Entscheidungsstichwort (Thema)

Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Geltendmachung einer Steuerforderung kann auf Grund einer Auskunft des FA auch dann gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, wenn diese Auskunft eindeutig gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen hat.

GrEStG § 6 Abs. 2 und 4; AO a. F. § 243 Abs. 1 (jetzt FGO § 76 Abs. 1 Satz 1), § 258 Abs. 1 Satz 1

 

Normenkette

GrEStG § 6 Abs. 2, 4; AO § 243 Abs. 1; FGO § 76 Abs. 1 S. 1; AO § 258 Abs. 2; FGO § 96 Abs. 1 S. 3

 

Tatbestand

Die Klägerin, eine Kommanditgesellschaft, wurde am 23. Dezember 1959 von zwei Gesellschaftern gegründet; persönlich haftender Gesellschafter war eine GmbH, Kommanditist der allein zeichnungsberechtigte Geschäftsführer der GmbH. Im Gesellschaftsvertrag verpflichtete sich der Kommanditist, ein unbebautes Grundstück mit Wirkung ab 1. Januar 1960 in die Kommanditgesellschaft einzubringen. Mit Vertrag vom 28. Dezember 1961 vereinbarte der Kommanditist, daß er dieses inzwischen bebaute Grundstück mit Wirkung ab 1. Januar 1962 dem Gesellschaftsvermögen entnehme. Vor dem Abschluß des Entnahmevertrages hatten sich der Kommanditist und sein anwaltlicher Vertreter bei dem zuständigen FA nach den grunderwerbsteuerrechtlichen Auswirkungen dieser Entnahme erkundigt.

Den vorläufigen Grunderwerbsteuerbescheid vom 15. Februar 1962 focht die Klägerin an. Sie behauptete im Einspruchs- und im Berufungsverfahren, die zuständige Sachbearbeiterin und der vertretungsweise zuständige Sachgebietsleiter hätten ihr zugesagt, die Grundstücksentnahme werde nach der Vergünstigungsvorschrift des § 6 Abs. 2 GrEStG besteuert. Die Beamten hätten den Fall für sonnenklar gehalten, und sie habe die Auskunft für verbindlich halten können. Einspruch und Berufung hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Steuervergünstigung des § 6 Abs. 2 GrEStG finde im Streitfall keine Anwendung, weil die in § 6 Abs. 4 GrEStG vorausgesetzte Fünfjahresfrist nicht gegeben sei. Ob die Klägerin vom FA die vorbehaltlose Auskunft, § 6 Abs. 2 GrEStG finde Anwendung, bekommen habe, hielt das FG nicht für entscheidungserheblich, denn diese Auskunft sei jedenfalls nur mündlich erteilt. Die Auskunft habe auch die "Maßnahmen der Steuerpflichtigen offenbar nicht beeinflußt". Sie sei in der Lage gewesen, vor ihren Transaktionen den Entnahmevertrag rückgängig zu machen.

Mit der Rb., jetzt Revision, beantragt die Klägerin, den vorläufigen Grunderwerbsteuerbescheid, die Einspruchsentscheidung und das FG-Urteil aufzuheben; hilfsweise die Sache zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Die Klägerin meint, das FG habe § 6 Abs. 4 GrEStG nicht richtig ausgelegt. Weiter rügt sie mangelnde Sachaufklärung: Das FG hätte durch Beweisaufnahme feststellen müssen, daß das FA ihr eine verbindliche Auskunft erteilt habe. Das FG hätte auch aufklären müssen, ob die Auskunft des FA ihre Transaktionen beeinflußt habe. Das FG habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt, indem es sich mit der bloßen Vermutung, dies sei "offenbar" nicht der Fall gewesen, begnügt habe.

Der Beklagte begründet seinen Antrag auf Zurückweisung der Revision damit, daß die Beamten eine verbindliche Auskunft nicht hätten erteilen wollen, was auch zum Ausdruck gekommen sei. Die Auskunft sei aber, selbst wenn sie verbindlich habe gegeben werden sollen, nicht rechtswirksam, weil sie klar dem Gesetz widerspreche. Nach dem Urteil des BFH VI 269/60 S vom 4. August 1961 (BFH 73, 813, BStBl III 1961, 562) könne das FA Zusicherungen mit rechtsverbindlicher Wirkung nur gegen, wenn es bei der Veranlagung einen Beurteilungsspielraum habe; das sei aber bei der Anwendung des § 6 Abs. 4 GrEStG nicht der Fall.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben. Das FG hat zu Recht festgestellt, daß die streitige Grunderwerbsteuerschuld entstanden ist; es hat aber die Frage, ob die Geltendmachung der Steuerforderung auf Grund einer verbindlichen Auskunft des FA gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen könnte, falsch beurteilt.

Das FG hat § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG ohne Rechtsfehler angewandt. Die in § 6 Abs. 2 GrEStG vorgesehene Steuervergünstigung kann für die streitige Grundstücksentnahme vom 28. Dezember 1961 nicht gewährt werden, denn der Kommanditist der Klägerin (Gesamthänder) hat erst am 23. Dezember 1959 - also noch innerhalb von fünf Jahren vor der Grundstücksentnahme - seinen Anteil an der Kommanditgesellschaft (Gesamthand) durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben (§ 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG). Ein Anteil an einer Gesamthand wird durch Rechtsgeschäft auch anläßlich eines Gründungsvorgangs erworben. Aus dem Wortlaut des § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG ergibt sich, daß die Gesellschaft mindestens fünf Jahre bestanden haben muß, bevor ein Gesellschafter das Grundstück steuerlich begünstigt aus dem Gesellschaftsvermögen herausnehmen kann. Liegt, wie im zu entscheidenden Fall, der Gründungsvorgang noch keine fünf Jahre zurück, so ist der Anteil nicht innerhalb von fünf Jahren erworben worden (vgl. insoweit Urteil des BFH II 167/53 S vom 11. November 1953, BFH 58, 211, BStBl III 1953, 372; Boruttau-Klein, Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz, 8. Aufl., § 6 Tzn. 75, 76). Für diese Entscheidung ist es unerheblich, daß der Kommanditist der Klägerin als ursprünglicher Eigentümer das nun entnommene Grundstück zunächst in die Gesamthand eingebracht hatte, denn er hat den mehrmaligen Steuerpflichtigen Vorgang in gesellschaftsrechtlicher Zielsetzung und unter Ausschöpfung seiner gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten selbst geschaffen.

Die Ausführungen des FG zur Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben sind dagegen fehlerhaft. Zu Unrecht hält es das FG für nicht entscheidungserheblich, ob die vom Kläger behauptete Auskunft vorbehaltlos und verbindlich erteilt worden ist. Die Auskunft ist nicht schon deshalb von vornherein unverbindlich, weil sie nur mündlich abgegeben worden ist. Wenn auch das Gesetz ein schriftliches Steuerfestsetzungsverfahren vorsieht, kann unter bestimmten Voraussetzungen auch eine mündlich erteilte Auskunft verbindlich sein. Ob und in welchem Umfange der Steuerpflichtige bei einer unüblicherweise nicht schriftlich niedergelegten Auskunft die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten und Unklarheiten zu tragen hat (vgl. Urteile des BFH I 251/63 vom 27. Januar 1965, HFR 1965, 368, und I 54/63 vom 13. Januar 1965, HFR 1965, 427, mit weiteren Hinweisen), kann erst entschieden werden, wenn unter Erschöpfung aller Beweismittel aufgeklärt worden ist, welche Unklarheiten anläßlich der behaupteten Auskunft entstanden sind. Die nachteiligen Folgen einer mündlichen und rechtsirrig falsch erteilten Auskunft hat der Steuerpflichtige aber dann nicht zu tragen, wenn das FA in voller Kenntnis des Sachverhalts eine gesetzliche Vorschrift übersehen hat.

Eine Auskunft ist auch nicht, wie der Beklagte meint, schon deshalb in jedem Fall unverbindlich, weil sie gegen eindeutige gesetzliche Vorschriften verstoßen hätte. Der einem Steuerpflichtigen in solchen Fällen gewährte Schutz nach Treu und Glauben ist erst dann wirkungsvoll, wenn er in Konfliktsituationen anerkannt wird. Diese Auffassung verstößt nicht gegen das oben angegebene vom FA zitierte Urteil VI 269/60 S. Dort heißt es unter II zu 1: "Zusicherungen, die klar dem Gesetz widersprechen, sind nichtig (Urteil des BFH III 326/58 U vom 26. Mai 1961, BStBl III 1961, 380), besonders wohl, wenn der Steuerpflichtige die Gesetzwidrigkeit der Zusicherung erkannte und erkennen konnte." Diese Aussage ist nicht in dem Sinne zu verstehen, daß jede Auskunft, die einer zwingenden gesetzlichen Vorschrift widerspricht, wirkungslos wäre; denn der VI. Senat hat ebenso wie andere Senate mehrfach eine Bindung der Finanzverwaltung an Auskünfte, die zwingenden gesetzlichen Vorschriften widersprachen, bejaht (vgl. VI 207/61 U vom 1. März 1963, BFH 76, 743, BStBl III 1963, 271; VI 80/62 U vom 6. September 1963, BFH 77, 697, BStBl III 1963, 574; VI 264/65 vom 22. April 1966, BFH 86, 148; vgl. ferner VI 252/57 U vom 6. Mai 1959, BFH 69, 83, BStBl III 1959, 292, hinsichtlich der unrichtigen Steuertabelle). Das oben angegebene Zitat des Urteils VI 269/60 S ist daher in übereinstimmung mit dem VI. Senat dahin auszulegen, daß der VI. Senat mit der Aussage "Zusicherungen, die klar dem Gesetz widersprechen, sind nichtig" zunächst das Erkenntnis des III. Senats aus dem Urteil III 326/58 U wiedergab und daß die folgende Bemerkung "besonders wohl, wenn der Steuerpflichtige die Gesetzwidrigkeit der Zusicherung erkannte oder erkennen konnte" die Möglichkeit offen halten sollte, diesen Grundsatz für besonders gelagerte Fälle einzuschränken, die zu beschreiben damals nicht erforderlich war.

Im gegebenen Falle konnte der Senat nicht annehmen, daß die Vertreter der Klägerin die Gesetzwidrigkeit der Auskunft erkannten oder erkennen mußten. Zwar hat das FA durch seine zuständigen Beamten eine Auskunft gegeben, die zugunsten der Klägerin der Rechtslage widersprach. Bezeichnet jedoch das um die Auskunft ersuchte FA die Rechtslage als "sonnenklar", so kann es einem Steuerpflichtigen nach dem Grundsatz von Treu und Glauben - wenn nicht besondere Umstände zu einer Nachprüfung veranlassen müßten - nicht zugemutet werden, entgegen einer so bestimmten Auskunft weitere Prüfungen anzustellen.

Das FG führt dagegen zu Recht aus, daß eine Auskunft unbeachtlich ist, wenn sie für das Entstehen der Grunderwerbsteuerschuld nicht ursächlich war. In den insoweit tragenden Ausführungen des FG-Urteils, die Auskunft habe die "Maßnahmen der Steuerpflichtigen offenbar nicht beeinflußt", sieht die Klägerin aber zu Recht einen Verfahrensmangel. Das FG hat den Sachverhalt in diesem Punkt weder aufgeklärt (§ 243 Abs. 1 AO a. F., jetzt § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), noch hat es sich mit den in den Schriftsätzen der Klägerin vom 27. September 1962 und 1. Juni 1963 vorgebrachten Argumenten der Klägerin erkennbar auseinandergesetzt. Dem FG-Urteil ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen das FG die behauptete Auskunft als nicht ursächlich für den Entnahmevorgang ansah (§ 258 Abs. 1 Satz 1 AO a. F., jetzt § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO). Die Verfahrensrüge der Klägerin betrifft auch die tatsächliche Feststellung des FG, sie sei in der Lage gewesen, den Entnahmevertrag mit steuerrechtlicher Wirkung rückgängig zu machen. Auch insoweit hat das FG den Sachverhalt weder aufgeklärt noch die in den zitierten Schriftsätzen der Klägerin vorgebrachten Argumente gewürdigt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412588

BStBl III 1967, 522

BFHE 1967, 20

BFHE 89, 20

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