Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsirrtümlich an die gesetzliche Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung geleistete und dem Arbeitgeber rückerstattete Arbeitgeberanteile kein Arbeitslohn

 

Leitsatz (amtlich)

"Arbeitgeberanteile", die in der rechtsirrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht an die gesetzliche Renten- und Arbeitslosenversicherung geleistet und dem Arbeitgeber später erstattet werden, begründen für den Arbeitnehmer keinen Vorteil und sind kein Arbeitslohn.

 

Normenkette

EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war von Mai 1981 bis Dezember des Streitjahres 1983 Gesellschafterin und Geschäftsführerin der O-GmbH (im folgenden: GmbH). Zwischen der GmbH und der Klägerin bestand ein Arbeitsverhältnis, in dessen Rahmen die GmbH in der Annahme, die Klägerin sei sozialversicherungspflichtig, auch die Arbeitgeberanteile zu den gesetzlichen Sozialversicherungen (Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung) abführte. Im Anschluß an eine Lohnsteuer- Außenprüfung wurde zwischen der Klägerin, der GmbH, der zuständigen Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) und dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) Einvernehmen darüber erzielt, daß die Klägerin wegen ihrer Eigenschaft als beherrschende Gesellschafterin der GmbH tatsächlich nicht versicherungspflichtig war. Die AOK erstattete der GmbH auf deren Antrag im Jahre 1986 die von ihr rechtsirrtümlich an die gesetzliche Renten- und Arbeitslosenversicherung entrichteten Arbeitgeberbeiträge.

Das FA erließ gegenüber der Klägerin einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1983, in dem es die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung als steuerpflichtigen Arbeitslohn erfaßte. Der Einspruch hatte insoweit Erfolg, als die als Arbeitslohn erfaßten Beiträge der GmbH bei den Sonderausgaben berücksichtigt wurden.

Mit der Klage begehrte die Klägerin, die Arbeitgeberbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung nicht als Arbeitslohn zu behandeln. Mit der Erfassung der Beiträge zur Krankenversicherung erklärte sie sich einverstanden, weil nach Mitteilung der zuständigen AOK eine rückwirkende Aufhebung der Beitragspflicht nach §§ 44, 45 des Sozialgesetzbuches (SGB) X nicht möglich sei.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab und führte aus: Die Arbeitgeberanteile seien als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu erfassen. Der Zufluß (§ 11 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) beim Arbeitnehmer sei im Sozialversicherungsrecht in dem Zeitpunkt erfolgt, in dem auf dem Beitragskonto des Arbeitnehmers die Gutschrift vorgenommen werde, sei es in Form eines Krankenversicherungsschutzes, sei es in Form der Gutschrift von Rentenanwartschaften bei der gesetzlichen Rentenversicherung oder auf dem Konto des Arbeitnehmers bei der Arbeitslosenversicherung. In all diesen Fällen trete der mit der Leistung erzielte wirtschaftliche Erfolg beim Arbeitnehmer unmittelbar ein. Der im Streitjahr eingetretene Zufluß könne nicht rückwirkend beseitigt werden. Die spätere Rückabwicklung wirke sich nach § 11 EStG erst in dem Zeitpunkt aus, in dem der wirtschaftliche Vorteil bei der Klägerin wegfalle, also die Rentenanwartschaft aufgehoben und die Arbeitslosenversicherung beseitigt werde.

Die Klägerin rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts und trägt vor: Eine gesetzliche Grundlage dafür, die Beiträge, die zunächst auch nach Ansicht des Sozialversicherungsträgers Pflichtbeiträge gewesen seien, rückwirkend als steuerpflichtigen Arbeitslohn anzusehen, fehle. § 3 Nr.62 EStG unterscheide nur zwischen gesetzlichen und freiwilligen Beiträgen. Beides liege im Streitfall nicht vor. Die Zahlungen könnten entgegen der Handhabung des FA nicht als freiwillige Beiträge angesehen werden. Im Bereich der Arbeitslosenversicherung gebe es gar keine Möglichkeit der freiwilligen Versicherung. Der vom FG konstruierte wirtschaftliche Vorteil basiere auf unhaltbaren Hypothesen. Die Arbeitgeberzahlungen seien zu keinem Zeitpunkt in den Einflußbereich der Klägerin gelangt. Damit verstoße das Urteil gegen das geltende Einkommensteuerrecht.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Änderung des zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Einkommensteuerbescheides (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Die in der rechtsirrtümlichen Annahme, die Klägerin sei versicherungspflichtig, als Arbeitgeberanteile zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung geleisteten Zahlungen der GmbH haben entgegen der Ansicht des FG für die Klägerin zu keinem Vorteil i.S. des § 19 Abs.1 Nr.1 EStG geführt. Wie das FG festgestellt hat, sind der GmbH die entrichteten Arbeitgeberanteile erstattet worden. Diese tatsächliche Feststellung ist für das Revisionsverfahren bindend, da zulässige und begründete Rügen dagegen nicht erhoben worden sind (vgl. § 118 Abs.2 FGO).

Nach dem gemäß § 1 Abs.1 SGB IV unter anderem auch für die Rentenversicherung geltenden § 26 Abs.1 SGB IV in seiner für das Streitjahr 1983 gültigen Fassung (entspricht Abs.2 Satz 1 der jetzigen Fassung) sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, daß der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs aufgrund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat. Diese Vorschrift ist Ausdruck des versicherungsrechtlichen Prinzips der wechselseitigen Abhängigkeit von Beiträgen und Versicherungsleistungen, das bedingt, daß eine Erstattung entfallen muß, wenn und soweit aufgrund der zu Unrecht gezahlten Beiträge Leistungen gewährt worden oder zu gewähren sind (vgl. Krause/ v. Maydell/Merten/Meydam, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch, Gemeinsame Vorschriften für Sozialversicherung -GK-SGB IV-, § 26, Rz.18, 20). Der Umstand, daß der GmbH als der gemäß § 26 Abs.2 SGB IV Erstattungsberechtigten die Arbeitgeberanteile zurückgezahlt worden sind, läßt unter Berücksichtigung der in § 26 Abs.1 SGB IV getroffenen Regelung den Rückschluß zu, daß ungeachtet evtl. Gutschriften auf dem Beitragskonto unentziehbare Ansprüche der Klägerin gegenüber der Rentenversicherung aufgrund der rechtsirrtümlich entrichteten Arbeitgeberanteile nicht begründet worden waren. Waren aber keine unentziehbaren Ansprüche der Klägerin gegenüber der Rentenversicherung entstanden, so hatte sie wegen der an die GmbH erstatteten Arbeitgeberanteile auch keinen Vorteil i.S. des § 19 Abs.1 Nr.1 EStG erlangt.

Entsprechendes gilt für die Arbeitgeberanteile zur Arbeitslosenversicherung. Hier bestand hinsichtlich der irrtümlich gezahlten Beiträge gemäß § 186 Abs.1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) in der für das Streitjahr geltenden Fassung (entspricht § 185a Abs.1 Satz 1 der jetzigen Fassung) ein Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht entrichteten Beiträge. Berechtigter des Erstattungsanspruchs ist wegen der Verweisung in § 186 Abs.1 Satz 2 AFG auf § 26 Abs.2 SGB IV ebenso wie bei der Rentenversicherung, wer den Beitrag getragen hat. Der Arbeitgeber hat insoweit einen selbständigen Anspruch auf Erstattung seiner Beitragsanteile, den er unabhängig vom Arbeitnehmer geltend machen kann (vgl. Zweng/Scheerer/Buschmann, Handbuch der Rentenversicherung, SGB IV § 26 Anm.III). Jedenfalls solange, wie für den Arbeitgeber die Möglichkeit besteht, unter Hinweis auf die fehlenden Voraussetzungen des § 168 AFG die Erstattung seines zu Unrecht geleisteten Arbeitgeberanteils zu verlangen, kann nicht von einem Vorteil des Arbeitnehmers in Form von Ansprüchen gegenüber der Arbeitslosenversicherung ausgegangen werden.

Soweit sich nach § 186 Abs.1 Satz 3 AFG der Erstattungsbetrag um die Leistung mindert, die in der irrtümlichen Annahme der Beitragspflicht gezahlt worden ist, läßt die vom FG festgestellte uneingeschränkte Rückzahlung der Beiträge den Schluß zu, daß der Versicherungsträger keine Leistungen gegenüber der Klägerin erbracht hat. Deshalb braucht im Streitfall auch nicht entschieden zu werden, ob und ggf. wann tatsächlich erbrachte Versicherungsleistungen, soweit sie den Erstattungsanspruch mindern, die Annahme des Zuflusses von Arbeitslohn rechtfertigen können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64290

BFH/NV 1992, 51

BStBl II 1992, 663

BFHE 167, 414

BFHE 1992, 414

BB 1992, 1272 (L)

DB 1992, 2011 (L)

DStR 1992, 1014 (KT)

DStZ 1992, 492 (KT)

HFR 1992, 467 (LT)

StE 1992, 369 (K)

WPg 1992, 576 (ST)

StRK, R.64 (LT)

Information StW 1992, 452 (T)

NWB 1993, 3000

BR/Meuer, 27-03-92, VI R 35/89 (ST)

DOK 1993, 712 (K)

USK, 9224 (LT)

WiR 1992, Nr 9, VI (L)

WzS 1993, 92 (L)

SVFAng, Nr 78 17 (1993) (KT)

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