Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung Bewertung Bewertung/Vermögen-/Erbschaft-/Schenkungsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Ermächtigung zur Festsetzung von Steuerkurswerten nach § 70 Abs. 1 BewG in der Fassung vor dem Gesetz zur änderung des Bewertungsgesetzes vom 10. August 1963 (BGBl 1963 I S. 676) ist auf den Bundesminister der Finanzen gemäß Art. 129 Abs. 1 Satz 1 GG übergegangen.

Ein Bescheid über die Festsetzung eines Steuerkurswertes ist ein sog. Grundlagenbescheid im Sinne der §§ 215, 232 Abs. 2 AO.

Im Verfahren betreffend die Festsetzung von Steuerkurswerten sind Einwendungen gegen die Vermögensteuerveranlagung unzulässig.

GG Art. 87, 105 Abs. 2, 106, 108, 125, 129 Abs. 1 und 3; AO §§ 215, 232; BewG 1934 in der Fassung vor dem Gesetz zur änderung des Bewertungsgesetzes vom 10. August 1963 - ändG-BewG 1963 -

 

Normenkette

GG Art. 87, 105 Abs. 2, Art. 106, 108, 125, 129 Abs. 1, 3; AO §§ 215, 232 Abs. 2; BewG §§ 70-72, 113

 

Tatbestand

Der Bundesminister der Finanzen setzte auf den Stichtag 31. Dezember 1959 den Steuerkurswert der Aktien der Daimler-Benz AG in Stuttgart gemäß § 70 BewG in der Fassung vom 16. Oktober 1934 (RGBl I S. 1035) für die Hauptveranlagung der Vermögensteuer und die Hauptfeststellung der Einheitswerte der gewerblichen Betriebe zum 1. Januar 1960 auf 2.600 DM fest. Die Festsetzung des Steuerkurswertes wurde im Bundesanzeiger Nr. 116 vom 21. Juni 1960 sowie im BStBl 1960 I S. 349 (372) veröffentlicht (Wertpapier-Nr. 550.000). Die Bfin., die mehrere Aktien der AG besitzt, erhob gegen die Festsetzung dieses Steuerkurswertes Widerspruch. Zur Begründung trug die Bfin. vor, für die Festsetzung von Steuerkurswerten seien gemäß Art. 108 des Grundgesetzes (GG) die Länder und nicht der Bundesminister der Finanzen zuständig. Im übrigen sei der Börsenkurs für die Aktien der Daimler-Benz AG zum 31. Dezember 1959 nur durch außergewöhnliche Verhältnisse zustande gekommen. 95 v. H. des Kapitals der Daimler-Benz AG befänden sich in Händen einiger Großaktionäre, so daß der Börsenkurs nur aus Umsätzen der restlichen 5 v. H. herrühre. Diese "Knappheit an flottantem Material" habe mit zu dem überhöhten Börsenkurs geführt. Bei dieser Marktenge entsprächen die Börsenkurse nicht mehr dem gemeinen Wert der Aktien. Außerdem sei gerade die Aktie der Daimler-Benz AG ein bevorzugtes Objekt der Spekulation gewesen, was sich auch aus der Steigerung des Steuerkurses für diese Aktie von 302 (per 31. Dezember 1956) auf 2.600 (per 31. Dezember 1959) ergebe. Der Börsenkurs sei deshalb für die Festsetzung des Steuerkurswertes ungeeignet. Das Festhalten am Börsenkurs vom 31. Dezember 1959 als Steuerkurs führe auch zu einer ungleichmäßigen Behandlung der Aktionäre der Daimler-Benz AG gegenüber Steuerpflichtigen, die andere Wirtschaftsgüter zum 31. Dezember 1959 als Vermögen versteuern müßten. Dies gelte insbesondere für Inhaber solcher Aktien, die bei der Vermögensteuer nicht mit einem festgesetzten Steuerkurs, sondern mit dem - nach dem sog. Stuttgarter Verfahren ermittelten - gemeinen Werte erfaßt würden und ferner für Grundstückseigentümer, weil die Grundstücke nur mit den Einheitswerten auf der Grundlage der Hauptfeststellung zum 1. Januar 1935 bei der Vermögensteuer angesetzt würden. Im übrigen widerspreche es dem Zweck des Vermögensteuergesetzes (VStG), wenn die Vermögensteuer für ein Wirtschaftsgut höher sei als dessen Gesamtertrag. Der Aufwand der Steuerpflichtigen an Gewerbe-, Vermögen-, Einkommen- und Kirchensteuer betrage insgesamt mehr als an Einkünften aus den Aktien eingingen.

Auf Anfrage des Bundesministers der Finanzen teilten die Vorstände der Wertpapierbörsen in Berlin und München mit, es seien keine außergewöhnlichen Umstände bekannt, die auf die Kursfeststellung der Daimler-Benz-Aktien - insbesondere zum 31. Dezember 1959 - eingewirkt haben könnten. Der Börsenvorstand der Frankfurter Wertpapierbörse nahm zu der Frage der Kursbildung bei den Aktien der Daimler-Benz AG wie folgt Stellung: "Einer Stellungnahme zu der Frage, ob und inwieweit die Kursnotierung durch außergewöhnliche Umstände zustande gekommen ist, glauben wir uns enthalten zu sollen, da die Bewertung von Aktien von den Verkäufern und Käufern selbständig vorgenommen wird, in deren Aufträgen sie zum Ausdruck kommt, und einer Kritik seitens des Börsenvorstandes nicht unterzogen werden kann." Die Vorstände der Wertpapierbörsen in Stuttgart, Hamburg und Düsseldorf nahmen zu dieser Frage keine Stellung.

Der Bundesminister der Finanzen wies den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Bundesminister der Finanzen vertrat folgende Auffassung: Bei der Festsetzung eines Steuerkurswertes handele es sich um einen sog. "überregionalen Verwaltungsakt", der von einem einzelnen Lande gar nicht ausgeführt werden könnte und für dessen Erlaß der Bundesminister der Finanzen daher zuständig sei. Aus Abschn. 74 Abs. 3 und 4 der Vermögensteuer-Richtlinien für die Vermögensteuerhauptveranlagung 1960 vom 27. Mai 1960 - VStR 1960 - (BStBl 1960 I S. 289 ff.), die mit Zustimmung des Bundesrates erlassen worden seien, ergebe sich, daß der Bundesminister der Finanzen die Festsetzung des Steuerkurswertes mit Zustimmung und im Auftrage der Länder ausgeführt habe. Die amtlichen Kursnotierungen für die Daimler-Benz-Aktien seien von 940 im Dezember 1958 bis auf 7.000 im Juli 1960 gestiegen. Der Steuerkurs von 2.600 liege damit keinesfalls über dem Durchschnitt der im 2. Halbjahr 1959 und im 1. Halbjahr 1960 notierten Börsenkurse. Die Kurssteigerungen im 2. Halbjahr 1959 von 1560 auf 2.600 seien zwar sicherlich auch durch Spekulationsverkäufe beeinflußt worden. Im Sommer 1960 habe die Gesellschaft Berichtigungsaktien im Bezugsverhältnis 2:3 ausgegeben. Im Jahr 1961 sei abermals eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln im Bezugsverhältnis 2:1 erfolgt. Die günstige wirtschaftliche Entwicklung der Daimler-Benz AG sei offensichtlich auch schon 1959 in weiten Kreisen zutreffend eingeschätzt worden. Schließlich komme noch hinzu, daß man ebenso wie in anderen Fällen auch hier davon ausgehen könne, daß am 31. Dezember 1959 die Ausgabe von Berichtigungsaktien mindestens schon erwartet worden sei und daß auch diese Erwartung sich in dem damaligen Börsenkurs ausgewirkt habe. Sei aber der Börsenkurs wirtschaftlich nicht irreal, so könne es auch nicht darauf ankommen, daß er durch eine Marktenge oder durch Spekulationsgeschäfte beeinflußt worden sei; denn das Spekulationsmoment sei dem Börsengeschäft mindestens bis zu einem gewissen Grade so wesenseigen, daß es im vorliegenden Falle nicht als etwas Außergewöhnliches angesehen wurden könne. Ein Vergleich mit nichtnotierten Aktien sei unzulässig. Eine etwa bestehende ungleiche Behandlung von Vermögensteuerpflichtigen, je nachdem, mit welchen Wirtschaftsgütern sie zur Vermögensteuer herangezogen würden, könne der Bundesminister der Finanzen von sich aus nicht dadurch beseitigen, daß ein von den gesetzlichen Vorschriften abweichender Steuerkurs festgesetzt würde. Bei der steuerlichen Belastung der Daimler-Benz-Aktionäre sei zu bedenken, daß für das Geschäftsjahr 1959 nicht nur für die alten Aktien, sondern rückwirkend auch für die im Jahre 1960 ausgegebenen Berichtigungsaktien eine Dividende von 12 v. H. ausgeschüttet worden sei. Dies bedeute, daß umgerechnet auf eine alte Aktie, für die der Steuerkurs von 2.600 gelte, eine Dividende von 30 v. H. entfalle. Bei einer natürlichen Person könne dies zu einer Gesamtbelastung an Einkommen- und Vermögensteuer von äußerstenfalls 28 v. H. führen. Aber selbst wenn die Steuerbelastung den Betrag der Aktie übersteigen würde, wäre das Ergebnis nicht unberechtigt, denn es dürfe nicht übersehen werden, daß sich die zum Teil erheblichen Kapitalgewinne ohne jede ertragsteuerliche Belastung vollzogen hätten. Die Vermögensteuerpflicht werde auch grundsätzlich dadurch nicht eingeschränkt, daß die Vermögensteuer nicht aus dem Ertrag des steuerpflichtigen Wirtschaftsgutes geleistet werden könne. Das ergebe sich schon aus der vermögensteuerlichen Erfassung von Wirtschaftsgütern, die ihrem Wesen nach - z. B. Luxusgegenstände - ertragslos seien. Auch Wirtschaftsgüter, die keinen Ertrag abwerfen würden, wie z. B. mit Verlust wirtschaftende gewerbliche Unternehmen oder Baugrundstücke, würden dennoch zur Vermögensteuer herangezogen. Es seien daher keine Umstände erkennbar, die einen abweichenden Steuerkurs rechtfertigen könnten.

Das Finanzgericht Düsseldorf - Kammern in Köln -, an das der Bundesminister der Finanzen die Berufung abgegeben hatte, erklärte sich für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Finanzgericht Stuttgart. Dieser Beschluß wurde unanfechtbar.

Im Laufe des Verfahrens vor dem Finanzgericht Stuttgart legte der Bundesminister der Finanzen Erklärungen der Finanzminister und Senatoren für Finanzen sämtlicher Bundesländer vor. Nach diesen Erklärungen sind die Festsetzungen der Steuerkurswerte sowie deren Bekanntmachung im Bundesanzeiger mit Zustimmung und im Auftrage der einzelnen Bundesländer erfolgt. Der Finanzminister von Baden- Württemberg wurde zum Verfahren zugezogen. Auch die Berufung hatte keinen Erfolg. Die Vorinstanz führt im wesentlichen aus: Zwar werde nach Art. 108 Abs. 3 GG die Vermögensteuer durch Landesbehörden verwaltet, wozu auch die Festsetzung von Steuerkurswerten gehöre. Sämtliche Länder hätten aber dem Verwaltungsakt des Bundesministers der Finanzen über die Festsetzung des Steuerkurswertes zugestimmt. Es sei nicht einzusehen, warum die Länder ihre Ermächtigung zum Erlaß eines solchen Verwaltungsaktes, der seit 1934 ohne jede Beanstandung vom Reichsminister der Finanzen bzw. vom Bundesminister der Finanzen ausgeübt worden sei und der durch Bundesgesetz ohne weiteres auch künftig dem Bundesminister der Finanzen zugewiesen werden könnte, nicht auf den Bundesminister der Finanzen sollten übertragen können. Im übrigen handele es sich hierbei lediglich um die Feststellung eines Wertes, der durch die von den Börsenvorständen ermittelten Kurswerte schon annähernd bestimmt sei. Auch würde die Feststellung des Landesfinanzministers immer nur zu einer Feststellung für das betreffende Land führen. Die Länder müßten daher ohnehin zur Erzielung einheitlicher Steuerkurswerte eine bestimmte Stelle damit beauftragen. Die Festsetzung des Steuerkurswertes sei entsprechend den gesetzlichen Vorschriften erfolgt. Außergewöhnliche Umstände, die den Börsenkurs beeinflußt hätten, lägen nicht vor. Der Börsenkurs sei auch ordnungsgemäß festgestellt worden. Der Gesetzgeber sei im übrigen stets berechtigt, tatsächliche Umstände - wie die von den Börsenvorständen festgestellten Kurswerte der Aktien - zum gesetzlichen Tatbestand zu erheben. Mache der Bundesminister der Finanzen von seinem Recht auf Festsetzung eines Steuerkurswertes Gebrauch, so sei kein Raum mehr für eine Bewertung solcher Aktien nach § 13 BewG.

Zur Begründung der Rb. wird unter teilweiser Wiederholung früherer Vorbringens vorgetragen: § 70 Abs. 1 BewG 1934 sehe vor, daß anstelle der nach § 13 Abs. 1 oder § 14 BewG maßgebenden Werte Steuerkurswerte festgesetzt werden könnten. Es handele sich hierbei um eine Ermächtigungsvorschrift. Nach Art. 129 Abs. 3 GG seien aber Ermächtigungen in Rechtsvorschriften vorkonstitutionellen Rechtes, die deren änderung oder den Erlaß von Rechtsvorschriften anstelle von Gesetzen erlaubten, erloschen. Daneben seien nach Art. 108 Abs. 3 GG die Länder für die Festsetzung der Steuerkurswerte ausschließlich zuständig. Die VStR 1960 enthielten keine rechtsgültige Delegation für die Befugnis des Bundesministers der Finanzen zum Erlaß von Steuerkurswerten. Der Bundesrat habe als Bundesorgan kein Recht zur Delegation der Zuständigkeit von den Landesfinanzministern auf den Bundesminister der Finanzen; auch die nachträgliche Zustimmung der Länder entbehre einer gesetzlichen Grundlage. Der Börsenkurs für Aktien der Daimler-Benz AG beruhe auf außergewöhnlichen Umständen und liege ganz außer Verhältnis zum inneren Wert dieser Aktien. Eine Vermögensbesteuerung auf der Grundlage des festgestellten Steuerkurswertes habe konfiskatorischen Charakter und verstoße gegen Art. 14 GG, weil der Steuerpflichtige gezwungen sei, nicht nur den vollen Ertrag der Aktie, sondern auch Teile seines übrigen Vermögens zur Tilgung der Steuern aufzuwenden. Es sei weiterhin ein Verstoß gegen Art. 3 GG, wenn Vermögen in Form von Aktien einer höheren Besteuerung unterliege als Vermögen, das aus Grundbesitz bestehe und nur mit den Einheitswerten auf der Grundlage der Hauptfeststellung 1935 zur Vermögensteuer herangezogen werde. Weiterhin würden gegen die Erstarrung der Aktienwerte für die Vermögensteuer auf einen Zeitraum von drei Jahren gemäß § 69 Abs. 1 BewG a. F. verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Es werde auch falsche Ermessensausübung gerügt. Der Bundesminister der Finanzen könne nämlich gemäß § 69 Abs. 3 BewG bei der Bewertung von Wertpapieren einen vom normalen Stichtag abweichenden Stichtag bestimmen. Das sei unterblieben. Der Bundesminister der Finanzen hätte auch berücksichtigen müssen, daß die ungewöhnlichen Verhältnisse bei Daimler-Benz-Aktien der Feststellung eines Steuerkurswertes in der vorgenommenen Höhe entgegenstünden.

 

Entscheidungsgründe

Die vom Finanzgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Rb. ist unbegründet.

Das GG hat die Frage der Weitergeltung früherer Ermächtigungen in der Sondervorschrift des Art. 129 behandelt. Dabei hat sich der Verfassungsgeber dahin entschieden, daß solche Ermächtigungen grundsätzlich aufrechterhalten werden. Von dieser Regel macht Art. 129 Abs. 3 GG nur für bestimmte Delegationen eine Ausnahme. Das GG hat nur diejenigen früheren Ermächtigungen für erloschen erklärt, die zu einer änderung oder Ergänzung der ermächtigenden Rechtsvorschrift selbst oder zum Erlaß von Rechtsvorschriften anstelle von Gesetzen ermächtigen. Art. 129 Abs. 3 GG ist deshalb dahin auszulegen, daß der Verfassungsgeber insbesondere solche Ermächtigungen zum Erlöschen bringen wollte, die sich auf die änderung oder Aufhebung eines Gesetzes im formellen Sinne erstrecken (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvF 1/53 vom 10. Juni 1953, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - Bd. 2 S. 307). Unter diesen Kreis der nach Art. 129 Abs. 3 GG erloschenen Ermächtigungen fällt aber nicht die Ermächtigung zur Festsetzung eines Steuerkurswertes durch Verwaltungsakt. Nach den Vorschriften des Ersten Teiles des BewG (Allgemeine Bewertungsvorschriften) sind Wertpapiere, die im Inland einen Kurswert haben, mit dem Kurswert anzusetzen (§ 13 Abs. 1 BewG). Soweit Aktien im Inland keinen Kurswert haben, ist für sie der gemeine Wert maßgebend (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BewG). Nach dem für die Vermögensteuer geltenden Zweiten Teil des BewG (Besondere Bewertungsvorschriften, § 18 Abs. 1 BewG) sind gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 BewG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 BewDV Wertpapiere, Anteile und Genußscheine an Kapitalgesellschaften mit den Steuerkurswerten anzusetzen, falls solche Steuerkurswerte festgesetzt worden sind. Der "Steuerkurswert" ist sonach ein Bewertungsmaßstab des BewG für die Vermögensteuer. Das Verfahren bei der Festsetzung von Steuerkurswerten ist in § 72 BewG geregelt. § 70 BewG in der am Stichtag gültigen Fassung enthält deshalb keine "Ermächtigung" zum Abweichen von einer Gesetzesvorschrift im Sinne von Art. 129 Abs. 3 GG; vielmehr beschränkt sich die "Ermächtigung" in § 70 BewG nur darauf, einen vom BewG für die Vermögensteuer aufgestellten Bewertungsmaßstab - das ist der Steuerkurswert in Anlehnung an die von den Börsenvorständen mitgeteilten Kurswerte - im Einzelfall durch Verwaltungsakt auf ein Wertpapier anzuwenden. § 70 BewG in der am Stichtag gültigen Fassung gibt für die Bewertung von notierten Wertpapieren nur die Möglichkeit, anstelle eines gesetzlichen Bewertungsmaßstabes (das ist der Kurswert nach § 13 Abs. 1 BewG) einen anderen, nämlich den Steuerkurswert, zu wählen. Gleichzeitig gibt das BewG in den Vorschriften der §§ 70 bis 72 BewG genaue Anweisungen darüber, wie dieser Steuerkurswert festzustellen ist. Diese Ermächtigung zur Feststellung der Steuerkurswerte ist deshalb nicht nach Art. 129 Abs. 3 GG erloschen.

Die Ermächtigung zur Festsetzung von Steuerkurswerten gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 BewG in der am Stichtag gültigen Fassung ist nach Art. 129 Abs. 1 GG auf den Bundesminister der Finanzen übergegangen.

Das Bewertungsrecht gehört ebenso wie das Vermögensteuerrecht zum Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. Der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes sind nach Art. 105 Abs. 2 GG nicht nur die Steuern unterworfen, deren Ertrag nach Art. 106 GG dem Bund zufließt, sondern fast alle früheren Reichssteuern, nämlich die Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Vermögensteuer. Das Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung muß zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im Sinne von Art. 72 Abs. 2 Ziff. 3 GG bei diesen Steuern bejaht werden. Damit hat der Bund das Recht zur konkurrierenden Gesetzgebung auch dann, wenn er diese Steuern nicht für sich zur Deckung der Bundesausgaben in Anspruch nimmt (vgl. Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Anm. II 3 zu Art. 105).

Das BewG wurde innerhalb des Geltungsbereichs des GG Bundesrecht nach Art. 125 GG. Für die Fortgeltung von Reichssteuergesetzen - hierzu zählt auch das BewG 1934 - ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gleichgültig, ob im Einzelfall die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG gegeben waren (Hinweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 3/51 und 4/51 vom 20. Mai 1952, BVerfGE Bd. 1 S. 283 (293)). Es genügt vielmehr, daß dieser Gegenstand zu den Materien der konkurrierenden Gesetzgebung gehört. Das gilt auch für die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach Art. 105 Abs. 2 GG (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 2 BvL 38/56 vom 19. März 1958, BVerfGE Bd. 7 S. 330 (337)).

Das Fortgelten des BewG und damit auch der Vorschriften der §§ 69 ff. dieses Gesetzes als Bundesrecht hatte dieselbe Wirkung, wie wenn der Bund den Gegenstand dieser Vorschrift bereits selbst geregelt hätte. Durch die Fortgeltung gemäß Art. 125 GG wird die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder in der gleichen Weise beschränkt wie durch die Gesetzgebungsakte des Bundes auf dem Gebiete der konkurrierenden Gesetzgebung (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 2 BvO 5/56 vom 28. Mai 1957, BVerfGE Bd. 7 S. 18 (27), sowie den oben angeführten Beschluß 2 BvL 38/56 vom 19. März 1958). Die §§ 70 ff. BewG enthalten keine dem GG widersprechende allgemeine Kompetenzverschiebung auf dem Gebiete des Bewertungsrechtes; diese Vorschriften ermächtigen den Bundesminister der Finanzen lediglich, Verwaltungsakte in einem genau begrenzten Rahmen zu erlassen. Die Ermächtigung des früheren Reichsministers der Finanzen zur Festsetzung von Steuerkurswerten in §§ 70 ff. BewG war kein Ausfluß des allgemeinen Weisungsrechtes des früheren Reichsministers der Finanzen in seiner Eigenschaft als oberster Leiter der Reichsfinanzbehörden (Hinweis auf die §§ 17, 24 und 46 der Reichsabgabenordnung - AO -). Aus der Bindung des Reichsministers der Finanzen an Ermittlungen fremder Institutionen (Börsenvorstände) und aus der gesonderten Regelung des Rechtsmittelverfahrens bei der Festsetzung der Steuerkurswerte ergibt sich, daß es sich hier um eine eigene im BewG geschaffene selbständige Zuständigkeit des Reichsministers der Finanzen als besondere Bewertungsbehörde handelt. Diese besondere Zuständigkeit des früheren Reichsministers der Finanzen ist auf den Bundesminister der Finanzen übergegangen. Es ist deshalb bei der Zuständigkeit des Bundesministers der Finanzen zur Festsetzung der Steuerkurswerte nach § 72 BewG auf Grund des Art. 125 GG verblieben. Durch die übernahme alten Reichsrechtes in das Bewertungsrecht ist hinsichtlich der Zuständigkeit des Bundesministers der Finanzen die gleiche Rechtslage eingetreten, wie wenn die Zuständigkeit des Bundesministers der Finanzen durch ein besonderes Bundesgesetz durch Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates nach Inkrafttreten des GG bestimmt worden wäre. Eine solche Begründung von Zuständigkeiten erfolgte durch § 10 des Gesetzes zur Bewertung des Vermögens für die Kalenderjahre 1949 bis 1951 (Hauptveranlagung 1949) vom 16. Januar 1952 (BGBl 1952 I S. 22) in Verbindung mit § 9 des Gesetzes über die Vermögensteuerveranlagung für die Zeit ab 1. Januar 1949 und die Vermögensteuer für das zweite Kalenderjahr 1948 vom 3. Juni 1949 (Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1949 S. 83). Auch nach diesen Vorschriften war bei der Vermögensteuerhauptveranlagung 1949 von den vom Bundesminister der Finanzen festgestellten Steuerkurswerten bei der Vermögensteuerveranlagung auszugehen. ähnlich ist die Rechtslage nach § 9 Abs. 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung (FVG) vom 6. September 1950 (BGBl S. 448). Hiernach können die Oberfinanzdirektionen bei der Bearbeitung der Umsatzsteuer die Hilfe der Finanzämter und damit der Länder in Anspruch nehmen. Auch hier treffen die Länder auf Grund einer eigens ihnen eingeräumten Zuständigkeit eigenständige Entscheidungen (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl., Anm. 4 zu § 304). Das gilt insbesondere, nachdem die Oberfinanzdirektionen im Beschwerdeverfahren gemäß § 304 Abs. 2 Satz 2 AO in der Fassung nach Art. 17 des Steueränderungsgesetzes 1961 (BGBl 1961 I S. 981, BStBl 1961 I S. 444) im Ergebnis als nächsthöhere Behörden entscheiden. Die Gültigkeit des § 9 FVG im Hinblick auf die dort vorgenommene Kompetenzübertragung vom Bund auf die Länder hat der Bundesfinanzhof mit der Entscheidung VII 98/61 U vom 12. März 1963 (BStBl 1963 III S. 247, Slg. Bd. 76 S. 678) bejaht. In dieser Entscheidung ist ausgeführt, daß die Art. 87 und 108 GG, die die Verwaltungskompetenz hinsichtlich der Steuern zwischen Bund und Ländern aufteilen, es nicht ausschließen, daß Bund und Länder sich bei der Ausübung ihrer Hoheitsrechte mit ihren Verwaltungsbehörden gegenseitig Hilfe im Sinne des § 9 FVG leisten. Diese Rechtsansicht, der der Senat beitritt, rechtfertigt auch die Zuständigkeit des Bundesministers der Finanzen nach § 72 BewG. Es darf hierbei auch nicht übersehen werden, daß die Festsetzung der Steuerkurswerte für die Vermögensteuerhauptveranlagung 1960 tatsächlich in übereinstimmung mit den Ländern getroffen wurde. Das ergibt sich sowohl aus den Erklärungen der Länder, die vom Bundesminister der Finanzen dem Finanzgericht vorgelegt wurden, wie auch aus Abschn. 74 der mit Zustimmung des Bundesrates auf Grund Art. 108 Abs. 6 GG erlassenen VStR 1960. Auf die Frage, ob es sich bei der Festsetzung eines Steuerkurswertes um einen sog. überregionalen Verwaltungsakt handelt, ist deshalb nicht mehr einzugehen.

Bei der Steuerkurswertfeststellung handelt es sich um eine einheitliche und gesonderte Feststellung ähnlich § 215 AO, also um einen sog. Grundlagenbescheid (vgl. auch Krekeler, Kommentar zum Bewertungsgesetz, 6. Aufl., Anm. III zu § 72 Abs. 3; weiterhin Troll, Kommentar zum Vermögensteuergesetz, Anm. 2 zu § 72 BewG). In diesem Verfahren ist deshalb auf solche Einwendungen nicht einzugehen, die sich gegen die Vermögensbesteuerung richten. Das ergibt sich aus der Teilung des Verfahrens in ein Feststellungsverfahren - hier Feststellung eines Steuerkurswertes - und in ein Veranlagungsverfahren (Hinweis auf § 232 Abs. 2 AO).

Unbegründet ist auch der Einwand, die Festsetzung der Steuerkurswerte verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG). Auch hier ist zu betonen, daß im Verfahren über die Festsetzung des Steuerkurswertes nicht über die Vermögensbesteuerung des einzelnen Aktionärs zu entscheiden ist. Eine solche Entscheidung kann nur im Verfahren über die Vermögensteuerveranlagung des betreffenden Steuerpflichtigen getroffen werden. Auch wenn man unterstellen würde, daß Steuerpflichtige mit Grundbesitz bei der Vermögensteuerveranlagung unter Verstoß gegen Art. 3 GG bevorzugt würden, so kann hieraus kein Anspruch auf eine vom Gesetz abweichende niedrigere Bewertung anderer Wirtschaftsgüter - hier der Aktien der Daimler-Benz AG - abgeleitet werden. Enthält nämlich eine Vorschrift unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes eine begünstigende Regelung, so kann die Gleichheit nicht dadurch wiederhergestellt werden, daß anstelle des Gesetzgebers das Gericht die bisher nicht berücksichtigte Gruppe in die Anwendung der Begünstigungsvorschrift einbezieht (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 19, 21/58 vom 14. April 1959, BVerfGE Bd. 9 S. 250 (255)).

In der Festsetzung des Steuerkurswertes von 2.600 DM für die Aktien der Daimler-Benz AG auf den 31. Dezember 1959 ist auch kein Ermessensverstoß zu erblicken, soweit man in Anbetracht des gesetzlich genau geregelten Steuerkurswert-Festsetzungsverfahrens überhaupt noch von einem Ermessensspielraum des Bundesministers der Finanzen reden kann.

Der Bundesminister der Finanzen hat unwidersprochen vorgetragen, daß für die im Jahre 1960 ausgegebenen Berichtigungsaktien bereits eine rückwirkende Dividendenberechtigung beschlossen worden sei. Weiterhin muß im Streitfall beachtet werden, daß für die Daimler- Benz-Aktien infolge der Kapitalerhöhung die Steuerkurswerte zum 31. Dezember 1960 und 31. Dezember 1961 nur noch 1.040 DM bzw. 693 DM betrugen (Hinweis auf die Bekanntmachung über die Bewertung von Wertpapieren bei Neu- und Nachveranlagungen der Vermögensteuer auf den 1. Januar 1961 und 1. Januar 1962 vom 31. Juli 1962, BStBl 1962 I S. 1018 (1022 und 1027)). Wie der Reichsfinanzhof in seiner Entscheidung III e A 18/36 vom 10. März 1937 (RStBl 1937 S. 625) ausführte, will das BewG grundsätzlich und in erster Linie die amtlich notierten Kurse maßgebend sein lassen, weil bei ihnen eine gewisse Gewähr dafür geboten ist, daß alle den Wert beeinflussenden Umstände gebührend berücksichtigt sind. Nicht aber liegt es im Sinne des Gesetzes, den Beteiligten stets die Möglichkeit zu eröffnen, die amtlich notierten Kurse mit der Behauptung als unbeachtlich beiseite zu schieben, daß die Kurse dem inneren Wert der Aktien nicht entsprächen. Bei der Fülle des Stoffes würde eine solche Untersuchung die Bewertungsbehörden und die Gerichte vor eine Aufgabe stellen, die sie nicht erfüllen könnten. Es kommt nur darauf an, festzustellen, welche Werte nach der Anschauung des täglichen Verkehrs für die entsprechenden Wertpapiere angemessen sind. Diese Anschauung spiegelt sich in den Kursnotierungen wider, deren Schwankungen als eine unvermeidliche Erscheinung des Börsenhandels hingenommen werden müssen. Der Bundesminister der Finanzen und ihm folgend das Finanzgericht hatten keine begründete Veranlassung, im Streitfall weitere Ermittlungen über die Kurswertbildung der Daimler-Benz- Aktien anzustellen. Es liegt in der Natur der Sache, daß derjenige, welcher börsengängige Wertpapiere kauft, sich bei der Bewertung dieser Wertpapiere im allgemeinen den Kurs an der Börse als den richtigen Wert entgegenhalten lassen muß. Zu Recht wies der Bundesminister der Finanzen darauf hin, daß die Ausgabe von Berichtigungsaktien im Streitfalle bei der Kursbildung der Daimler-Benz-Aktien eine wesentliche Rolle gespielt habe. Andererseits hat die Bfin. keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, daß der Kurs von 2.600 DM je Aktie der Daimler-Benz AG unter Berücksichtigung sowohl der zu erwartenden Berichtigungsaktien wie auch der damals allgemeinen Kurshöhe an der Börse irreal und ohne jede Beziehung zum inneren Wert der Aktien gewesen sei. Das Vorbringen der Bfin. hat insoweit nur auf die allgemeine Marktenge an verkäuflichen Aktien und auf das jedem Börsenkurs bis zu einem gewissen Grade innewohnende Spekulationsmoment verwiesen. Dieses Vorbringen genügt aber nicht, um die Festsetzung des Steuerkurswertes für die Aktien der Daimler-Benz AG als ungerechtfertigt anzusehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411808

BStBl III 1965, 732

BFHE 1966, 636

BFHE 83, 636

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