Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Behandlung von negativen Kapitalkonten der Gesellschafter von Personengesellschaften.

Auch Kommanditisten können handelsrechtlich negative Kapitalkonten haben.

übernimmt der persönlich haftende Gesellschafter einer KG das negative Kapitalkonto eines ausscheidenden Kommanditisten, das dadurch entstanden ist, daß dem Kommanditisten seine laufenden Verlustanteile zur Last geschrieben wurden, so entsteht steuerlich in Höhe des übernommenen negativen Kapitalkontos für den Kommanditisten ein Veräußerungsgewinn.

 

Normenkette

EStG §§ 5, 15/2, §§ 16, 34; AO § 215 Abs. 2 Nr. 2, § 216

 

Tatbestand

Die steuerpflichtige KG hatte im Streitjahr 1956 einen persönlich haftenden Gesellschafter und zwölf Kommanditisten. Alle Gesellschafter waren im Verhältnis ihrer Kapitalanteile am Gewinn beteiligt. Die Kommanditisten nahmen am Verlust nur bis zur Höhe ihrer Einlage teil. Sie schieden zum 31. Dezember 1956 aus der KG, die vor dem Zusammenbruch stand, aus. Das Unternehmen wurde zunächst von dem persönlich haftenden Gesellschafter in seine anderen Betriebe als Einzelunternehmen eingebaut. Der Versuch, den Betrieb zu retten, scheiterte jedoch; über das Vermögen des Einzelkaufmanns wurde alsbald das Konkursverfahren eröffnet.

Die KG wies in den Jahren 1954 bis 1956 Verluste von insgesamt 1 423 614 DM aus, die auf Grund des Gesellschaftsvertrags anteilig auch den Kommanditisten zur Last geschrieben wurden. Dadurch hatten alle Kommanditisten negative Kapitalkonten. Die Verlustanteile der Kommanditisten waren in den Steuererklärungen der KG als Verluste der Kommanditisten erklärt und vom Betriebsfinanzamt auch als Verluste für die Kommanditisten festgestellt worden. Beim Ausscheiden der Kommanditisten übernahm der persönlich haftende Gesellschafter deren negative Kapitalkonten; die Kommanditisten leisteten keine Ausgleichsbeträge an ihn.

Streitig ist, ob für die Kommanditisten bei ihrem Ausscheiden zum 31. Dezember 1956 in Höhe ihrer negativen Kapitalkonten Veräußerungsgewinne im Sinne von § 16 EStG entstanden sind. Das Finanzamt hat das bejaht und für das Streitjahr einen Gewinn von 595 657 DM einheitlich festgestellt. Hierin ist ein Veräußerungsgewinn von 1 023 857 DM enthalten, den das Finanzamt gemäß §§ 16 und 34 EStG steuerlich begünstigte.

Gegen den einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid legten sieben Kommanditisten Einspruch ein. Das Finanzamt verband die Verfahren und zog die anderen Gesellschafter gemäß § 239 Abs. 3 AO zu dem Verfahren zu. Der Steuerausschuß wies die Einsprüche als unbegründet zurück. Er rechnete aber die Gewinne dem laufenden Unternehmen zu und versagte deshalb die Tarifbegünstigung gemäß §§ 16 und 34 EStG.

Entgegen der Einspruchsentscheidung stellte das Finanzgericht dessen Entscheidung in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1961 S. 297 veröffentlicht ist, fest, daß die festgesetzten Gewinnanteile der Kommanditisten Veräußerungsgewinne im Sinne des § 16 EStG enthielten. Im übrigen wies es die Berufungen als unbegründet zurück und führte aus, mit der Auflösung der KG seien Ausgleichsverpflichtungen der Kommanditisten gegenüber dem persönlich haftenden Gesellschafter weggefallen. Dies sei buchtechnisch durch die übertragung der negativen Kapitalkonten der Kommanditisten auf das Kapitalkonto des persönlich haftenden Gesellschafters sichtbar geworden. Steuerlich sei dieses Ergebnis auch gerecht. Denn die Kommanditisten hätten ihre in den Vorjahren festgestellten Verlustanteile bei ihrer Einkommensteuerveranlagung zum Ausgleich positiver Einkünfte verwendet oder vorgetragen; sie müßten darum nach der Auseinandersetzung auch entsprechende Gewinne versteuern.

Mit der Rb. rügen die Bf. unrichtige Rechtsanwendung und machen geltend, die Haftung der Kommanditisten sei gemäß § 171 Abs. 1 HGB auf die Kommanditanteile beschränkt. Da die Einlagen voll erbracht gewesen seien hätten die Kommanditisten bei ihrem Ausscheiden keine Nachschüsse zu leisten brauchen. Das Finanzgericht habe verkannt, daß den negativen Kapitalkonten der Kommanditisten keine echten Schulden zugrunde lägen. Der übergang der Passivsalden auf den persönlich haftenden Gesellschafter habe die Kommanditisten nicht von einer Schuld befreit. Ein Veräußerungsgewinn sei darum nicht entstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. konnte keinen Erfolg haben.

Handelsrechtlich können negative Kapitalkonten auch für die Kommanditisten einer KG ausgewiesen werden. Nach § 171 Abs. 1 HGB haftet der Kommanditist den Gläubigern der Gesellschaft gegenüber zwar nur bis zur Höhe seiner Einlage; auch an dem Verlust der KG nimmt er gemäß § 167 Abs. 3 HGB nur bis zum Betrag seines Kapitalanteils und seiner etwa noch rückständigen Einlage teil. Hat er seine Einlage voll geleistet, so sind Verluste von seinem Kapitalanteil abzuschreiben. Der Bundesfinanzhof hat in der Entscheidung III 54/58 U vom 19. Dezember 1958 (BStBl 1959 III S. 74, Slg. Bd. 68 S. 188) dargelegt, daß die Bedeutung des § 167 Abs. 3 HGB handelsrechtlich bestritten ist. Die eine Auffassung, die vor allem im älteren handelsrechtlichen Schrifttum vertreten wird, z. B. Wieland, Handelsrecht in Bindings Handbuch der Rechtswissenschaft, Bd. I 1921 S. 746 Anm. 11; Lehmann-Ring, Kommentar zum HGB, 2. Aufl. 1914, § 167 Nr. 4), nimmt an, daß der Kommanditist, auch wenn ihn nach dem Verteilungsmaßstab des § 168 Abs. 2 HGB ein höherer Anteil an dem Verlust des einzelnen Jahres treffen würde, damit nur belastet werden kann, bis durch die Lastschrift sein Kapitalanteil und die noch rückständige Einlage erschöpft ist. Eine Lastschrift soll danach nur zulässig sein, bis der Kapitalanteil der Kommanditisten die Grenze von 0 DM erreicht hat. Nach dieser Auffassung muß der nach Erreichung dieser Grenze verbleibende Teil des Jahresverlustes den persönlich haftenden Gesellschaftern und den Kommanditisten, deren Kapitalanteile nicht dadurch selbst passiv werden, endgültig zur Last geschrieben werden. Nach der Gegenmeinung (z. B. Schlegelberger, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 4. Aufl. 1963, § 167 Anm. 7 und das dort angeführte Schrifttum) bestimmt dagegen § 167 Abs. 3 HGB die Grenzen der endgültigen Verlusttragung und besagt nur, daß der Kommanditist bei der Auseinandersetzung nach Beendigung der Gesellschaft oder seiner Beteiligung höchstens bis zum Verlust seiner Einlage an dem Gesamtverlust der Gesellschaft teilnimmt. Nach dieser Auffassung ist dem Kommanditisten zunächst sein Verlustanteil auf seinem Kapitalkonto zu belasten, auch wenn es dadurch passiv wird. Der Anteil an künftigen Gewinnen ist ihm dann gutzubringen, bis das Passivum ausgeglichen, die vereinbarte Kommanditeinlage wieder erreicht ist. Der Kommanditist nimmt also nach dieser Auffassung mit seinen künftigen Gewinnen an der Deckung früherer Verluste teil. Er ist aber bei der Auseinandersetzung der Gesellschaft oder bei seinem Ausscheiden nicht verpflichtet, einen dann noch bestehenden Minussaldo auszugleichen.

Der erkennende Senat tritt mit dem III. Senat im Urteil III 54/58 U (a. a. O.) der handelsrechtlichen Meinung bei, nach der auch Kommanditisten negative Kapitalkonten haben können. Der Einwand, der Kommanditist dürfe nur seine Einlage, nicht auch den zum Ausgleich des Verlustes zu verwendenden Gewinn späterer Jahre verlieren, greift nicht durch. Die zusammenhängenden Vorschriften der §§ 167 Abs. 2 und 3 und 169 Abs. 1 HGB lassen erkennen, daß der Kommanditist außer seiner Einlage auch spätere Gewinne zur Deckung von Verlusten verwenden muß, mindestens soweit die Gewinne zur Deckung einer verlorenen Einlage nötig sind. Es ist nicht einzusehen, warum er nicht darüber hinaus weitere Gewinne zum Ausgleich verwenden muß. Aus seinem Vermögen braucht der Kommanditist allerdings nur die Einlage zu leisten. Gewinne aber kann er erst beanspruchen, wenn sein Kapitalanteil seine geleistete Einlage erreicht.

Negative Kapitalkonten der Gesellschafter von Personengesellschaften stellen allerdings nicht ohne weiteres echte Verluste dieser Gesellschafter dar (Urteil des Bundesfinanzhofs I 259/60 U vom 31. Januar 1961, BStBl 1961 III S. 158, Slg. Bd. 72 S. 428). Das gilt auch für negative Kapitalkonten von Kommanditisten. Die Meinung, der negative Saldo sei während der Dauer der Gesellschaft nur eine fiktive Zahl (so z. B. Staub, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 14. Auflage, § 120 Anm. 7), wird allerdings in der Literatur nicht allgemein geteilt (z. B. Mirre, Zentralblatt für Handelsrecht 1928 S. 251, 255 ff.; Glade, Finanz-Rundschau 1959 S. 176). Jedenfalls kommt dem Nennbetrag des Kapitalkontos nur eine begrenzte Bedeutung zu. Eine echte Schuld wird durch das negative Kapitalkonto nicht ausgewiesen. Bei Auflösung der Gesellschaft braucht der Kommanditist einen Betrag zur Tilgung seines Verlustes weder an die KG noch an einen Dritten zu zahlen. Anders als der persönlich haftende Gesellschafter, der seinen passiven Kapitalanteil bei Auflösung des Unternehmens oder bei seinem Ausscheiden auszugleichen hat, muß der Kommanditist nur die etwa noch rückständige Einlage leisten. Er nimmt also am Verlust des Unternehmens endgültig nur bis zum Verlust seiner Einlage teil. Seine Beteiligung nicht am jährlichen Verlust, sondern am Auseinandersetzungsverlust ist begrenzt. Ein durch Verlustabschreibungen entstandener passiver Kapitalanteil des Kommanditisten hat danach nur bei der Behandlung des späteren Gewinns Bedeutung (Schlegelberger, a. a. O.).

Bei der steuerlichen Beurteilung von negativen Kapitalkonten der Kommanditisten ist vor allem in Betracht zu ziehen, wie die Gesellschafter in der Vergangenheit tatsächlich verfahren sind. Weil die Rechtsbeziehungen zwischen den Gesellschaftern von Personengesellschaften ihrer freien Disposition unterliegen, soweit sie nicht gegen zwingendes Recht verstoßen, ist eine bürgerlich-rechtlich wirksam getroffene Regelung auch steuerlich maßgebend. Bürgerlich-rechtlich gibt es aber für die Gesellschafter verschiedene Möglichkeiten:

Sie können das negative Kapitalkonto des Kommanditisten als reinen Rechnungsposten behandeln. Verfahren sie so, so ist es steuerlich nicht zu beanstanden, wenn die KG, um der persönlichen Haftung des Komplementärs Rechnung zu tragen, den auf den Kommanditisten rechnerisch entfallenden Verlustanteil sofort endgültig dem Komplementär anlastet, dessen Verlustanteil sich dann aus dem Anteil des Kommanditisten und seinem eigenen Verlustanteil zusammensetzt. Das Finanzamt muß dann auch den Verlustanteil des persönlich haftenden Gesellschafters entsprechend feststellen. Fallen künftig Gewinne an, so sind sie entsprechend zu behandeln. Dem Komplementär ist dann der Gewinnanteil des Kommanditisten in der Höhe zuzurechnen, in der er dessen Verlustanteile übernommen hat. Das negative Kapitalkonto des Kommanditisten hält bei dieser Behandlung fest, in welcher Höhe Gewinne des Kommanditisten zur Deckung früherer Verlustanteile verwendet werden müssen. Scheidet der Kommanditist aus, während noch ein Passivsaldo vorhanden ist, so entsteht das Problem der übertragung eines negativen Kapitalkontos bei der Auseinandersetzung nicht, weil die Verlustanteile des Kommanditisten schon laufend dem Komplementär zugerechnet wurden.

Die Gesellschafter können aber auch so vorgehen, als ob der Kommanditist während des Bestehens der KG unbegrenzt am Gewinn und Verlust beteiligt ist. In diesen Fällen wird der Kommanditist wie ein persönlich haftender Gesellschafter behandelt. Scheidet er aus der KG aus und übernehmen die Mitgesellschafter sein negatives Kapitalkonto, ohne daß der Kommanditist einen Ausgleich leistet, dann entsteht für den ausscheidenden Kommanditisten in Höhe des negativen Kapitalkontos ein Gewinn, den er gemäß §§ 16 und 34 EStG zu versteuern hat. Der Kommanditist ist dann in Höhe des negativen Saldos von einem echten Auseinandersetzungsverlust befreit worden. Die verbleibenden Gesellschafter können dann in Höhe des übernommenen negativen Kapitalkontos die Aktiven aufstocken, soweit im Anteil des ausscheidenden Kommanditisten stille Reserven vorhanden sind. Soweit das nicht der Fall ist, entsteht für sie ein gewerblicher Verlust in dem Jahre, in dem der Kommanditist ausscheidet, weil nunmehr endgültig feststeht, daß die früheren Verlustanteile des Kommanditisten, soweit sie nicht durch laufende Gewinnanteile und durch stille Reserven, die bei der Auseinandersetzung aufgedeckt wurden, ausgeglichen sind, ihnen zur Last fallen.

Haben die Gesellschafter keine ausdrückliche Vereinbarung darüber getroffen, welche Bedeutung dem negativen Kapitalkonto eines Kommanditisten zukommen soll, so hat die Besteuerung an die tatsächliche Gestaltung anzuknüpfen. Hat der Komplementär laufend den negativen Kapitalanteil der Kommanditisten übernommen, so hat es damit - wie unter Buchstabe a) dargelegt - sein Bewenden; das Problem der übertragung des negativen Kapitalkontos bei der Auseinandersetzung entsteht dann nicht. Sind dagegen die ausgewiesenen Verlustanteile bei den laufenden Veranlagungen der Kommanditisten als echte Verluste mit positiven Einkünften verrechnet oder vorgetragen worden, so müssen die Beteiligten das auch gegen sich gelten lassen, wenn die Gesellschaft aufgelöst wird. Sie können den Vorgang nicht mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit ändern. Vereinbaren die Gesellschafter also bei der Auseinandersetzung, daß die bisher dem Kommanditisten zugerechneten Verluste vom Komplementär getragen werden sollen, so kommt dieser Abrede für die abgeschlossenen Veranlagungszeiträume keine Bedeutung zu. Die rechtskräftigen Steuerbescheide können insbesondere nicht gemäß § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG geändert werden. Der Senat hat bereits in dem Urteil VI 240/58 U vom 30. September 1960 (BStBl 1960 III S. 465, Slg. Bd. 71 S. 577) entschieden, daß in der Auflösung von Vertragsverhältnissen, die die Grundlage für die Besteuerung in der Vergangenheit gebildet haben, nicht der Wegfall eines Besteuerungsmerkmals im Sinne des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG gesehen werden kann. Ebensowenig können die Beteiligten einen tatsächlichen Geschehnisablauf, der der Besteuerung zugrunde gelegt worden ist, rückgängig machen. Ob jemand Verluste aus einer Beteiligung gehabt hat, bestimmt sich nach dem für den Veranlagungszeitraum maßgeblichen Sachverhalt. Diese Beurteilung wird, wenn der Sachverhalt später anders gestaltet wird, nicht rückwirkend berührt.

Im Streitfall hat das Finanzgericht einwandfrei festgestellt, daß die Gesellschafter während des laufenden Geschäftsbetriebs keine ausdrückliche Vereinbarung darüber getroffen haben, wie die Verlustanteile der Kommanditisten zu behandeln sind. Die Kommanditisten haben indessen jahrelang bei der Einkommensbesteuerung ihre bei der KG festgestellten Verlustanteile als echte Verluste behandelt. Das Finanzgericht hat darum die Beteiligten mit Recht an der von ihnen gewählten Form festgehalten und hat die übernahme der negativen Kapitalkonten der Kommanditisten steuerlich zutreffend so behandelt, als ob den Kommanditisten eine Ausgleichsschuld in Höhe ihrer negativen Kapitalkonten erlassen worden wäre.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411191

BStBl III 1964, 359

BFHE 1964, 351

BFHE 79, 351

BB 1964, 710

BB 1964, 839

DB 1964, 902

DStR 1964, 356

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