Leitsatz

1. Die sog. Umschaltklauseln des § 20 Abs. 2 und 3 AStG i.d.F. des Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes vom 21.12.1993 setzen die fiktive Steuerpflicht der Betriebsstätteneinkünfte nach Maßgabe der §§ 7ff. AStG voraus. Eine solche ist nicht gegeben, soweit eine Besteuerung nach §§ 7ff. AStG gegen die gemeinschaftsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten verstößt.

2. Die §§ 7ff. AStG i.d.F. des Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes vom 21.12.1993 verstoßen gegen die in Art. 43 EG garantierte Niederlassungsfreiheit (Anschluss an die Urteile des EuGH vom 06.12.2007, C-298/05"Columbus Container Services", BFH/NV Beilage 2008, 100, BFH/PR 2008, 80 und vom 12.09.2006, C-196/04 "Cadbury Schweppes", BFH/NV Beilage 2007, 365, BFH/PR 2006, 458).

 

Normenkette

§§ 7ff., § 20 AStG a.F., § 8 Abs. 2, § 20 Abs. 2 AStG n.F., Art. 43, Art. 48 EG, Art. 7 Abs. 1, Art. 22 Abs. 2, Art. 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 DBA-Belgien

 

Sachverhalt

Columbus ist eine Kommanditgesellschaft ("Commanditaire Vennotschap") belgischen Rechts (BVBA & Co CV) mit Sitz in Belgien. Sie wurde im Streitjahr 1996 von der belgischen Steuerverwaltung als ein Koordinationszentrum i.S.d. Königlichen Verordnung Nr. 187 behandelt.

Gesellschafter der Klägerin waren im Streitjahr acht in Deutschland ansässige Angehörige derselben Familie mit einem Anteil von jeweils 10 % und eine deutsche Personengesellschaft, deren Anteile ebenfalls Mitgliedern dieser Familie gehörten, mit 20 % In der Gesellschafterversammlung wurden alle Anteilsinhaber durch dieselbe Person vertreten.

Die Klägerin gehört zu einer Unternehmensgruppe. Ihr Gesellschaftszweck war im Streitjahr die Koordinierung der Aktivitäten dieser Gruppe, u.a. die Zentralisierung der finanziellen Transaktionen und der Buchführung, die Finanzierung der Liquidität der Tochtergesellschaften oder Zweigniederlassungen, die elektronische Datenverarbeitung sowie Werbe- und Marketingaktivitäten. Ihre wirtschaftliche Tätigkeit bestand im Wesentlichen in der Verwaltung von Kapitalanlagen i.S.v. § 10 Abs. 6 S. 2 AStG a.F. Durch diese Verwaltungstätigkeit erzielte sie im Streitjahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb sowie sonstige Einkünfte.

Die belgische Steuerverwaltung besteuerte den von der Klägerin tatsächlich erzielten Gewinn im Streitjahr zu dem für Koordinationszentren geltenden Steuersatz, der sich konkret auf weniger als 30 % belief.

Das FA stellte die Einkünfte der als Kapitalanlagegesellschaft i.S.v. § 10 Abs. 6 S. 2 AStG a.F. behandelten Klägerin auf der Grundlage von § 20 Abs. 2 AStG a.F. gesondert und einheitlich fest. Er qualifizierte dabei die sonstigen Einkünfte der Klägerin als steuerfrei, aber dem Progressionsvorbehalt unterliegend. Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb bezog das FA – unter Anrechnung der darauf in Belgien erhobenen Steuer – in die Bemessungsgrundlage der Steuer ein. Zugleich stellte das FA den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 01.01.1996 fest und bezog dabei das Vermögen der Klägerin nach Maßgabe von § 20 Abs. 3 AStG a.F. ein.

Das FG hat auf die anschließende Klage beschlossen, zunächst den EuGH anzurufen (FG Münster, Beschluss vom 05.07.2005, 15 K 1114/99 F, EW, Haufe-Index 1410323, EFG 2005, 1512). Die Vorlagefrage richtete sich darauf, ob es gegen die EG-Grundfreiheiten verstößt, wenn unilateral im Weg eines Treaty override die Steuerfreistellung nach Maßgabe eines DBA versagt und stattdessen auf die Anrechnungsmethode "umgeswitscht" wird.

Der EuGH hatte darin (wider Erwarten) keinen Gemeinschaftsrechtsverstoß gesehen (EuGH, Urteil vom 06.12.2007, C-298/05"Columbus Container Services", BFH/NV Beilage 2008, 100, BFH/PR 2008, 80).

Das FG Münster wies die daraufhin weitergeführte Klage von Columbus endgültig als unbegründet ab (FG Münster, Urteil vom 11.11.2008, 15 K 1114/99 F, EW, Haufe-Index 2092853, EFG 2009, 309).

 

Entscheidung

Der BFH hat das nicht akzeptiert; denn die Kommanditgesellschaft verfügte über genügend Substanz und stellte keine "künstliche Gestaltung" dar. Infolgedessen gebe es keinen Grund, ihr die begehrte Steuerfreistellung nach Maßgabe von § 20 Abs. 2 und 3 i.V.m. Abs. 1 AStG (a.F.) vorzuenthalten. Alles andere vertrage sich nicht mit der EG-Niederlassungsfreiheit des Art. 43 EG. Das EuGH-Urteil "Columbus Container" stehe dem nicht entgegen, weil das FG seinerzeit insofern eine "verkürzte" Vorlagefrage formuliert habe.

 

Hinweis

Dieses Grundsatzurteil enthält gleich drei "Paukenschläge":

1. Der erste "Paukenschlag" der Entscheidung wird aus dem 1. Leitsatz ersichtlich: Die sog. Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7ff. AStG verstößt gegen das Gemeinschaftsrecht. Das wurde zwar schon lange vermutet, und genau das ist auch der Grund dafür, weshalb der Gesetzgeber eine sog. Missbrauchs-Escape-Regelung mit § 8 Abs. 2 AStG n.F. geschaffen hat. Dennoch: Erst jetzt besteht endgültige Gewissheit über die Rechtslage zuvor (und vielleicht sogar und auch schon zu der Neuregelung):

a) Von der Hinzurechnungsbesteuerung werden solche im Inland ansässige Steuerpflicht...

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