Entscheidungsstichwort (Thema)

Zahlungen nach Auflösung einer Kapitalgesellschaft als nachträgliche Anschaffungskosten der Beteiligung

 

Leitsatz (NV)

Als nachträgliche Anschaffungskosten der wesentlichen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft kommen auch Zahlungen in Betracht, die der Gesellschafter einer GmbH nach dem Beschluß über die Auflösung der Gesellschaft (ohne zuvor begründete Verpflichtung) zur Tilgung von Verbindlichkeiten der GmbH leistet.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; EStG § 17; AO 1977 § 175 S. 1

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) war bis zum Streitjahr 1987 Gesellschafterin der A-GmbH (GmbH). Das Stammkapital von 60 000 DM wurde im Jahr 1982 auf 250 000 DM erhöht. Am Stammkapital der GmbH waren die Klägerin und ihre Tochter T je zur Hälfte beteiligt. Zu Beginn der 80er Jahre erlitt die GmbH erhebliche Verluste, die zu einer Überschuldung der Gesellschaft führten. Die Gesellschafterinnen beschlossen am 5. August 1986, die GmbH zu liquidieren. Der Beschluß wurde am 8. Februar 1988 in das Handelsregister eingetragen. Für das Rumpfwirtschaftsjahr vom 1. Juli 1986 bis 31. Dezember 1986 ermittelte die GmbH einen Verlust von 737 396,40 DM. Um den Konkurs der Gesellschaft abzuwenden, stellten die Gesellschafterinnen der GmbH die zur Befriedigung der Gläubiger erforderlichen Mittel auch noch nach dem 5. August 1986 zur Verfügung.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1987 machte die Klägerin einen Veräußerungsverlust nach §17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 988 583,18 DM geltend, den sie wie folgt berechnete:

Anschaffungskosten der Beteiligung:

Stammeinlage 125 000,00 DM

Gesellschafterdarlehen 1 359 139,67 DM

1 484 139,67 DM

. /. Anteil am Betriebsvermögen

lt. Bilanz zum

31. Dezember 1987 495 556,49 DM

Veräußerungsverlust 988 583,18 DM

Bei dem als "Gesellschafterdarlehen" bezeichneten Betrag handelt es sich um verschiedene Zahlungen, die die Klägerin im Zeitraum vom 9. Februar 1983 bis zum Oktober 1987 an die GmbH geleistet hat, sowie um die Zahlung des Mietzinses der Monate August bis Dezember 1986 in Höhe von 145 000 DM für die GmbH und die Tilgung einer Darlehensverbindlichkeit der GmbH bei der X-Bank in Höhe von 140 406,55 DM.

Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) lehnte es ab, den geltend gemachten Verlust nach §17 EStG zu berücksichtigen.

Der Einspruch der Klägerin hatte zum Teil Erfolg. Das FA erkannte nunmehr einen Verlust gemäß §17 EStG in Höhe von 125 000 DM an und setzte die Einkommensteuer auf 12 263 DM fest. Den Verlust der Gesellschafterdarlehen erkannte das FA weiterhin nicht als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung an.

Die Klage, mit der die Klägerin beantragte, die Einkommensteuer für das Streitjahr auf null DM festzusetzen, hatte Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) vertrat die Ansicht, bei der Ermittlung des Veräußerungsverlustes nach §17 EStG seien jedenfalls die von der Klägerin im Liquidationsverfahren zur Tilgung der Verbindlichkeiten der GmbH geleisteten Zahlungen als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung anzusehen. Da bereits die Berücksichtigung dieser Beträge zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von null DM führe, brauche im Streitjahr nicht geprüft zu werden, ob auch die in den Vorjahren geleisteten Zahlungen an die GmbH als nachträgliche Anschaffungskosten zu qualifizieren seien.

Das FG hat die Revision nicht zugelassen.

Das FA hat gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde eingelegt, der das FG nicht abgeholfen hat.

Die Revision sei nach §115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen. Die im Streitfall entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob die nach dem Beschluß über die Liquidation zur Tilgung von Verbindlichkeiten einer GmbH geleisteten Zahlungen des wesentlich beteiligten Gesellschafters in die Ermittlung eines Veräußerungsverlusts nach §17 EStG einbezogen werden dürfen, habe grundsätzliche Bedeutung.

Die Klärung dieser Frage sei aus rechtssystematischen Gründen, aber auch für die einheitliche Anwendung des Rechts bedeutsam. Sie sei höchstrichterlich bisher nicht entschieden. Das angefochtene Urteil stütze sich vor allem auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. Juni 1995 VIII R 68/93 (BFHE 178, 160, BStBl II 1995, 722). Aus diesem Urteil ergebe sich jedoch keine Klärung der dem Streitfall zugrundeliegenden Rechtsfrage, da im Urteilsfall des BFH vor der Veräußerung eine Kapitalerhöhung erfolgt sei.

Die Klägerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Es kann dahinstehen, ob das FA die grundsätzliche Bedeutung der Sache i. S. von §115 Abs. 3 Satz 3 FGO ausreichend dargelegt hat, da die Beschwerde jedenfalls unbegründet ist. Grundsätzliche Bedeutung i. S. des §115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt einer Sache nur zu, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage klärungsbedürftig ist. Daran fehlt es im Streitfall.

Die Rechtsfrage, ob Zahlungen, die ein wesentlich beteiligter Gesellschafter einer GmbH nach dem Beschluß über die Auflösung der Gesellschaft (ohne zuvor begründete Verpflichtung) zur Tilgung von Verbindlichkeiten der GmbH leistet, als nachträgliche Anschaffungskosten der Beteiligung zu berücksichtigen sind, kann anhand der bereits vorliegenden Rechtsprechung des erkennenden Senats beantwortet werden.

Der Senat hat wiederholt entschieden, daß der Begriff der Anschaffungskosten in §17 Abs. 2 EStG weit auszulegen ist (BFH-Urteile vom 27. Oktober 1992 VIII R 87/89, BFHE 170, 53, BStBl II 1993, 340; vom 18. August 1992 VIII R 13/90, BFHE 169, 90, BStBl II 1993, 34). Er umfaßt nicht nur die zum Erwerb der Beteiligung aufgewendeten Kosten, sondern auch nachträgliche Aufwendungen des Anteilseigners, soweit sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlaßt sind und weder Werbungskosten i. S. der §§9, 20 EStG noch Veräußerungskosten sind (L. Schmidt, Einkommensteuergesetz, 16. Aufl., §17 Rz. 156, 163, m. w. N.). Nachträgliche Anschaffungskosten können, wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat, auch noch nach dem Beschluß über die Auflösung der Kapitalgesellschaft anfallen (Urteile in BFHE 170, 53, BStBl II 1993, 340; vom 3. Juni 1993 VIII R 81/91, BFHE 172, 407, BStBl II 1994, 162; vom 8. Dezember 1992 VIII R 99/90, BFH/NV 1993, 654). Bis zur Beendigung der Liquidation besteht die aufgelöste GmbH fort (§69 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung). Sie erlischt erst mit dem Abschluß des Liquidationsverfahrens. Leisten die Gesellschafter während des Liquidationsverfahrens freiwillig oder aufgrund einer vorangegangenen rechtlichen Verpflichtung Zahlungen, um einen Konkurs über das Gesellschaftsvermögen abzuwenden, sind diese Aufwendungen grundsätzlich bei der Ermittlung des Liquidationsverlustes als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung zu berücksichtigen (BFH-Urteil in BFHE 178, 160, 165, BStBl II 1995, 722). Es ist unerheblich, ob die Zahlung auf einer vor dem Beschluß über die Auflösung begründeten Verpflichtung des Gesellschafters beruht. Die gegenteilige Auffassung des FG Düsseldorf (vgl. Urteile vom 9. Mai 1989 8 K 141/85 E, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1989, 459, und vom 17. Juli 1996 4 K 2511/92 E, EFG 1996, 1035), auf die sich das FA zur Begründung seiner Beschwerde beruft, ist durch die neuere Rechtsprechung des BFH zu §17 EStG überholt. Entgegen der Ansicht des FG Düsseldorf in den genannten Urteilen kann es sich für seine Auffassung auch nicht auf das Urteil des erkennenden Senats vom 9. September 1986 VIII R 95/85 (BFH/NV 1986, 731) stützen. In der Entscheidung in BFH/NV 1986, 731 war streitig, ob nachträgliche Änderungen der für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns nach §17 EStG maßgeblichen Rechengrößen zu einer Berichtigung der Einkommensteuerveranlagung des Jahres der Veräußerung nach §175 der Abgabenordnung (AO 1977) führen oder erst im Jahr des nachträglichen Zu- oder Abflusses von Aufwendungen oder Erträgen einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen sind. Der Senat hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, eine Änderung des Einkommensteuerbescheides für das Jahr der Veräußerung gemäß §175 Satz 1 AO 1977 sei "jedenfalls" in den Fällen geboten, in denen die spätere Änderung des Veräußerungsgewinns durch einen Umstand begründet worden sei, der dem Veräußerungsvorgang zeitlich vorausgegangen sei, wie z. B. bei der Inanspruchnahme des Gesellschafters aus einer vor der Veräußerung übernommenen Bürgschaft. Im vorliegenden Fall sind die streitigen Aufwendungen zweifelsfrei vor dem für die Ermittlung des Liquidationsverlusts maßgeblichen Zeitpunkt getätigt worden, so daß die Einschränkung, die der Senat im Urteil in BFH/NV 1986, 731 für die Berücksichtigung nachträglicher Aufwendungen im Rahmen des §17 Abs. 2 EStG gemacht hat, hier schon deshalb nicht eingreift (zur Berücksichtigung nachträglicher Ereignisse bei der Gewinnermittlung des Veräußerungsgewinns vgl. jetzt auch BFH-Beschluß vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897).

 

Fundstellen

Haufe-Index 67228

BFH/NV 1998, 955

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