Entscheidungsstichwort (Thema)

(Keine Billigkeitsmaßnahme nach Versäumung der Ausschlußfrist für den Antrag auf Feststellung des höheren Teilwerts nach § 55 Abs.5 EStG und Ablaufs der Jahresfrist für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Zweck des § 163 AO 1977)

 

Leitsatz (amtlich)

Versäumt ein Land- und Forstwirt es, rechtzeitig vor Ablauf der Ausschlußfrist die Feststellung des höheren Teilwerts nach § 55 Abs.5 EStG zu beantragen, und ist auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Ablaufs der Jahresfrist nicht mehr möglich, kann er aus Billigkeitsgründen nicht so gestellt werden, als hätte das FA den höheren Teilwert festgestellt.

 

Orientierungssatz

1. Zweck des § 163 AO 1977 ist es, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrages insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung unbillig erscheinen lassen. Persönliche Gründe sind insoweit nur die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen. Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Einzelfall derart zuwiderläuft, daß die Steuererhebung als unbillig erscheint, d.h., daß nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, daß der Gesetzgeber die zu entscheidende Frage im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme geregelt hätte, wenn er sie geregelt hätte (vgl. BVerfG-Rechtsprechung und BFH-Rechtsprechung).

2. Ausführungen zu Sinn und Zweck des § 55 Abs.5 EStG, insbesondere zu den Motiven des Gesetzgebers.

 

Normenkette

AO 1977 § 110 Abs. 3, § 163; EStG § 55 Abs. 5

 

Tatbestand

Die Klägerinnen und Revisionsbeklagten zu 1. und 2. sowie der verstorbene Vater der Kläger und Revisionsbeklagten zu 3. (Kläger) waren in Erbengemeinschaft Eigentümer von mehreren zusammenhängenden Grundstücken mit einer Gesamtfläche von 3,1889 ha.

Mit notariellem Vertrag von 28. September 1978 veräußerten die Miterben die Grundstücke zum Preise von 956 670 DM. Nach den Angaben im Kaufvertrag waren die Parzellen als Wald, Holzungen, in geringem Umfang als Garten und teils als nicht genutzt (Unland) im Grundbuch eingetragen. Im Einheitswertbescheid auf den 1. Januar 1974 war die Gesamtfläche als land- und forstwirtschaftlicher Betrieb (Stückländerei) bewertet und zu 2,94 ha als Forstwirtschaft, im übrigen als Landwirtschaft und Unland erfaßt worden. Der forstwirtschaftliche Sachverständige der Oberfinanzdirektion (OFD) stufte die strittigen Waldgrundstücke als aussetzenden Forstbetrieb ein. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) stellte unter Berücksichtigung des Buchwerts sowie geschätzter Veräußerungskosten einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 892 875 DM gesondert und einheitlich fest. Im Einspruchsverfahren ermäßigte das FA den Gewinn um 68 040 DM, im übrigen hatte der Einspruch keinen Erfolg.

Die Klage, mit der die Kläger geltend gemacht hatten, es handele sich bei dem streitbefangenen Areal nicht um einen forstwirtschaftlichen Betrieb, hatte zunächst Erfolg. Der erkennende Senat hob das erstinstanzliche Urteil durch Urteil vom 13. April 1987 IV R 30/87 (BFHE 157, 98, BStBl II 1989, 718) auf und verwies die Sache wieder an das Finanzgericht (FG) zurück. Er gab diesem auf, die zur Höhe des erzielten Veräußerungsgewinns erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nachzuholen.

Im Verfahren des zweiten Rechtsgangs (13 K 3587/89) meinten die Kläger, nur der Aufwuchs, nicht aber der Wert des Grund und Bodens sei in den Veräußerungsgewinn einzubeziehen. Demgegenüber vertrat das FA die Auffassung, dem Teilwert des Grund und Bodens (847 907 DM) sei als Anschaffungskosten das Zweifache des nach § 55 Abs.2 bis 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu ermittelnden Ausgangsbetrags gegenüberzustellen, mithin 2 DM pro qm. Dieses Verfahren ruht.

Nach einem Erörterungstermin vor dem Berichterstatter beantragten die Kläger beim FA, den Gewinn aus der Veräußerung des Forstbetriebes aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) dergestalt festzustellen, daß der Grund und Boden nicht mit dem Ausgangsbetrag nach § 55 Abs.1 EStG, sondern mit dem Teilwert nach § 55 Abs.5 EStG bewertet werde. Dieser betrage 15 DM/qm. Zwar sei bis 31. Dezember 1975 kein Antrag auf gesonderte Feststellung des Teilwerts gestellt worden. Das sei aber allein darauf zurückzuführen, daß sie von der Existenz eines Forstbetriebes keine Kenntnis gehabt hätten. Wären sie sich dessen bewußt gewesen, hätten sie rechtzeitig einen Antrag nach § 55 Abs.5 EStG gestellt.

Das FA lehnte die begehrte Billigkeitsmaßnahme mit Bescheid vom 31. Oktober 1991 ab. Die Beschwerde blieb erfolglos.

Mit der Klage verfolgten die Kläger ihre Begehren weiter.

Das FG gab der erhobenen Verpflichtungsklage statt. Im Streitfall habe das FA dem Billigkeitsantrag der Kläger stattgeben müssen, weil sein Ermessen auf Null reduziert gewesen sei. Unstreitig hätten die Kläger bzw. ihre Rechtsvorgänger einen Antrag nicht innerhalb der Antragsfrist gestellt. Unstreitig sei auch, daß der Teilwert zum Stichtag (1. Juli 1970) 15 DM/qm betragen habe. Entgegen der vom FA vertretenen Auffassung sei eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO 1977 nicht schlechterdings ausgeschlossen, wenn auch auf seltene Ausnahmefälle beschränkt, damit die vom Gesetzgeber bewußt gesetzte Ausschlußfrist nicht ausgehöhlt werde.

Im Streitfall sei für die Versäumung der Ausschlußfrist und einer etwaigen Wiedereinsetzungsfrist nicht die mangelnde Kenntnis der Kläger über die Rechtslage, sondern das unverschuldet fehlende Bewußtsein ursächlich gewesen, überhaupt einen forstwirtschaftlichen Betrieb zu besitzen. Weder der Erblasser noch die Kläger hätten jemals forstwirtschaftliche Aktivitäten entfaltet. Auch das erstinstanzliche Urteil im Verfahren 7 K 148/82 habe die Auffassung der Kläger bestätigt, keinen forstwirtschaftlichen Betrieb zu haben. Ihnen könne daher anders als im Fall des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. Dezember 1986 IV R 77/84 (BFH/NV 1987, 768) nicht fehlendes Problembewußtsein vorgehalten werden.

Die unverschuldete Unkenntnis über die Einordnung ihres Waldgrundstückes als forstwirtschaftlicher Betrieb biete den Anknüpfungspunkt für eine sachliche Billigkeitsmaßnahme. Die äußerlich dem Gesetz entsprechende Steuer laufe den mit § 55 Abs.5 EStG verfolgten Zielen des Gesetzgebers derart zuwider, daß die sich aus der Feststellung des Veräußerungsgewinns ergebenden Auswirkungen in dem Umfang als unbillig erscheinen, in dem sie Ausfluß der unterlassenen Beantragung des höheren Teilwerts sind.

Mit der vom FG --wegen grundsätzlicher Bedeutung-- zugelassenen Revision rügt das FA die unzutreffende Anwendung des § 163 AO 1977 durch das FG.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet; auf die Revision des FA wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, die fehlende Kenntnis von der Existenz des Forstbetriebes führe im Streitfall zu einer Ermessensreduzierung auf Null.

1. Gemäß § 163 AO 1977 können Steuern niedriger festgesetzt werden, und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Denn der Zweck des § 163 AO 1977 liegt darin, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrages insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (BFH-Urteil vom 4. Juli 1972 VII R 103/69, BFHE 106, 268, BStBl II 1972, 806).

2. Die Unbilligkeit einer Steuerfestsetzung kann sich aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen ergeben. Als persönliche Billigkeitsgründe werden in diesem Zusammenhang nur die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen angesehen (Senatsurteil vom 29. April 1981 IV R 23/78, BFHE 133, 489, BStBl II 1981, 726). Der Antrag der Kläger war indes auf Billigkeitsmaßnahmen aus sachlichen Gründen gerichtet, obwohl er auf persönliche Umstände, nämlich ihre Unkenntnis über das Bestehen ihres Forstbetriebes gestützt war (vgl. Senatsurteil vom 11. Dezember 1986 IV R 77/84, BFH/NV 1987, 768).

Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Falle derart zuwiderläuft, daß die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint (BFH-Urteile vom 26. Oktober 1972 I R 125/70, BFHE 108, 146, BStBl II 1973, 271; vom 15. Februar 1973 V R 152/69, BFHE 108, 571, BStBl II 1973, 466, und vom 21. Januar 1992 VIII R 51/88, BFHE 168, 500, BStBl II 1993, 3 sowie Senatsurteil in BFH/NV 1987, 768). Sachliche Gründe sind danach gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, daß der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt, im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 5. April 1978 1 BvR 117/73, BStBl II 1978, 441).

3. a) Nach der Ansicht des FG war das FA im Streitfall verpflichtet, aus Billigkeitsgründen die Kläger bei der Festsetzung des Veräußerungsgewinns so zu stellen, als hätten sie die Feststellung des höheren Teilwerts gemäß § 55 Abs.5 EStG rechtzeitig beantragt und als habe das FA den höheren Teilwert mit 15 DM/qm festgestellt.

b) Dieser Auffassung vermag der erkennende Senat nicht beizupflichten.

Im Streitfall haben die Finanzbehörden zutreffend entschieden, daß die beantragte Billigkeitsmaßnahme den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderlaufen würde. Nach § 55 Abs.5 Satz 2 EStG mußte der Antrag auf Feststellung des höheren Teilwerts bis zum 31. Dezember 1975 bei dem FA gestellt werden, das für die Ermittlung des Gewinns aus dem unterhaltenen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zuständig ist. Bei dieser Frist handelt es sich um eine Ausschlußfrist (BFH-Urteile vom 11. Oktober 1979 IV R 65/78, BFHE 129, 34, BStBl II 1980, 63, und vom 8. Dezember 1983 IV R 170/81, BFHE 139, 553, BStBl II 1984, 200). Versäumt der Steuerpflichtige --wie im Streitfall die Kläger-- diese Frist, so kann Nachsicht oder die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommen (§ 86 der Reichsabgabenordnung --AO--; § 110 AO 1977). Doch ist der Berücksichtigung verspäteter Anträge nach dem Willen des Gesetzgebers eine zeitliche Grenze gesetzt. Denn mit Ablauf eines Jahres seit dem Ende der versäumten Frist ist die Gewährung von Nachsicht oder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand --ausgenommen infolge höherer Gewalt-- nicht mehr zulässig (§ 110 Abs.3 AO 1977; vgl. § 86 Abs.3 AO). Da unzweifelhaft hier die Kläger an der möglichen Antragstellung nicht durch höhere Gewalt verhindert waren, ist die begehrte Teilwertfeststellung nicht mehr zulässig. Wie die eindeutige gesetzliche Regelung, aus welchen Gründen und wie lange die Versäumung der Ausschlußfrist unschädlich sein kann, zeigt, hat der Gesetzgeber klar zu erkennen gegeben, daß grundsätzlich auch aus Billigkeitsgründen nach Ablauf der Jahresfrist eine versäumte Antragstellung nicht nachgeholt werden kann.

Mit § 55 Abs.5 EStG hat der Gesetzgeber bewußt eine Norm geschaffen, die den Steuerpflichtigen begünstigt, ihm aber auch das Risiko aufbürdet, wenn ein Antrag nicht oder nicht rechtzeitig gestellt worden ist (vgl. Senatsbeschluß vom 23. August 1984 IV B 8/82, nicht veröffentlicht --NV--). Es war nicht Aufgabe der Finanzbehörden dafür zu sorgen, daß alle Steuerpflichtigen aus der Regelung des § 55 Abs.5 EStG Vorteile ziehen konnten.

c) Kann demgemäß ein von den Klägern zu stellender Antrag auf Feststellung des Teilwerts nicht aus Billigkeitsgründen als rechtzeitig gestellt angesehen werden, kann dieser Wert auch bei der Berechnung des Veräußerungsgewinns nicht berücksichtigt werden. Damit würde nicht nur die Fristenregelung des § 55 Abs.5 EStG, sondern auch das dort vorgesehene gesonderte Feststellungsverfahren unterlaufen. Ein höherer Teilwert kommt danach entsprechend §§ 179, 182 AO 1977 nur zur Geltung, wenn er gesondert festgestellt wurde. Liegt eine solche Feststellung nicht vor, bewendet es bei den Pauschalwerten des § 55 Abs.2 EStG.

d) Das FG hat bei seiner Entscheidung auch den Sinn der Ausschlußfrist des § 55 Abs.5 Satz 2 EStG nicht berücksichtigt. Der zu ermittelnde Teilwert betraf die Verhältnisse vom 30. Juni 1970. Es diente der Rechtssicherheit und zugleich der möglichst zutreffenden Ermittlung des Teilwerts, daß der Gesetzgeber die Ausschlußfrist möglichst zeitnah zu dem Stichtag festlegte. Das wird durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt. In der BTDrucks VI/1901 (Begründung zu Art.1) heißt es dazu: "Aus Gründen der Rechtssicherheit und um eine möglichst zutreffende Ermittlung des Teilwerts am 1. Juli 1970 sicherzustellen, soll für die Antragstellung eine Ausschlußfrist (31. Dez. 1973) bestimmt werden." Im Interesse der Steuerpflichtigen ist der ursprünglich für den 31. Dezember 1973 vorgesehene Schlußtermin dann auf den 31. Dezember 1975 hinausgeschoben worden. Sinn der Ausschlußfrist war daher nicht nur für die bekannten und vom FA auch erfaßten bekannten land- und forstwirtschaftlichen Betriebe endgültige Klarheit zu schaffen. Vielmehr sollte möglichst zeitnah und abschließend geklärt werden, und zwar für alle Land- und Forstwirte, deren Gewinn nicht nach § 5 EStG zu ermitteln war, von welchen Anschaffungs- oder Herstellungskosten für den Grund und Boden auszugehen ist. Zu diesem Zweck war die Bewertung mit dem Zweifachen des Ausgangsbetrages gesetzlich zwingend vorgegeben (§ 55 Abs.1 EStG), es sei denn, der Steuerpflichtige beantragte rechtzeitig nach § 55 Abs.5 EStG die Feststellung des höheren Teilwerts.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65187

BFH/NV 1994, 69

BStBl II 1994, 833

BFHE 174, 482

BFHE 1995, 482

BB 1994, 1848

BB 1994, 1848-1849 (LT)

DB 1994, 1962 (L)

DStZ 1994, 699 (KT)

HFR 1994, 704-705 (LT)

StE 1994, 541 (K)

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