rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Volljährige behinderte Schwester mit eigenem Haushalt in einer Nachbarwohnung als Pflegekind. Kompensation der nur gering ausgeprägten Haushaltsaufnahme durch intensive Betreuung

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Pflegekindschaftsverhältnis ist gegeben, wenn sich der Bruder und seine Frau als gerichtlich bestellte Betreuer im vollem Umfang um die volljährige, behinderte Schwester, die kein selbstbestimmtes Leben führen kann, kümmern, sie umfassend versorgen und betreuen, die Hauptmahlzeiten kochen, Wäsche machen und finanzielle, persönliche, gesundheitliche und Behördenangelegenheiten etc. erledigen. Dies gilt auch, wenn eine Verbindung der Familienwohnung des Bruders mit der unmittelbar benachbarten Wohnung der Schwester bautechnisch nicht möglich und daher das Merkmal der Haushaltsaufnahme nur schwach ausgeprägt ist.

 

Normenkette

EStG 2002 § 32 Abs. 1 Nr. 2

 

Tenor

1. Unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Februar 2006, geändert durch Bescheid vom 17. Juli 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Juli 2006 wird die Beklagte verpflichtet, Kindergeld ab Juni 2005 in der gesetzlich vorgesehenen Höhe zu gewähren.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist wegen der von der Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruches des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob für die am X. XXX 1967 geborene, zu einem Grad von 100 v.H. Behinderte A. Kindergeld gewährt werden kann, obwohl sie in Räumlichkeiten lebt, die nicht unmittelbar zur Wohnung des Klägers gehören.

A. ist ein vollwaises, behindertes Pflegekind. Im Juni 2004 verstarb ihr Vater. Seit dem wurden der Kläger als ihr Bruder und dessen Frau zu ihren Pflegeeltern bestimmt. Sie betreuten A. zunächst in ihrer eigenen Wohnung in der B-Straße im Erdgeschoß. Der Kläger erhielt antragsgemäß Kindergeld. Im Mai 2005 zog A. in eigene Räumlichkeiten in der B-Straße, ebenfalls im Erdgeschoss. Beide Häuser grenzen unmittelbar aneinander; sie befinden sich in einem Wohnblock (vgl. Bauplan, Bl. 38 Finanzgerichtsakte sowie die Bilder Bl. 48 ff). Die Wohnungen grenzen nicht unmittelbar aneinander, so dass eine Verbindung mittels eines Mauerdurchbruchs bautechnisch nicht möglich ist. Die Wohnung des Klägers besteht aus vier kleinen Zimmern, Küche und Bad und hat eine Größe von insgesamt 68,7 qm. Die von A. bewohnten Räumlichkeiten umfassen 59,87 qm. Sie werden durch öffentliche Mittel nach dem Sozialgesetzbuch finanziert, der Kläger zahlt 75 Euro monatlich dazu. Um von der Wohnung des Klägers zu A. zu gelangen, muss man das Haus verlassen und den ca. 13 Meter entfernt gelegenen nächsten Hauseingang betreten.

Die Beklagte versagte Kindergeld mit Bescheid vom 9. Febr. 2006 zunächst ab Januar 2006 (Bl. 19 AA-Akte), mit geändertem Bescheid vom 17. Juli 2006 schon ab Juni 2005 und forderte bereits gezahltes Kindergeld zurück, da A. nicht mehr in den Haushalt des Klägers aufgenommen worden sei. Der Einspruch wurde ebenfalls am 17. Juli 2006 zurückgewiesen. Mit Schreiben vom 17. August 2006 erhob der Kläger Klage wegen der Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung. Ein nicht begründeter PKH-Antrag wurde am 25. April 2007 abgelehnt. Danach legte der Kläger eine Klagebegründung vor und beantragte zugleich eine Berichtigung des Rubrums, die Benennung des Klägers dürfe nicht sachgerecht sein. Die Aktenaufschrift daraufhin wurde zunächst antragsgemäß geändert.

Der Kläger trägt vor, A. bedürfe ständiger Betreuung. Daher habe er als Bruder sie zunächst in die eigene Wohnung aufgenommen. Diese sei jedoch viel zu klein, zumal noch vier Enkelkinder betreut würden, von denen zwei abwechselnd in seiner Wohnung übernachten würden. Dies geschehe deswegen, weil eine alleinstehende, in Schichten arbeitende Tochter auf die Betreuung ihrer Kinder durch ihn angewiesen sei. Zudem sei die Ehefrau des Klägers chronisch krank. Daher habe der Kläger – in Abstimmung mit dem Sozialamt – für A. eine unmittelbar im Nachbarhaus gelegene Wohnung angemietet. A. sei nicht in der Lage, ein eigenständiges Leben zu führen. Sie schlafe zwar in der Wohnung und halte sich auch in der Freizeit darin auf, doch verfüge die Wohnung nicht über einen Herd, da dies ein zu großes Gefahrenpotenzial für A. darstelle. Eine „Rund-um-die-Uhr-Betreuung” von A. sei gewährleistet.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Kindergeld versagenden Bescheides vom 9. Februar 2006, geändert durch Bescheid vom 17. Juli 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Juli 2006 Kindergeld in der gesetzlich vorgesehenen Höhe ab Juni 2005 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, A. lebe nicht mehr im Haushalt des Klägers, sondern in einer eigenen Wohnung. Insbesondere sei diese abgeschlossen und liege räumlich getrennt im Nachbarhaus. Von einem gemeinsamen Hau...

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