Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung, Lieferung von Zahnersatz, innergemeinschaftlicher Erwerb von Zahnersatz, Vorsteuerabzug
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 168 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2007/75/EG des Rates vom 20. Dezember 2007 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass diese Vorschrift, wenn eine im nationalen Recht vorgesehene Befreiung mit der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2007/75 geänderten Fassung unvereinbar ist, es einem Steuerpflichtigen nicht erlaubt, sowohl von dieser Befreiung Gebrauch zu machen als auch das Abzugsrecht in Anspruch zu nehmen.
2. Die Art. 140 Buchst. a und b und 143 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2007/75 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass die nach diesen Vorschriften vorgesehene Befreiung von der Mehrwertsteuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb und die endgültige Einfuhr von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker gilt, sofern der Mitgliedstaat der Lieferung oder der Einfuhr nicht von der in Art. 370 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2007/75 geänderten Fassung vorgesehenen Übergangsregelung Gebrauch gemacht hat.
3. Art. 140 Buchst. a und b der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2007/75 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die in dieser Vorschrift vorgesehene Befreiung von der Mehrwertsteuer auch für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Zahnersatz gilt, der aus einem Mitgliedstaat stammt, der von der Ausnahme- und Übergangsregelung von Art. 370 der Mehrwertsteuerrichtlinie Gebrauch gemacht hat.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 168, 140 Buchst. a, b, Art. 143 Abs. 1 Buchst. a
Beteiligte
Staatssecretaris van Financien |
Verfahrensgang
Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) (Beschluss vom 01.03.2013; ABl. EU 2013, Nr. C 178/2) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Mehrwertsteuer ‐ Abzüge ‐ Befreiungen ‐ Lieferungen von Zahnersatz“
In den verbundenen Rechtssachen C-144/13, C-154/13 und C-160/13
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidungen vom 1. und 8. März 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 21., 27. bzw. 28. März 2013, in den Verfahren
VDP Dental Laboratory NV
gegen
Staatssecretaris van Financiën(C-144/13),
Staatssecretaris van Financiën
gegen
X BV (C-154/13),
Nobel Biocare Nederland BV (C-160/13)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter S. Rodin und A. Borg Barthet (Berichterstatter), der Richterin M. Berger sowie des Richters F. Biltgen,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. Mai 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der VDP Dental Laboratory NV, vertreten durch R. Oorthuizen, belastingadviseur,
‐ der Nobel Biocare Nederland BV, vertreten durch G. C. Bulk, adviseur,
‐ der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman, M. Noort und J. Langer als Bevollmächtigte,
‐ der estnischen Regierung, vertreten durch N. Grünberg als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Cordewener und E. Manhaeve als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 4. September 2014
folgendes
Urteil
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 17 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 2005/92/EG des Rates vom 12. Dezember 2005 (ABl. L 345, S. 19) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie) sowie der Art. 140 Buchst. a und b und 143 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2007/75/EG des Rates vom 20. Dezember 2007 (ABl. L 346, S. 13) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) in Verbindung mit Art. 132 Abs. 1 Buchst. e und Art. 370 dieser Richtlinie.
Rz. 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von drei Rechtsstreitigkeiten zwischen zum einen der VDP Dental Laboratory NV (im Folgenden: VDP) und dem Staatssecretaris van Financiën (im Folgenden: Staatssecretaris) und zum anderen dem Staatssecretaris auf der einen und X BV sowie der Nobel Biocare Nederland BV auf der anderen Seite wegen der Erhebung der Mehrwertsteuer in den Jahren 2006 und 2008.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Ausgangsverfahren betreffen die Erhebung der Mehrwertsteuer in den Jahren 2006 und 2008. Deshalb sind die Sechste Richtlinie und die Mehrwertsteuerrichtlinie einschlägig. Im Einzelnen sind je nach dem betroffenen Zeitraum entweder di...