Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug bei nicht mehr vorhandenen Originalrechnungen
Leitsatz (redaktionell)
In dem Verfahren ging es um die Frage, ob das Vorsteuerabzugsrecht auch dann ausgeübt werden kann, wenn der Unternehmer nur noch über Zweitschriften oder Kopien der Rechnungen statt der Originale verfügt.
Nach dem Urteil können die Mitgliedstaaten verlangen, daß das Vorsteuerabzugsrecht durch die Vorlage von Originalrechnungen nachgewiesen wird. Besitzt der Unternehmer eine Originalrechnung nicht mehr, können die Mitgliedstaaten andere Nachweise zulassen, aus denen sich ergibt, daß der Eingangsumsatz tatsächlich stattgefunden hat. Das Urteil bestätigt die Praxis des deutschen Umsatzsteuerrechts.
Beteiligte
Nachgehend
Gründe
Urteil des Gerichtshofes
(Fünfte Kammer)
„Mehrwertsteuer – Auslegung des Artikels 18 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG – Vorsteuerabzug – Verpflichtung des Steuerpflichtigen – Besitz einer Rechnung”
In der Rechtssache C-85/95
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Bundesfinanzhof in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
John Reisdorf
gegen
Finanzamt Köln-West
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 18 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 11. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitIiche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABI. L 145, S. 1)
erläßt
Der Gerichtshof
(Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida (Berichterstatter), der Richter C. Gulmann, D. A. O. Edward, J.-P. Puissochet und P. Jann,
Generalanwalt: N. Fennelly
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
von John Reisdorf, vertreten durch Steuerberater Hans-Peter Taplick,
der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat Ernst Röder und Oberregierungsrat Bernd Kloke, beide Bundesministerium für Wirtschaft, als Bevollmächtigte,
der griechischen Regierung, vertreten durch Vassileios Kontolaimos, beigeordneter Rechtsberater im Juristischen Dienst des Staates, und Dimitra Tsagkarakis, Beraterin des Staatssekretärs für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte,
der französischen Regierung, vertreten durch Catherine de Salins, stellvertretende Direktorin in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, und Anne de Bourgoing, Chargé de mission in dieser Direktion, als Bevollmächtigte,
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Stephen Braviner, Treasury SoIicitor's Department, als Bevollmächtigten, Beistand: Barrister Sarah Lee,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater Jürgen Grunwald als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von John Reisdorf, vertreten durch Rechtsanwalt Rainer Olschweski, Köln, der deutschen Regierung, vertreten durch Ernst Röder, der griechischen Regierung, vertreten durch Vassileios Kontolaimos, der französischen Regierung, vertreten durch Frédéric Pascal, Attaché der Zentralen Verwaltung in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, aIs Bevollmächtigten, und der Kommission, vertreten durch Jürgen Grunwald, in der Sitzung vom 20. Juni 1996,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Juli 1996,
folgendes
Urteil
1 Der Bundesfinanzhof hat mit BeschIuß vom 12. Oktober 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 20. März 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung des Artikels 18 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABI. L 145, S. 1, im folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen John Reisdorf (Kläger) und dem Finanzamt Köln-West, in dem es darum geht, ob der Kläger von der Pflicht zur Vorlage der Originalrechnungen über die Mehrwertsteuerbeträge, deren Abzug er begehrt, befreit werden kann.
3 Artikel 17 Absätze 1 und 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie, der das Recht auf Vorsteuerabzug regelt, bestimmt:
„(1) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.
(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
- die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geIiefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden.”
4 Artikel 18 Absatz 1 ...