Leitsatz (amtlich)

Gegen den Beschluß, durch den das FG dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Fragen zur Vorabentscheidung vorlegt, ist die Beschwerde gegeben; eine für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels erforderliche Beschwer liegt jedoch nur dann vor, wenn der Vorlagebeschluß selbst schon einen rechtlichen Nachteil herbeiführt.

 

Normenkette

FGO § 128 Abs. 1-2; EWGVtr Art. 177 Abs. 2

 

Tatbestand

In dem Rechtsstreit der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gegen die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel - EVSt Getr -) wegen Abschöpfung setzte das FG durch Beschluß vom 21. März 1973 die Entscheidung über die Klage aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EGH) zwei Fragen zur Auslegung der Art. 8 und 11 der Verordnung (EWG) Nr. 19/62 - VO (EWG) 19/62 - zur Vorabentscheidung vor.

Die Klägerin begründet ihre Beschwerde gegen diesen Beschluß im wesentlichen wie folgt. Soweit sich die Beschwerde gegen die Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO richte, ergebe sich die Zulässigkeit der Beschwerde aus § 128 Abs. 2 zweiter Halbsatz FGO. Auch soweit sie sich gegen die Vorlage an den EGH richte, sei sie zulässig, da sich in der FGO kein Ausschluß einer Beschwerde gegen Vorlagen an den EGH finde. Ein Rechtsmittel sei auch nicht durch allgemeine Rechtsgrundsätze ausgeschlossen, wie Rechtsprechung und Literatur hinsichtlich der Vorlagen an das BVerfG nach Art. 100 GG einhellig annähmen. Das BVerfG prüfe in gewissen Grenzen nach, ob die ihm vorgelegte Frage für den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens erheblich sei oder nicht, während der EGH eine derartige Prüfung nicht vornähme. Dieser Unterschied mache es notwendig, daß in letzterem Falle die oberen nationalen Gerichte die Filterfunktion übernähmen. Die dem EGH vorgelegten Fragen seien nicht entscheidungserheblich, weil die erste Vorlagefrage bereits beantwortet sei, die Vorschrift, auf die sich die zweite Frage beziehe (Art. 8 Abs. 1 der VO (EWG) 19/62), weder der Auslegung bedürfe noch auslegungsfähig sei. Die Klägerin sei auch beschwert. Die Sache sei entscheidungsreif, deshalb habe die Klägerin gem. Art. 19 Abs. 4 GG einen Anspruch auf ein Urteil in der Sache. Die Beschwerde sei auch begründet.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unzulässig.

Zwar ist gegen Beschlüsse des FG, die mit oder ohne ausdrückliche Aussetzung des Klageverfahrens dem EGH Fragen des Gemeinschaftsrechts zur Vorabentscheidung vorlegen, die Beschwerde gegeben. Nach § 128 Abs. 1 FGO steht gegen die Entscheidungen des FG, die nicht Urteile oder Vorbescheide sind, den Beteiligten die Beschwerde an den BFH zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Abs. 2 a. a. O. nimmt von dieser Regelung bestimmte Entscheidungen aus, was jedoch nicht für Beschlüsse über die Aussetzung des Verfahrens gilt. Ein Beschluß über die Vorlage von Fragen des Gemeinschaftsrechts an den EGH, wodurch ein Zwischenstreit vor diesem eingeleitet wird, ist neben den genannten Ausnahmen nicht besonders erwähnt und fällt auch nicht etwa unter eine von diesen. Soweit er gleichzeitig die ohnehin mit ihm gegebene Aussetzung des Verfahrens ausspricht, von der Art. 20 des Protokolls über die Satzung des EGH ausgeht, fällt er unter § 128 Abs. 2 zweiter Halbsatz FGO, der sich nicht auf eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO beschränkt. Die durch Art. 100 GG den Gerichten ohne Unterschied der Gerichtsbarkeit zur Pflicht gemachte Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das BVerfG ist eine verfassungsrechtliche Sonderregelung, die den Vorschriften der besonderen Verfahrensordnungen vorgeht; ferner geht es hierbei stets um die Gültigkeit einer Norm, die für alle einschlägigen Fälle verbindlich ist, und hat die Entscheidung des BVerfG darüber Gesetzeskraft, während es bei der Vorlage an den EGH meist um die Auslegung von Gemeinschaftsnormen geht und die getroffene Entscheidung nur für den Streitfall verbindlich ist. Die für die Vorlage an das BVerfG in Rechtsprechung und Schrifttum entwickelten Rechtsgrundsätze können daher hinsichtlich der Anfechtbarkeit nicht auf die Fälle der Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse, die unter die besonderen Verfahrensordnungen fallen, übertragen werden. Auch Normen des Gemeinschaftsrechts aber schließen eine Beschwerde nicht aus. Bereits in seinem Urteil vom 6. April 1962 Rs. 13/61 (EGHE VIII - 1962 -, 97 [110]) hat der EGH entschieden, daß der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft der innerstaatlichen Revisionsinstanz nicht verbiete, über Rechtsmittel gegen Vorlagebeschlüsse zu befinden, sondern die Entscheidung über deren Zulässigkeit dem innerstaatlichen Recht und dem nationalen Gericht überlasse.

Auf der anderen Seite ergibt sich aber hinsichtlich der Zulässigkeit einer Beschwerde gegen einen Vorlagebeschluß eine wesentliche Einschränkung. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist u. a. , daß eine Beschwer vorliegt. Eine solche ist aber nicht lediglich deshalb gegeben, weil das Gericht eine Vorabentscheidung einholt, anstatt ohne eine solche zu entscheiden. Während nämlich eine Aussetzung des Verfahrens aus einem anderen Grunde (z. B. nach § 74 FGO oder § 246 ZPO) den Fortgang des Verfahrens verhindert, dient die Vorlage an den EGH einer Fortsetzung des Verfahrens, wenn auch in Form eines Zwischenstreits. Sie ist somit ein Schritt in Richtung auf eine Endentscheidung. Insofern ähnelt sie den in § 128 Abs. 2 FGO genannten Maßnahmen, deren Durchführung ebenfalls eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, die aber gleichwohl nicht angefochten werden können. Der mit der Durchführung verbundene Zeitaufwand würde nämlich nicht dadurch beseitigt, daß durch die Einlegung eines Rechtsmittels an die Stelle der Durchführung ein Strei darüber, ob die Durchführung stattfinden solle, eingeleitet werden könnte. Daher kann, auch wenn die in einem Vorlagebeschluß aufgeworfenen Fragen für das Ausgangsverfahren nicht entscheidungserheblich sein sollten - der EGH selbst berücksichtigt nur seltene Ausnahmefälle (vgl. dazu Urteile vom 19. Dezember 1968 Rs. 13/68, EGHE XIV - 1968 -, 679 [690], und vom 3. März 1971 Rs. 51/70, EGHE XVII - 1971 -, 121 [128]) -, in dem Vorlagebeschluß bloß wegen des Zeitaufwands für den Zwischenstreit noch keine Beschwer gesehen werden. Eine solche liegt vielmehr erst in einer Auswirkung des Vorlagebeschlusses in Form einer für die eine oder andere Partei ungünstigeren Entscheidung des Rechtsstreits. Nur wenn aus besonderen Gründen die Vorlage selbst schon den Eintritt eines rechtlichen Nachteils herbeiführt, enthält sie eine Beschwer, so daß diese notwendige Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels vorliegt.

Im Streitfalle begründet die Klägerin - abgesehen von ihren Ausführungen zur Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit eines Rechtsmittels - ihre Beschwerde damit, daß eine Vorlage an den EGH nicht erforderlich sei. Der Umstand, daß der EGH eine Prüfung in dieser Hinsicht nach Gemeinschaftsrecht nicht als seine Aufgabe ansieht, nötigt nicht zu der Folgerung, daß sie nach innerstaatlichem Recht durch das im Instanzenzuge übergeordnete nationale Gericht vorzunehmen sei. Wegen der oben erwähnten Unterschiede zwischen dem Verfahren nach Art. 100 GG und dem nach Art. 177 EWGV kann dies auch nicht daraus gefolgert werden, daß die Prüfung einer Vorlage auf Entscheidungserheblichkeit durch das BVerfG vorgenommen werde, nicht aber durch den EGH. Mit der Notwendigkeit einer Prüfung der Vorlage auf Entscheidungserheblichkeit kann demnach die Zulässigkeit einer Beschwerde nicht begründet werden.

Da im Streitfall weder dargelegt ist, daß der vorlagebeschluß selbst bereits einen Rechtsnachteil für die Klägerin herbeiführt, noch ein solcher Nachteil ersichtlich ist, war die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70206

BStBl II 1973, 761

BFHE 1974, 12

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