Leitsatz

Aufwendungen für eine Liposuktion bei Lipödem können auch ohne zuvor erstelltes amtsärztliches Gutachten oder einer Bescheinigung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein.

 

Sachverhalt

Streitig war, ob Kosten einer Liposuktion bei Lipödem im Jahr 2017 als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG berücksichtigt werden können. Bei der Steuerpflichtigen wurde bereits im Jahr 2012 "Lipohypertrophie vom Ganzbeintyp Stadium I Typ IVb diagnostiziert". Im Jahr 2016 bescheinigte eine privatärztliche Praxis für Operative Lymphologie, dass die Steuerpflichtige seit mehreren Jahren an einem Lipödem leide und die Erkrankung weder durch Ernährung noch durch Sport positiv zu beeinflussen sei. Es bestehe eine deutliche Einschränkung im täglichen Leben. Als Therapie der Wahl zur Verhinderung der Chronizität gelte daher eine Lymphologische Liposculptur. I

m Streitjahr 2017 wurde die Steuerpflichtige dreimal operiert. Eine Kostenerstattung der Krankenkasse erfolgte nicht, da der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in seinen Richtlinien keine Empfehlungen zu dieser Methode gegeben hatte. In ihrer Einkommensteuererklärung 2017 beantragte die Steuerpflichtige u.a. die Berücksichtigung von Aufwendungen für die ärztliche Behandlung mittels Liposuktion als außergewöhnliche Belastung. Das Finanzamt versagte den begehrten steuermindernden Abzug, da kein vor der Behandlung erstelltes amtsärztliches Attest vorlag.

 

Entscheidung

Das FG hat der Klage stattgegeben und die geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG anerkannt.

Gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 Buchst. f EStDV hat der Steuerpflichtige den Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendung bei wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethoden wie z. B. Frisch- und Trockenzellenbehandlung, Sauerstoff, Chelat- und Eigenbluttherapie durch ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zu führen. Dieser Nachweis gemäß § 64 Abs. 1 Satz 2 EStDV muss vor Beginn der Heilmaßnahme ausgestellt worden sein. Um zu beurteilen, ob eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode vorliegt, ist es Aufgabe des Finanzamtes, diese Voraussetzungen bezogen auf den Zeitpunkt der zu beurteilenden Behandlung, zu prüfen. Das Finanzamt und das Gericht können sich hierfür auf allgemein zugängliche Fachgutachten stützen. Will das FG von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, muss es die Beteiligten auf diese Absicht hinweisen und ihnen die entsprechenden Unterlagen zugänglich machen.Im Streitfall hatte das FG keine wissenschaftliche Publikation finden können, die der Liposuktion bei Lipödem einen medizinischen Nutzen für die erkrankten Frauen abspricht.

Mit den "Katalogmethoden" des § 64 Abs. 1 Satz 2 EStDV, die nicht nur zur Heilung von Krankheiten eingesetzt werden können, sondern auch als eine "den Organismus nur kräftigende vorbeugende Maßnahme" darstellen, ist die Liposuktion bei Lipödem nach Auffassung des FG nicht einmal ansatzweise vergleichbar und zwar weder im Hinblick auf die wissenschaftliche Anerkennung der Methode noch im Hinblick auf das zugrunde liegende Krankheitsbild und den damit einhergehenden Leidensdruck der betroffenen Frauen. Bei der Liposuktion handelt es sich auch um keine kosmetische Operation, die nicht medizinisch indiziert ist.Die vorliegenden Entscheidungen (so insbesondere BFH, Urteil v. 18.6.2015, VI R 68/14, BStBl. 2015 II S. 803) sind für weiter zurückliegende Streitjahre ergangen und daher auf das Streitjahr 2017 nicht übertragbar. Denn im maßgebenden Streitjahr 2017 haben sich nach den Ermittlungen des FG weiterführende medizinische Erkenntnisse ergeben, die gegen die Annahme einer "nicht wissenschaftlich anerkannten Behandlungsmethode" sprechen.

 

Hinweis

Das FG hat die Revision zugelassen, die das Finanzamt vermutlich auch einlegen wird. Die Besonderheit des Streitfalles liegt darin, dass es sich nicht um ein steuerrechtliches Problem handelt, sondern um die Beurteilung einer Behandlungsmethode im medizinischen Bereich als "wissenschaftlich anerkannt", wobei die bislang vorliegende Rechtsprechung dies verneint hatte. Allerdings lagen die hierfür maßgeblichen Beurteilungszeiträume einige Jahre vor dem Streitjahr, so dass die medizinische Entwicklung - so das FG - nun zu einer anderen Einschätzung führen musste. Schon der Umfang der Urteilsbegründung und die vom FG vorgenommene Recherche im medizinischen Bereich macht die Komplexität der Problematik deutlich, die vom Finanzamt, dem die Beweislast obliegt, ohne spezifische Sachkenntnis bewältigt werden muss.

 

Link zur Entscheidung

Sächsisches FG, Urteil v. 10.09.2020, 3 K 1498/18

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