Leitsatz (amtlich)

Schuldzinsen für einen Kredit zur Anschaffung festverzinslicher Wertpapiere sind in vollem Umfang Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, wenn auf Dauer gesehen ein Überschuß der Einnahmen über die Ausgaben erwartet werden kann.

 

Normenkette

EStG 1974 § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 4

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammenveranlagte Eheleute.

Der Kläger erwarb im November 1974 festverzinsliche Wertpapiere im Nominalwert von 1 000 000 DM. Die Zinsen waren jeweils zum 1. April fällig. Der Kaufpreis betrug 940 000 DM zuzüglich 39 333 DM für noch nicht fällige Stückzinsen. Zur Finanzierung des Kaufpreises nahm der Kläger einen Bankkredit auf. Die Bank belastete sein Kreditkonto vorschußweise für 60 Tage mit Schuldzinsen von 17 954 DM. Der Kläger deckte den Kredit am 2. Januar 1975 in Höhe von 200 000 DM und am 23. Januar 1975 in Höhe des Restbetrags aus Eigenmitteln ab. Daraufhin erstattete die Bank Schuldzinsen in Höhe von 2 701 DM. Am 21. Mai 1975 veräußerte der Kläger die Wertpapiere mit Gewinn. Im Jahre 1975 flossen dem Kläger Erträge von 29 167 DM zu.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte es bei der Einkommensteuerveranlagung 1974 ab, die vom Kläger geltend gemachten Schuldzinsen von 15 253 DM (17 954 DM abzüglich 2 701 DM) als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen, weil dem Kläger 1974 noch keine Erträge aus den Wertpapieren zugeflossen seien.

Nach erfolglosem Einspruch trug der Kläger im Klageverfahren vor: Er habe die festverzinslichen Wertpapiere gekauft, um die Erlöse aus der Veräußerung seines Unternehmens langfristig anzulegen. Aufgrund einer Empfehlung seiner Bank habe er sich im Mai 1975 entgegen seinem ursprünglichen Vorhaben entschlossen, statt der bisher gehaltenen Papiere ihm angebotene Schuldscheine in gleicher Höhe zu erwerben. Diese im Mai 1975 aufgenommenen Schuldscheine würden noch gehalten. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage in seiner in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1979 S. 89 (EFG 1979, 89) veröffentlichten Entscheidung statt.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 und § 20 des Einkommensteuergesetzes 1974 - EStG -). Es führt aus: Das FG habe verkannt, daß Aufwendungen nur dann als vorweggenommene Werbungskosten anzuerkennen seien, wenn sie mit einer bestimmten Einkunftsart in Verbindung stünden. Das sei hier jedoch nicht der Fall. Denn der Kläger habe mit den angeschafften Wertpapieren sowohl Einkünfte aus Kapitalvermögen als auch einen steuerfreien Veräußerungsgewinn im Sinne von § 23 Abs. 2 EStG erzielt. Die Vorentscheidung stehe auch im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung, nach der wegen der doppelten wirtschaftlichen Zweckbestimmung des Wertpapierkaufs Schuldzinsen grundsätzlich nur insoweit als Werbungskosten anzuerkennen seien, als ihnen Erträge gegenüberstünden (z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. November 1974 VIII R 266/72, BFHE 114, 229, BStBl II 1975, 331).

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Der Bundesminister der Finanzen (BdF) ist dem Verfahren beigetreten. Er meint, wenn festverzinsliche Wertpapiere im Privatvermögen mit Kredit erworben würden, so seien die Schuldzinsen für den Kredit bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nur bis zur Höhe der Einnahmen als Werbungskosten abziehbar.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Die Schuldzinsen für den zum Erwerb der festverzinslichen Wertpapiere aufgenommenen Kredit sind Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (§§ 9, 20 EStG).

1.-4. [Die hier nicht wiedergegebenen Rechtsausführungen der Entscheidung entsprechen der Begründung des auch insoweit veröffentlichten Urteils vom 21. Juli 1981 VIII R 154/76 unter 1.-4. (BFHE 134, 113, BStBl II 1982, 37).]

5. Die Vorentscheidung steht mit diesen Grundsätzen im Einklang.

Das FG ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu der Feststellung gelangt, daß im Streitfall der für die Annahme vorweggenommener Werbungskosten erforderliche Zusammenhang mit späteren Einnahmen gegeben war. Es konnte diese Annahme darauf stützen, daß beim Erwerb festverzinslicher Papiere von vornherein mit dem Zufluß fortlaufender, gleichmäßiger und in der Regel sicherer Erträge zu rechnen ist, so daß ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen diesen und den Schuldzinsen für den zum Erwerb der Papiere aufgenommenen Kredit im allgemeinen schon im Veranlagungszeitraum des Erwerbs ohne weiteres erkennbar ist.

Der Zusammenhang mit einer bestimmten Einkunftsart könnte zwar fraglich sein, wenn für die Aufnahme des Kredits in erster Linie die Erzielung von nicht steuerpflichtigen Kursgewinnen maßgebend gewesen sein sollte. Das FG hat jedoch ohne Verstoß gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze festgestellt, daß dieser Beweggrund, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Es entspricht den wirtschaftlichen Gegebenheiten, wenn das FG sich dabei von der Erwägung hat beeinflussen lassen, daß festverzinsliche Wertpapiere wegen der geringeren Kursschwankungen nicht in erster Linie zur alsbaldigen Wiederveräußerung zwecks Realisierung von Kursgewinnen, sondern zur nachhaltigen Erzielung laufender, gleichbleibender Erträge erworben werden.

Der Annahme, daß die Schuldzinsen eng mit den Einnahmen aus Kapitalvermögen zusammenhängen, steht nicht entgegen, daß der Kläger den Erwerb in vollem Umfang fremdfinanziert hat. Der Kläger hat, wie das FG festgestellt hat, den Kaufpreis durch eine kurzfristige Kreditaufnahme vorfinanziert, bis ihm ausreichende Eigenmittel aus der Veräußerung seines Unternehmens zur Verfügung standen. Ein derartiges Verhalten spricht nicht gegen einen längerfristig geplanten Erwerb von Wertpapieren. Bei einem sinkenden Zinsniveau oder im Falle der Erwartung sinkender Zinsen kann ein vorgezogener Erwerb von festverzinslichen Papieren unter Vorfinanzierung des Kaufpreises durch Aufnahme von Fremdmitteln dazu dienen, sich höhere Zinseinnahmen zu sichern, als sie später zu erzielen wären, wenn entsprechende Eigenmittel zur Verfügung stehen.

Auch aus der Tatsache, daß der Kläger die Schuldverschreibungen im Mai 1975 wieder verkauft hat, brauchte das FG keine gegenteiligen Schlüsse zu ziehen. Denn der Kläger hat bis zur Veräußerung nicht nur beträchtliche, die Schuldzinsen erheblich übersteigende Zinseinnahmen erzielt, so daß bei Entrichtung der Schuldzinsen nach Ablauf des Kreditzeitraums von zwei Monaten diese schon nach der bisherigen Rechtsprechung voll zum Abzug gelangt wären (vgl. auch BFH-Urteil vom 13. November 1973 VIII R 157/70, BFHE 110, 556, BStBl II 1974, 161). Er hat auch den Erlös wiederum in festverzinslichen und nach seinem unstreitigen Vortrag als Daueranlage gehaltenen Wertpapieren angelegt, was ein zusätzliches Anzeichen dafür ist, daß es dem Kläger von Anfang an um die Erzielung von Überschüssen gegangen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74115

BStBl II 1982, 40

BFHE 1981, 121

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