Leitsatz

Geht eine Milchquote während eines Milchwirtschaftsjahrs von einem an einen anderen Milcherzeuger über, nimmt dieser an einer Saldierung von ihm überlieferter Milchmengen mit Unterlieferungen anderer Erzeuger auch mit dem Teil der übergegangenen Milchquote teil, auf die von dem früheren Betriebsinhaber in dem Milchwirtschaftsjahr bereits Milch geliefert worden war.

 

Normenkette

Art. 5, 10 Abs. 3 EGV 1788/2003, § 14 Abs. 1 MilchAbgV 2004

 

Sachverhalt

Ein Milcherzeuger hatte im Milchwirtschaftsjahr 2004/2005 (Zwölfmonatszeitraum) die von ihm erzeugte Milch an eine Molkerei verkauft und dabei die ihm zugeteilte Milchquote überschritten. Dementsprechend hat die Molkerei bei dem Hauptzollamt eine Milchabgabe angemeldet. Sie hat dabei – wie üblich – eine Saldierung der Überlieferung des Klägers mit Unterlieferungen anderer ihrer Milch­lieferanten vorgenommen. Dem Umstand, dass der Kläger zum 1.11.2004 zusätzlich zu seinem bisherigen Betrieb einen anderen Milchwirtschaftsbetrieb samt der für diesen festgesetzten Milchquote übernommen hatte, wurde aber nur in der Weise Rechnung getragen, dass die in die Saldierung eingestellte Milchquote des Klägers um den Teil der für den übernommenen Betrieb festgesetzten Quote erhöht wurde, der nicht bereits vor der Übernahme von diesem Betrieb beliefert worden war.

Hiergegen hat der Kläger mit dem Ziel, dass die gesamte Milchquote des von ihm übernommenen Betriebs zu seinen Gunsten mit angesetzt werde, Klage erhoben, die nach Einholung der Vorabentscheidung des EuGH vom 5.5.2011 in den verbundenen Rechtssachen C‐230/09 und C‐231/09, Haufe-­Index 2725287) auch vor dem BFH erfolgreich war.

 

Entscheidung

Der BFH hat das stattgebende Urteil des FG (FG Hamburg, Urteil vom 29.3.2007, 4 K 100/06, Haufe-Index 2017591), wenn auch aus anderen Gründen, bestätigt.

 

Hinweis

1. Liefert ein Milcherzeuger mehr Milch als ihm seine Quote gestattet, muss er auf die Mehrmenge bekanntlich eine hohe Abgabe zahlen. Wenn andere Lieferanten der Molkerei weniger als ihrer Quote entspricht geliefert haben, wird diese Mehrmenge jedoch bei der Abrechnung am Ende des (Milch-)Wirtschaftsjahres in dem Umfang abgabefrei belassen, in dem andere Milcherzeuger ihre auch nicht ausgeschöpft haben. Die insofern ungenutzt gebliebenen Quoten werden also denjenigen gutgebracht, die ihre Quote überliefert haben, und zwar proportional zu deren jeweiligen Milchquoten. Das ist das sog. Saldierungsverfahren. Es begünstigt große Betriebe stärker als kleine, was sachgerecht ist, weil bei großen Betrieben leichter eine größere Überschreitung der Milchquote (ungewollt oder gewollt) eintritt als etwa bei einem Nebenerwerbslandwirt mit zwei Kühen!

Wie aber ist der Saldierungsanteil eines Überlieferers zu bemessen, wenn der Betrieb während eines Abrechnungszeitraums (Milchwirtschaftsjahr) gleichsam gewachsen ist, weil er (z.B. durch Betriebsübernahme) am Ende eine größere Quote hat als am Anfang? Sind ihm dann entsprechend der "Endquote" oder entsprechend der "Anfangsquote" die von anderen ungenutzten Milchquoten gutzubringen?

2. Dazu hatte der BFH den EuGH befragt und eine überraschende Antwort bekommen (siehe Leitsatz), die der EuGH kreativ entwickelt hat und die weder der Rechtsansicht der Milchbauern noch der der deutschen Verwaltung, des BFH, des Generalanwalts oder der Kommission entspricht!

Was die dieser Antwort zugrunde liegende Argumentation des EuGH hinsichtlich der Auslegung des Unionsrechts angeht, soll der Respekt vor dem hohen Gericht denkbare Kritik zum Schweigen bringen. Freilich reibt man sich doch etwas verwundert die Augen, dass der EuGH eine Auslegung für richtig hält, auf die vor ihm noch niemand gekommen ist, insbesondere auch nicht die sachkundige Europäische Kommission; erstaunlich ist vor allem, dass der EuGH dabei – ganz gegen seine sonstige, berechtigte Gewohnheit – die Frage nach Sinn und Zweck der Regelung und dem Gleichheitssatz erst gar nicht stellt.

3. Einen Rechtsanspruch darauf, dass eine Saldierung durchgeführt und dem Überlieferer die "an sich" verwirkte Milchabgabe teilweise "erlassen" wird, gibt es nicht. Gleichwohl muss die Saldierung, wenn sie denn durchgeführt wird, Gleiches gleich behandeln, kann also nicht willkürlich verfahren (etwa nach Kopfteilen aufteilen, sodass die Milchabgabe auf Überlieferungen von dem Nebenerwerbslandwirt mit zwei Kühen in dem gleichen Umfang nicht erhoben wird wie von einer großen Produktionsgesellschaft mit 1000 Kühen).

4. So etwas hatte auch die deutsche Verwaltung nicht in Erwägung gezogen, aber doch die hinzuerworbene Quote nur insofern berücksichtigt, als der frühere Quoteninhaber sie nicht beliefert hatte. Man fragt sich indes, weshalb in dieser Weise Maßstab der Beteiligung an der zu verteilenden Saldierungsmasse (der Summe der Unterlieferungen anderer Landwirte, also der "freien" Milchquoten) nur der nicht schon von dem früheren Betriebsinhaber belieferte Teil der Quote sein soll. Gewiss, diese Größe bestimmt selbstredend das Lieferrecht eines Betriebserwerb...

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