung des § 7 b Abs. 1 Satz 3 EStG i. d. F. des Neuregelungsgesetzes entsprechenden Regelung in § 7 b Abs. 7 des gleichen Gesetzes und in § 54 EStG i. d. F. des Neuregelungsgesetzes auf ein Versehen bei der Abfassung des Gesetzestextes zurückzuführen ist. Die Ausfüllung der durch diesen Fehler entstandenen Lücke im Gesetz durch das Gericht ist zulässig (vgl. Beschluß des BVerfG vom 31. Mai 1960 2 BvL 4/49, BVerfGE 11, 140 [149]). Sie ist auszufüllen, indem die Bestimmung des § 7 b Abs. 1 Satz 3 EStG i. d. F. des Neuregelungsgesetzes auch auf § 54 EStG angewandt wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72002

BStBl II 1976, 779

BFHE 1977, 39

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