Rz. 43

Ausgaben und Einnahmen dürfen nach § 250 Abs. 1 und 2 HGB und § 5 Abs. 5 Satz 1 EStG nur ausgewiesen werden und müssen es dann auch, wenn sie Aufwand oder Ertrag für eine bestimmte Zeit nach dem Abschlussstichtag darstellen. Können sie keinem bestimmten Zeitabschnitt zugerechnet werden, kommt eine Bilanzierung nicht in Betracht.[1] Dieses Kriterium dient der Objektivierung der Rechnungslegung und der Vermeidung der willkürlichen Beeinflussung des Gewinns.

 

Rz. 44

Die Interpretation dieses Tatbestandsmerkmals ist jedoch keinesfalls unproblematisch.[2] So wird die Fragestellung, ob das Kriterium der Bestimmtheit der Zeit lediglich dann erfüllt ist, wenn die Zeit kalendarisch exakt bestimmt werden kann (enge Auslegung) oder ob die Voraussetzung auch dann vorliegt, wenn die Zeit zwar nicht kalendermäßig festgelegt, aber bestimmbar ist (weite Auslegung) äußerst kontrovers diskutiert.[3]

 

Rz. 45

Wenngleich sich noch keine h. M. herausgebildet hat,[4] tendiert die jüngere Rechtsprechung[5] und das jüngere Schrifttum[6] zur Bestimmung des Zeitraums bzw. zumindest die Festlegung eines Mindestzeitraums mittels rechnerischer Methoden. Die Zeit sollte somit entweder kalendarisch exakt festgelegt sein, d. h., Anfang und Ende sind eindeutig fixiert, oder aber sie sollte von anderen Größen ableitbar sein.

 

Rz. 46

Mehr oder minder vage Schätzungen (oder gar Vermutungen) genügen den Anforderungen jedoch nicht.[7] Ferner werden individuelle Schätzungen hinsichtlich der Dauer der Gegenleistung bisher als nicht ausreichend angesehen.[8] Schätzungen aufgrund allgemeingültiger Maßstäbe werden hingegen anerkannt.[9]

 

Rz. 47

Aufgrund des identischen Gesetzeswortlauts ist die Tatbestandsvoraussetzung auf Aktiv- und Passivseite übereinstimmend zu interpretieren.[10]

 

Rz. 48

Die "bestimmte Zeit" nach dem Abschlussstichtag ist nicht auf das folgende Geschäftsjahr beschränkt, sondern kann auch mehrere Geschäftsjahre umfassen.[11] Insoweit ist es nicht ausgeschlossen, dass sie bereits vor dem Abschlussstichtag begonnen hat, ihr Beginn erst von einem genau definierten Ereignis abhängt, welches aber mit Sicherheit eintritt, oder sie sich aus mehreren Abschnitten zusammensetzt.[12]

[1] Vgl. hierzu im Folgenden Falterbaum/Bolk/Reiß/Kirchner, Buchführung und Bilanz, 22. Aufl. 2015, S. 243.
[2] Vgl. hierzu und im Folgenden m. w. N. Ollinger, Latente Steuern im handelsrechtlichen Einzelabschluss, 2015, S. 192 ff. (Diss.).
[3] Vgl. zum Meinungsstand Tiedchen, in Schulze-Osterloh/Hennrichs/Wüstemann, Handbuch des Jahresabschlusses, 2016, Abt. II/9 Rz. 78 ff.
[4] Vgl. Küting/Trützschler, in Dusemond/Küting/Weber/Wirth, Handbuch der Rechnungslegung, 5. Aufl. 2017, § 250 HGB Rz. 75.
[6] Vgl. stellvertretend Herzig/Söffing, BB 1993, S. 465 ff.
[7] Vgl. kritisch Tiedchen, in Schulze-Osterloh/Hennrichs/Wüstemann, Handbuch des Jahresabschlusses, 2017, Abt. II/9 Rz. 82 ff.; Weber-Grellet, in Schmidt, EStG-Kommentar, 2017, § 5 EStG Rz. 250.
[10] Vgl. Tiedchen, in Schulze-Osterloh/Hennrichs/Wüstemann, Handbuch des Jahresabschlusses, 2016, Abt. III/8 Rz. 43 ff.
[11] Vgl. Weber-Grellet, in Schmidt, EStG-Kommentar, 2017, § 5 EStG Rz. 251.
[12] Vgl. Küting/Trützschler, in Dusemond/Küting/Weber/Wirth, Handbuch der Rechnungslegung, 5. Aufl. 2017, § 250 HGB Rz. 80.

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