Leitsatz

Unter den Begriff der "negativen Summen" in § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 fallen keine Verluste, die tatsächlich wirtschaftlich erzielt werden (sog. "echte" Verluste).

 

Normenkette

§ 2 Abs. 3 EStG 1999

 

Sachverhalt

Die Kläger – zusammen veranlagte Ehegatten – hatten im Jahr 1997 eine GmbH & Co. KG gegründet, die in der Anlaufphase ihrer Tätigkeit ausschließlich negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG) erzielte.

Das FA ließ von dem einheitlich und gesondert festgestellten Gewerbeverlust lediglich einen nach § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG ermittelten Teilbetrag zum Verlustausgleich mit anderen positiven Einkünften der Kläger zu. Hiergegen wandten sich die Kläger, die den Ausgleich aller Verluste begehrten. Sie trugen vor, dass ihnen durch die teilweise Nichtberücksichtigung der gewerblichen Verluste nicht einmal das Existenzminimum verbleibe.

Das FG (FG Berlin, Urteil vom 12.09.2005, 8 K 6331/01, Haufe-Index 1454351, EFG 2006, 127) wies die Klage ab.

 

Entscheidung

Der BFH hob diese Entscheidung auf und gab der Klage statt. Denn bei den einheitlich und gesondert festgestellten Verlusten der Kläger aus der gewerblichen Tätigkeit der KG handelt es sich um tatsächlich wirtschaftlich erzielte – und damit um echte – Verluste.

 

Hinweis

1. Der BFH hat in diesem zweiten Grundsatzurteil (zu dem Rücktragsfall vgl. die Kommentierung zu BFH, Urteil vom 09.03.2011, IX R 72/04, BFH/NV 2011, 1219, BFH/PR 2011, 293) über die Auslegung einer Norm zur sog. Mindestbesteuerung entschieden, die er ursprünglich als unverständlich beurteilt und deshalb wegen Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Normenklarkeit dem BVerfG vorgelegt hatte.

Das BVerfG hat den Vorlagebeschluss des BFH als unzulässig verworfen (BVerfG, Beschluss vom 12.10.2010, 2 BvL 59/06, BFH/NV 2010, 2387), sodass der BFH nun zur Anwendung der Vorschrift verpflichtet war. Er ist dieser Verpflichtung nachgekommen und hat § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/­2000/2002 (StEntlG) als sedes materiae der "quellenbezogenen Mindestbesteuerung" ausgelegt.

2. Einer Auslegung bedarf die Norm, denn – so der BFH in bemerkenswerter Klarheit – der Wortlaut der Norm transportiert für sich genommen keinen eindeutigen Sinn. § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG sieht in seinem S. 3 vor, dass die Summe der positiven Einkünfte, soweit sie den Betrag von 100 000 DM übersteigt, durch "negative Summen der Einkünfte" aus anderen Einkunftsarten nur bis zur Hälfte zu mindern ist. Der Begriff der "negativen Summen der Einkünfte" wird in der Fachliteratur einhellig als nicht eindeutig angesehen. Ob er – wie überwiegend angenommen – mit der "Summe der negativen Einkünfte" gleichgesetzt werden kann, ist dem Wortlaut der Norm allein jedoch nicht zu entnehmen.

Insbesondere wird schon nicht deutlich, ob mit den "negativen Summen" das negative Ergebnis nach der Zusammenfassung aller Einkünfte gemeint sein soll (dann müsste von der "Summe", nicht von den "Summen" die Rede sein) oder ob der Begriff das negative Ergebnis nach der Zusammenfassung lediglich der negativen Einkünfte meint (dann müsste indes von der "Summe der negativen Einkünfte" die Rede sein) oder ob das negative Ergebnis mehrerer negativer Einkunftsquellen einer Einkunftsart gemeint ist – dann müsste von der "negativen Summe der (negativen) Einkünfte verschiedener Einkunftsquellen einer Einkunftsart" die Rede sein.

Unbeschadet der Frage, ob eine der genannten Auslegungsvarianten bei der Deutung des Wortlauts des § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG den Vorzug genießen könnte, widersprächen sie doch der Grundsystematik des Verhältnisses zwischen § 2 Abs. 2 und Abs. 3 EStG. Auch wenn der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit eine solche grundlegende Änderung in der Systematik des § 2 EStG vornehmen könnte, müsste eine solche doch hinreichend klar aus dem Wortlaut einer Neuregelung zu entnehmen sein.

3. Also auslegen, aber wie, wenn der Wortlaut kaum einen Sinn transportiert? Jedenfalls ist der Begriff der "negativen Summen der Einkünfte" nicht mit der "Summe der negativen Einkünfte" gleichzusetzen. Er wird an keiner anderen Stelle im EStG in einem vergleichbaren Zusammenhang verwendet, beruht aber nicht auf einem Redaktionsversehen. Denn das Gesetz gebraucht den Begriff der "Summe der negativen Einkünfte" durchaus konsistent. Verwendet der Gesetzgeber dann aber in der endgültigen Gesetzesformulierung den bisher nicht näher konkretisierten und im Gesetzgebungsverfahren bis dahin nicht verwendeten Begriff der "negativen Summen", kann nicht angenommen werden, er habe dies nicht wissentlich oder nicht willentlich getan. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber mit Blick auf die von ihm selbst bereits in der Gesetzesbegründung dargelegten verfassungsrechtlichen Grenzen einer Verlustverrechnungsbeschränkung diese – sicher unglückliche – Formulierung gewählt hat, um dem Gesetzesziel, eine verfassungskonforme Mindestbesteuerung zur Abwehr jener Absch...

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