Leitsatz

Auf türkische Bedienstete einer amtlichen türkischen Vertretung in Deutschland und ihre Angehörigen sind u.a. die Rechtsvorschriften von Deutschland über das Kindergeld für Arbeitnehmer nicht anwendbar, sofern der Bedienstete weiterhin in das türkische Sozialversicherungssystem eingegliedert ist.

 

Normenkette

§ 63, § 62 Abs. 1 und Abs. 2 EStG, Art. 71 Ziff. 2 WÜK, Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 SozSichAbk TUR, Art. 2 Abs. 1 Buchst. d VEA, §§ 8, 9 AO

 

Sachverhalt

Die türkische Staatsangehörige K, die im Inland keine Einkünfte erzielte, begehrte für ihre 1988 in Deutschland geborene Tochter, die eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG hat, Kindergeld. K zog 1987 nach der Heirat zu ihrem in Deutschland tätigen Ehemann mit ebenfalls türkischer Staatsangehörigkeit, der 1983 von der konsularischen Vertretung seines Landes in der Türkei angeworben und 1983 zur Aufnahme der Tätigkeit als Kraftfahrer nach Deutschland verzogen war. K und ihr Ehemann erhielten vom deutschen Auswärtigen Amt (AA) "Protokollausweise für Ortskräfte" mit der Kennzeichnung "OK". Steuern und Sozialversicherungsbeiträge wurden für den Ehemann ausschließlich in der Türkei gezahlt und abgeführt. Die Familienkasse lehnte Ks Kindergeldantrag ab. Die Klage blieb erfolglos (Niedersächsisches FG, Urteil vom 16.5.2012, 3 K 352/11, Haufe-Index 3219197, EFG 2012, 1862).

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte aus den unter den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen die Entscheidung der Vorinstanz.

 

Hinweis

Das Besprechungsurteil wendet die Prinzipien des grundlegenden Urteils zu Kindergeldansprüchen ausländischer Mitglieder des Verwaltungs-, Haus- und Technikpersonals von Botschaften an (BFH, Urteil vom 25.7.2007, III R 55/02, BFH/NV 2007, 2404, BFH-PR 2008, 64); ähnlich das unlängst ergangene Urteil vom 19.2.2013 (XI R 9/12, BFH/NV 2013, 1077). Danach widerspricht es dem Zweck der Kindergeldregelung, ausländische Staatsangehörige, die sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten, voraussichtlich auf Dauer in Deutschland einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen, in das Sozialversicherungssystem eingegliedert und einkommensteuerpflichtig sind, vom Kindergeld auszuschließen, weil sie für ihren rechtmäßigen Aufenthalt kraft gesetzlicher Regelung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sind und deshalb keinen Aufenthaltstitel erhalten.

1. Hier lag indessen die Besonderheit vor, dass K in das deutsche Sozialversicherungssystem nicht eingegliedert war. Deshalb verneinte der BFH wie auch das FG Ks Kindergeldanspruch. K nahm weder selbst als Beschäftigte noch als Familienangehörige eines sozialversicherungspflichtig Beschäftigten am deutschen System der sozialen Sicherheit teil. Das folgt aus den in der Entscheidung zitierten deutsch-türkischen Abkommen über Kindergeld für türkische Bedienstete einer amtlichen türkischen Vertretung in Deutschland, die auf die türkischen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit verweisen. Auch hatte Ks Ehemann nicht von der im Abkommen vorgesehenen Option Gebrauch gemacht, sich für eine Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit zu entscheiden. Angesichts dessen bestand hier (im Gegensatz zu den Entscheidungen in BFH/NV 2013, 1077 und BFH/NV 2007, 2404, BFH/PR 2008, 64; dort waren die Ortskräfte sozialversicherungspflichtig beschäftigt) kein Bedarf für eine analoge Anwendung des § 62 Abs. 2 EStG.

2. Auch das VEA (Vorläufiges Europäisches Abkommen über Soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen vom 11.12.1953, BGBl II 1956, 507) half hier nicht weiter. Denn auf den hier vorliegenden Fall war das VEA wegen der spezielleren und zeitlich nachfolgenden Vorschriften des Sozialabkommens mit der Türkei nicht anwendbar. Das zehn Jahre später bilateral mit der Türkei abgeschlossene Sozialabkommen regelt die Rechte und Ansprüche von türkischen Bediensteten einer in Deutschland gelegenen amtlichen Vertretung gegenüber dem VEA genauer und geht diesem deshalb nach den allgemeinen Auslegungsregeln aufgrund seines besonderen Regelungsgehalts (Verlust der deutschen Kindergeldberechtigung) vor.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 8.8.2013 – VI R 45/12

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