Entscheidungsstichwort (Thema)

Fachhochschule bei auf sechs Semester angelegtem Studium keine regelmäßige Arbeitsstätte eines Studenten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Beginnt die volljährige Tochter nach Abschluss einer Berufsausbildung ein sechssemestriges Studium der Betriebswirtschaft (B.A.) an einer Fachhochschule, so ist die Fachhochschule nicht als „regelmäßige Arbeitsstätte” der Tochter zu behandeln, sodass die Fahrtkosten der Tochter in voller Höhe und nicht etwa nur in Höhe der Entfernungspauschale bei der Ermittlung der kindergeldrechtlichen Einkünfte und Bezüge abgezogen werden können.

2. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG ist im Rahmen beruflicher Bildungsmaßnahmen grundsätzlich nicht anzuwenden, da eine Bildungsmaßnahme regelmäßig vorübergehend und nicht auf Dauer angelegt ist und damit keine regelmäßige Arbeitsstätte i. S. d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG vorliegt.

 

Normenkette

EStG 2011 § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a, S. 2, § 2 Abs. 2, § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 4

 

Tenor

1. Der Bescheid vom 23. November 2011 und die Einspruchsentscheidung vom 11. Januar 2012 wird hinsichtlich der Monate September 2011 bis Dezember 2011 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, Kindergeld für die Tochter der Klägerin für die Monate September 2011 bis Dezember 2011 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens fallen der Klägerin zu ?, der Beklagten zu ? zur Last.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob im Jahr 2011 der Grenzbetrag für Einkünfte und Bezüge von 8.004 EUR überschritten war.

Die Tochter der Klägerin war bis 30. Juni 2011 bei einer Sparkasse beschäftigt und absolvierte davon unabhängig in Chemnitz eine Ausbildung zur Erlangung der Fachhochschulreife, die sie im Juli 2011 erfolgreich beendete. Ab September 2011 begann die Tochter der Klägerin ein sechssemestriges Studium der Betriebswirtschaft (B.A.) an der Fachhochschule Mittweida.

Die Beklagte hob mit Bescheid vom 25. August 2011 mit Wirkung vom 1. September 2011 die Gewährung von Kindergeld auf, da die Einkünfte der Tochter der Kläger den maßgeblichen Grenzbetrag von 8.004 Euro überstiegen hätten. Den erneuten Kindergeldantrag vom 23. September 2011 auf Kindergeld ab September 2011 lehnte der Beklagte zunächst ab und gewährte mit Bescheid vom 22. November 2011 Kindergeld ab Januar 2012. Die Klägerin verfolgte ihren Kindergeldanspruch für September 2011 bis Dezember 2011 im Einspruchsverfahren erfolglos weiter (Einspruchsentscheidung vom 1. Februar 2012).

Die Einkünfte und Bezüge der Tochter der Klägerin betrugen im Jahr 2011 12.196,58 EUR brutto und 9.607,58 Euro netto. Hinzu kam 1.611 Euro Arbeitslosengeld.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass bei den abziehbaren Aufwendungen die Fahrten zur Schule in Chemnitz, an der die Tochter der Klägerin ihre Fachhochschulreife erworben habe, und zur Fachhochschule Mittweida mit den tatsächlichen Fahrtkosten (Chemnitz: 49 × 72 × 0,30 Euro = 1.058,40 Euro; Mittweida: 80 × 34 × 0,30 Euro = 888 Euro) zu berücksichtigen seien. Deswegen sei die Annahme der Beklagten, die lediglich die Entfernung der Berechnung zu Grunde lege, falsch.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 23. November 2011 und die Einspruchsentscheidung vom 11. Januar 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für die Tochter der Klägerin für die Monate Januar 2011 bis Dezember 2011 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Einspruchsentscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung ergeht gemäß § 90 Abs. 2 FGO durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung, da die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben.

Die Klage ist teilweise begründet.

Die Einkünfte und Bezüge der Tochter der Klägerin überschreiten im Streitjahr 2011 den Grenzbetrag von 8.004 EUR nicht. Bei der hier allein streitigen Frage der Höhe der abziehbaren Fahrtkosten hat die Beklagte zu Unrecht nur die Entfernungskilometer berücksichtigt.

Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG wird ein Kind, das – wie hier – das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F.d. Streitjahres 2011 wird ein Kind nur gemäß Satz 1 Nummer 1 und 2 berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 8.004 Euro im Kalenderjahr hat, wobei ein für das Kind ergangener Einkommensteuerbescheid keine Bindungswirkung entfaltet (vgl. BFH, Beschluss vom 8. März 2012, III B 163/11, BFH/NV 2012, 1118).

Der Begriff der Einkünfte i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 ESt...

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