Leitsatz (amtlich)
Auf Aufwendungen für Anschaffungen von Wirtschaftsgütern, welche die Lebensführung des Investors oder anderer Personen berühren, kann nach § 19 BerlinFG Investitionszulage insoweit nicht gewährt werden, als sie nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als unangemessen anzusehen sind.
Normenkette
BerlinFG § 19; EStG 1969 § 4 Abs. 5 S. 2
Tatbestand
Umstritten ist die Investitionszulagefähigkeit eines Perserteppichs und einer -brücke für das Büro eines Rechtsanwalts und Notars.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb im Jahre 1970 für seine Rechtsanwalts- und Notarpraxis einen Perserteppich für 19 610 DM und eine Perserbrücke für 4 028 DM. Für beide Wirtschaftsgüter nahm er Investitionszulage in Anspruch. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) lehnte den Antrag ab, weil die Teppiche nicht zum notwendigen Betriebsvermögen gehörten. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen; dagegen hatte die Klage Erfolg. Das FG hat seine Entscheidung wie folgt begründet (EFG 1973, 6):
Da die Teppiche ausschließlich betrieblich benutzt würden, gehörten sie zum Betriebsvermögen. Auf die Höhe der Aufwendungen und ihre Angemessenheit komme es hierbei nicht an. Dem stehe auch nicht die Vorschrift des § 4 Abs. 5 Satz 2 EStG entgegen, wonach unangemessen hohe Aufwendungen bei der Gewinnermittlung unberücksichtigt bleiben. Ob diese Vorschrift auf § 19 BerlinFG übertragen werden könne, obwohl eine entsprechende Sondervorschrift fehle, brauche nicht entschieden zu werden, weil die Aufwendungen für die Teppiche angemessen seien. Von einer Unangemessenheit sei nur auszugehen, wenn sie zweifelsfrei vorliege (Hinweis auf Blümich-Falk, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Anm. 28 zu § 4; Abschn. 20 Abs. 12 der Einkommensteuer-Richtlinien). Dies sei nicht der Fall. Die hohen Aufwendungen seien wegen der langen Haltbarkeit und der repräsentativen, schmückenden Wirkung der Teppiche sowie im Hinblick auf die Klientel des Klägers gerechtfertigt und entsprächen den Gepflogenheiten in vergleichbaren Anwaltspraxen, zumal der Kläger bei geringen Praxiskosten hohe Gewinne erzielt habe. Bei den Teppichen handele es sich auch trotz ihrer langen Haltbarkeit um abnutzbare Wirtschaftsgüter. Sie seien neu gewesen, wie den Angaben des Verkäufers auf den Rechnungen zu entnehmen sei.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA mit folgender Begründung: Da die betriebliche Funktion der Teppiche von untergeordneter Bedeutung sei, gehörten sie nicht zum Betriebsvermögen des Klägers. Ausschlaggebend für ihre Anschaffung seien allein die persönliche Einstellung des Klägers, sein persönlicher Lebensstil und das Bedürfnis gewesen, diesem Stil nach außen Ausdruck zu verleihen. Es widerspreche zudem dem Zweck des Berlinförderungsgesetzes, die Berliner Wirtschaftskraft zu stärken, die Anschaffung derartiger Teppiche zu fördern. Zum mindesten aber müßten die unangemessenen Aufwendungen nach den Regeln des § 4 Abs. 5 Satz 2 EStG 1969 ausgesondert werden.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision hat zum Teil Erfolg.
Gemäß § 19 Abs. 1 und 2 BerlinFG können Unternehmer i. S. des § 2 UStG 1967 - Mehrwertsteuer -, die in Berlin (West) einen Betrieb haben, für neue abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens eine Investitionszulage erhalten, die 10 v. H. der Anschaffungskosten beträgt. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß diese Voraussetzungen vorliegen. Denn der Kläger ist Unternehmer i. S. des § 2 UStG 1967, und bei den beiden Teppichen handelt es sich um neue abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens. Das FA bestreitet nicht mehr, daß die Teppiche bei ihrem Erwerb neu waren und abnutzbare Wirtschaftsgüter sind. Zu Unrecht bestreitet das FA aber die Zugehörigkeit der Teppiche zum Betriebsvermögen des Klägers und damit zum Anlagevermögen. Maßgebend für die Zugehörigkeit der Teppiche zum Betriebsvermögen des Klägers ist allein, daß er sie zur Nutzung in seinem Anwaltsbüro bestimmt hat und sie dieser Bestimmung entsprechend genutzt werden. Ohne Bedeutung ist dagegen - worauf das FG zutreffend hingewiesen hat -, ob die Aufwendungen zur Anschaffung der Teppiche als Betriebsausgaben steuerlich anerkannt werden können. Grundsätzlich kann dem Kläger daher die beantragte Investitionszulage nicht verwehrt werden, wie das FA meint. Bei der Bemessung der Höhe der Investitionszulage hat das FG aber die Vorschrift des § 19 Abs. 1 BerlinFG unzutreffend ausgelegt. Die Höhe der Investitionszulage richtet sich nach der Höhe der Anschaffungskosten. Der Wortlaut des § 19 BerlinFG sieht zwar die Beschränkung auf einen geringeren Betrag als die tatsächlich entstandenen Anschaffungskosten nicht vor. Dabei kommt dem Wortlaut des Gesetzes wie im Steuerrecht auch im Investitionszulagerecht eine besondere Bedeutung zu, so daß mit einer Entscheidung entgegen dem Wortlaut zuungunsten des Steuerpflichtigen bzw. Antragstellers Zurückhaltung zu üben ist. Eine vom Wortlaut abweichende Auslegung des Gesetzes ist jedoch dann geboten, wenn die Auslegung nach dem Wortlaut offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers widerspricht, erkennbar zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt und allgemein anerkannte Auslegungsgrundsätze eine befriedigende Lösung ermöglichen, die dem Sinn und Zweck der Vorschrift gerecht ist. Der Senat ist der Auffassung, daß diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind. Es widerspricht offensichtlich dem Sinn und Zweck des Berlinförderungsgesetzes, für Anschaffungen von Wirtschaftsgütern eine Investitionszulage zu gewähren, welche die Lebensführung des Investors oder anderer Personen berühren, soweit sie nach allgemeiner Verkehrsauffassung als unangemessen anzusehen sind. Denn es ist nicht ersichtlich, inwiefern durch einen solchen unangemessenen Aufwand der Zweck des Berlinförderungsgesetzes, die West-Berliner Wirtschaft zu modernisieren und damit in ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, erreicht werden könnte. Der Gesetzgeber kann ein derartiges Ergebnis nicht gewollt haben. Es liegt eine sogenannte verdeckte Regelungslücke vor, die nach der Rechtsprechung in der Weise auszufüllen ist, daß dem Gesetz die vom Sinn und Zweck geforderte Einschränkung hinzugefügt wird (vgl. Urteil des BFH vom 21. Februar 1964 IV 26/62 S, BFHE 78, 490, BStBl III 1964, 188, mit Hinweisen auf weitere Entscheidungen und auf das Schrifttum, und BFH-Urteil vom 1. August 1974 IV R 120/70, BFHE 113, 357, BStBl II 1975, 12). Nach Auffassung des Senats ist die hier vorhandene Regelungslücke nach dem in § 4 Abs. 5 Satz 2 EStG 1969 enthaltenen Rechtsgedanken auszufüllen, weil dadurch eine Einschränkung erreicht wird, die dem Sinn und Zweck des Berlinförderungsgesetzes hinreichend Rechnung trägt.
Dementsprechend ist die Vorschrift des § 4 Abs. 5 Satz 2 EStG 1969 grundsätzlich auch für das Investitionszulagerecht von Bedeutung. Danach bleiben Aufwendungen, die die Lebensführung berühren, außer Betracht, soweit sie nach allgemeiner Verkehrsauffassung als unangemessen anzusehen sind.
Wann die Aufwendungen die Lebensführung des Steuerpflichtigen - im Investitionszulagerecht: des Antragstellers - berühren, ist gesetzlich nicht geregelt. Aus der Natur der Sache ergibt sich eine derartige Berührung jedoch stets dann, wenn nicht betriebliche oder berufliche Beweggründe die Aufwendungen in ihrer vollen Höhe hervorgerufen haben, sondern persönliche Motive, ohne die der Aufwand nicht entstanden oder niedriger ausgefallen wäre. Hiervon ist nach dem Wortlaut der Vorschrift stets dann auszugehen, wenn die Aufwendungen nach allgemeiner Verkehrsauffassung als unangemessen anzusehen sind.
Das FG hat die Aufwendungen des Klägers für die Teppiche als angemessen behandelt. Diese Auffassung des FG steht mit der allgemeinen Verkehrsauffassung i. S. des § 4 Abs. 5 Satz 2 EStG 1969 nicht im Einklang. Was unter der allgemeinen Verkehrsauffassung zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht erläutert. Immerhin ist der Begründung der Bestimmung (Drucksache des Deutschen Bundestags, 3. Wahlperiode, 1811, vom 30. April 1960 S. 8) zu entnehmen, daß die Unangemessenheit nicht nur nach der Verkehrsauffassung lediglich der beteiligten Wirtschaftskreise, sondern nach der Anschauung breitester Bevölkerungskreise beurteilt werden soll. Hierzu hat der III. Senat des BFH im Urteil vom 9. Dezember 1970 III R 3/69 (BFHE 101, 266, BStBl II 1971, 230) ausgeführt, daß diese Auffassung gerichtsbekannt sei, so daß es besonderer Feststellungen durch den Tatrichter nicht bedürfe. In dem vom Kläger zitierten Urteil vom 30. Juli 1971 III R 91/70 (BFHE 103, 227, BStBl II 1972, 26) hat der III. Senat seine Ansicht noch einmal bestätigt und zusätzlich ausgeführt, daß die Wertentscheidung, die die Rechtsordnung trifft, nicht der "Durchschnittsbürger". sondern der Richter zu verwirklichen und hierbei die ihm bekannte Auffassung unvoreingenommener und urteilsfähiger Staatsbürger zu beachten habe. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Er kann demzufolge über die Frage, ob die Aufwendungen des Klägers für die Teppiche unangemessen waren, selbst ohne weitere tatsächliche Feststellungen des FG entscheiden. Da es sich jedoch um eine komplexe Anschauung handelt, die keineswegs in jedem Falle eindeutig ist, bedarf es zu ihrer Feststellung der Abwägung aller für und gegen die Angemessenheit bzw. Unangemessenheit sprechenden Momente. Ausgangspunkt dieser Abwägung ist die im Steuerrecht geltende Regel, daß der Unternehmer selbst bestimmen kann, welche Aufwendungen für den Betrieb erforderlich sind. Dabei dürfen jedoch nur betriebliche Motive Grundlage seiner Erwägungen sein, persönliche Motive müssen dagegen außer Betracht bleiben. Bei Anschaffungen, die weitgehend die persönlichen Belange des Investors betreffen, so vor allem die Anschaffungen für die Einrichtung des eigenen Büros, muß derartigen persönlichen Motiven besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das FA hat in diesem Zusammenhang zutreffend auf die persönliche Einstellung, den persönlichen Lebensstil und das Bedürfnis, diesem Stil nach außen Ausdruck zu verleihen, hingewiesen. Fast immer wird in derartigen Fällen überhöhter Aufwendungen für das eigene Büro die Repräsentationsnotwendigkeit geltend gemacht. Es ist zwar richtig, daß auch Rechtsanwälte eine gewisse Repräsentation pflegen müssen. Dem erkennenden Senat erscheint jedoch ein Aufwand von annähernd 25 000 DM lediglich für einen Teppich und eine Brücke nicht mehr durch das anzuerkennende Repräsentationsbedürfnis des Klägers gerechtfertigt. Weitere betriebliche Motive für die Anschaffung der Teppiche sind nicht erkennbar. Im Hinblick auf den im Gesetz vorgesehenen Zeitraum von drei Jahren für das Verbleiben des Wirtschaftsguts im Betriebsvermögen kann es nicht darauf ankommen, ob der angeschaffte Teppich eine längere Gebrauchsdauer als andere Teppiche hat, worauf das FG seine Entscheidung u. a. gestützt hat. Bei großzügiger Beachtung der beruflichen Interessen des Klägers an einem ansehnlichen Bodenbelag hält der erkennende Senat Aufwendungen von insgesamt 5 000 DM für ausreichend. Alle weiteren Aufwendungen waren nach der Verkehrsanschauung unangemessen. Dementsprechend beträgt die dem Kläger auf die Anschaffung des Teppichs und der Brücke zu gewährende Investitionszulage 500 DM.
Der Kläger kann auch mit seinem Vorbringen über eine verbindliche Zusage des FA keine höhere Investitionszulage erhalten. Nach dem Tatbestand des FG-Urteils hat der Kläger in seinem Einspruchsschreiben vom 18. Juni 1971 nur darauf verwiesen, "daß ihm vor der Anschaffung der Teppiche fernmündlich die Zulagefähigkeit von der Sachbearbeiterin bestätigt worden sei". Dieses Vorbringen ist nicht schlüssig. Es ist ihm nicht zu entnehmen, daß eine verbindliche Zusage i. S. der Rechtsprechung vorliegt. Denn wenn ein Sachbearbeiter bei fernmündlicher Anfrage des Steuerpflichtigen eine falsche Rechtsansicht äußert, ist das FA nicht durch Treu und Glauben gehindert, den Steueranspruch geltend zu machen, weil der Sachbearbeiter für eine derartige Zusage nicht zuständig ist (so BFH-Urteil vom 19. Dezember 1973 II R 180/72, BFHE 111, 138, BStBl II 1974, 182). Das könnte anders sein, wenn ein Sachbearbeiter erweitertes Zeichnungsrecht hat. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der angefochtene Investitionszulagebescheid ist vom Sachgebietsleiter unterschrieben.
Fundstellen
BStBl II 1976, 97 |
NJW 1976, 871 |